Kapitel 20

815 74 0
                                    

Ich spürte, wie alle Augenpaare am Tisch sich auf mich richteten. Die Aufmerksamkeit war mir unangenehm, daher griff nach meinem Saftglas und nahm einen großen Schluck, in der Hoffnung, etwas Zeit zu gewinnen. Sollte ich ihnen von Jaehyun erzählen? Oder besser alles dreist abstreiten? Was meine Lüge aber offensichtlich machen würde, sollte Bora uns tatsächlich dort entdeckt haben. Und ich wusste nur zu gut, wie beharrlich sie und Minah sein konnten. Vorsichtig stellte ich das Glas auf die Tischplatte. „Na und?", erwiderte ich und ein Raunen ging durch die Reihe der Mädchen. „Ist das aufregend!", mischte Nayeol sich ein. „Wer ist es?" Ich trank erneut aus dem Saftglas. Alles, um meine Antworten hinauszuzögern. Nun war es halb leer. Oder, war es halb voll?

„Jaehyun", posaunte es Siyeon, die sich bisher zurückgehalten hatte, heraus. Sofort schlug sie sich die Hand vor den Mund. Ach, wer kümmerte sich schon um den aktuellen Wasserspiegel meines O-Saftes. „Der von den männlichen Trainees?", fragte Minah überflüssigerweise und ich nickte wenig begeistert. „Wie süß! Ich wusste gar nicht, dass du einen Freund hast", schwärmte Nayeol fälschlicherweise. „Wir sind nicht-", wollte ich die Sache richtigstellen, bevor es aus dem Ruder lief, aber Minah machte mir einen Strich durch die Rechnung. „Hätte nicht gedacht, dass er mit so jemandem wie dir ausgehen würde." Ihre kritischen Worte trafen mich wie ein Schlag. Eigentlich war mir bewusst, dass es besser wäre, nicht zu fragen. Aber ich tat es trotzdem. „Wie meinst du das?" „Dachte immer, Jungs würden mehr auf Mädchen stehen, die ein bisschen Wert auf ihre weibliche Ausstrahlung und all das legen. Und mehr in ihrer Liga spielen." Sie zuckte mit den Schultern. „Tu ich das nicht?", trat ich nur noch weiter in ihre Falle. Sie stützte ihr Kinn auf ihrer Handfläche auf und seufzte laut, sodass es wahrlich bemitleidend herüberkam. „Ach, Yeonhee..." Rechts von mir ertönte ein Geräusch, das einem durch Mark und Bein ging, als ein Stuhl auf dem Boden zurückgeschoben wurde. Siyeon hatte sich erhoben.

„Komm, du musst dir das nicht länger anhören." Ich schüttelte kaum merklich, aber verzweifelt den Kopf. Aber was, wenn sie Recht hatte, versuchte ich Siyeon zu verstehen zu geben. Sie blieb hartnäckig, also stand ich ebenfalls auf und gemeinsam gingen wir. Obwohl Siyeon erhobenen Hauptes den Tisch mit mir verließ, fühlte es sich an wie eine Niederlage. Minah hatte ihre erste Revanche an uns bekommen.

Damit war ihr Rachedurst für die 24 Stunden anscheinend noch nicht gestillt, denn als es ans Tanztraining ging, stellte sie mir ein Bein. Dabei hatte es ausnahmsweise mal ganz gut angefangen, oder eben nicht so schlimm, wie an den sonstigen Tagen. Ich wagte mich an den Versuch, die Tipps umzusetzen, die Taeyong mir an jenem Abend hier gegeben hatte und damit fiel ich nicht mehr so negativ auf, wie davor. Meine Trainerin lobte mich sogar für den Fortschritt, den ich plötzlich gemacht hatte. Vielleicht wurde sie dann etwas zu übermütig, aber jedenfalls traute sie mir einige Positionswechsel in der Choreographie zu viel zu, die sie einbaute. Wenigstens war es Siyeon, mit der ich regelmäßig den Platz tauschte. Sie wurde nicht so genervt, wenn ich mal wieder einen Fehler machte. Doch als ich es einmal tat, nutzte Minah die Chance für eine weitere Gemeinheit und ließ mich über ihren ausgestreckten Fuß stolpern, nachdem ich sie versehentlich angerempelt hatte. Ich landete hart auf dem Parkett und ein stechender Schmerz durchfuhr meine linke Fessel. Ich richtete meinen Oberkörper auf und rieb mir mit verzerrter Miene den Knöchel.

„Alles in Ordnung?" Minah war sofort zur Stelle, da würde mir keiner mehr glauben, dass dies eindeutig ihre Absicht gewesen war. „Tut nur ein bisschen weh", untertrieb ich und wollte gleich wieder aufstehen. Als ich den Fuß jedoch belastete, durchzuckte mich der Schmerz ein erneutes Mal. Minah und Siyeon stützten mich daraufhin und unsere Trainerin kam, um sich das ganze Mal genauer anzusehen. „So wie es aussieht, hast du dir den Knöchel nur verstaucht", lautete ihre Diagnose. „Mit etwas Ruhe wird das in ein paar Tagen wieder verheilen, aber bis dahin solltest du auf keinen Fall tanzen." Hatte Minah vorgehabt, mich für kurze Zeit vom Training auszuschließen? Egal, was die Antwort darauf war, jetzt konnte es nicht mehr verhindert werden.

„Sag mal", wendete sich unsere Trainerin mit der Frage aus dem Blauen heraus wieder an mich, „Wann warst du das letzte Mal bei dir zuhause?"

Sweater Weather (NCT FF)Wo Geschichten leben. Entdecke jetzt