Kapitel 32

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Ich nahm also all meinen Mut zusammen, straffte die Schultern und ging schnellen Schrittes zu den dreien herüber, während die anderen Mädchen bereits wieder schwatzend aus der Gaderobe strömten. Nur Siyeon wartete auf mich und hielt verwundert etwas Abstand, als ich die Trainees ansprach. „Hallo Doyoung, Yuta", grüßte ich kurz und legte eine Pause ein. Die zwei schenkten mir ein kurzes Nicken. Zögernd schaute ich zu dem Dritten im Bunde, der die anderen doch nochmal einen Kopf überragte. Nach meinen Einschätzungen war er sogar größer als Jaehyun. „Johnny", half mir dieser mit einem freundlichen Lächeln auf die Sprünge und reichte mir die Hand. Benommen schüttelte ich sie, bevor ich eine Frage an sie richtete. „Und, was macht ihr grade so?" Johnny blinzelte schmunzelnd. Ich musste doch wohl ziemlich verunsichert geklungen haben, kein Wunder, Smalltalk lag mir nach wie vor nicht. „Wir unterhalten uns mit dir?", entgegnete Doyoung und hob am Ende des Satzes fragend seine Stimme. „Ah, ja", machte ich nur und überlegte krampfhaft, was ich jetzt sagen könnte. „Und davor so?" Glücklicherweise erschloss sich Yuta meine Beweggründe, bevor der Verlauf des Gesprächs noch weiter einbroch. „Wir hatten alle eben eine Trainingseinheit, falls dich das mehr interessiert", gab Yuta grinsend Preis, der sich vermutlich daran erinnert hatte, wie Jaehyun mit mir bei der Werbeaktion umgegangen hatte. „Alle heißt auch Jaehyun", ergänzte Doyoung, dem auch ein Licht aufgegangen war. Wenigstens hatten sie meinen Punkt jetzt verstanden. „Sollen wir dir zeigen, wo?", bot Johnny spontan an und zeigte mit einem Daumen über seine Schultern in den langen Flur. Erleichtert nickte ich stumm und die Jungs setzten sich mit mir im Schlepptau in Bewegung. „Aber Yeonhee", protestierte Siyeon, doch ich ließ sie nicht ausreden. „Ich komm später noch nach, in Ordnung?" Ich sah, wie sie kurz zögerte. Sie wusste natürlich nicht, dass es mir bei der Angelegenheit auch um sie ging und wahrscheinlich hatte sie daher auch das Recht dazu, sich in letzter Zeit über mich zu wundern. Doch dann zuckte sie mit den Schultern. „Okay."

Ohne große, weitere Worte lotsten mich Doyoung, Yuta und Johnny voran an verschiedenen verschlossenen Türen vorbei und machten vor einem der Aufnahmeräume Stopp. Doyoung hielt mir die dunkle Türe auf und es erschien ein breites Grinsen auf seinem Gesicht. „Jaehyun wartet bestimmt schon sehnsüchtig auf dich", übertrieb er und Yuta spitzte andeutungsweise die Lippen. Ich rollte nur kommentarlos mit den Augen, machte dabei einen großen Schritt an den Spaßvögeln vorbei und stieß unsanft mit jemandem zusammen. „Vorsicht", ermahnte mich Jaehyun, der zurücktrat und mich dann erst erkannte. „Yeonhee, was machst du denn hier?" Um seine Lippen spielte ein erfreutes Lächeln und dass er sich augenscheinlich so darüber freute, mich hier zu sehen, ließ mich nur noch schuldiger fühlen. Aus dem Augenwinkel nahm ich wahr, dass Jaehyun und ich nicht alleine im Aufnahmestudio waren. Zwei weitere Personen saßen uns den Rücken zugewandt vor einem Computer und besprachen angeregt etwas mit einem Produzenten und machten Gesten auf den Bildschirm, auf dem sie einen Song arrangierten. „Halte ich dich gerade von der Arbeit ab?", erkundigte ich mich und er schüttelte den Kopf. „Nein, gar nicht. Ich war gerade eben fertig und wollte gehen." Gut, dass ich ihn jetzt noch abfangen konnte, dachte ich mir. Dann brachte ich es gleich hinter mich und musste nicht mehr länger damit warten. „Weißt du, Jaehyun, ich bin aus einem Grund hier...", fing ich schonend an und umfasste mit einer Hand meinen linken Unterarm. Es war eine kleine, unbewusste Angewohnheit von mir, wenn ich nervös wurde und mich beruhigen wollte. Jaehyun runzelte die Stirn. „Ist irgendwas?" „Ich muss mit dir über etwas reden", gestand ich und wurde abgelenkt von etwas, das sich hinter Jaehyun bewegte. Ein Junge hatte sich mit seinem Drehstuhl von dem Musikprogramm auf dem Rechner abgewandt und beobachtete nun aufmerksam das Szenario, dass hier zwischen Tür und Angel stattfand. Taeyongs Blick traf mich und seine Augen wurden schmaler, als wollte er herausfinden, was diese Aktion von mir werden sollte. Plötzlich wurde mein Mund ganz trocken.„Also, ähm, ich-" Immer wieder brach ich mittendrin ab und pausierte, um tief Luft zu holen. Das Herz schlug mir bis zum Hals. Aber es war das einzig Richtige das hier zu tun, ich musste das verstehen und Taeyong musste es auch. „Jaehyun,ich habe dich-"

„Jung Jaehyun!", ertönte eine schneidende Stimme, die mich erbarmungslos unterbrach. „Das ist der Manager, bei dem sollte man sich lieber beeilen, aber das kennst du ja sicher auch", seufzte er auf und schaute zu seinem Vorgesetzten, der gerade über den Flur gelaufen kam. Dann sah er wieder auf mich herunter. „Ich hab dich auch lieb, Yeonhee", verabschiedete er sich von mir, strich mir lächelnd eine Haarsträhne hinters Ohr und machte sich dann auf zu seinem Manager. Frustriert blieb ich auf der Stelle stehen. Wie konnte nur immer etwas dazwischenkommen? Ich konnte ihn doch nicht länger in dem Glauben lassen, dass ich mich bei ihm am sichersten fühlte und dasselbe empfand. Und dass eine noch so simple Berührung von ihm bei mir ein so wohliges Kribbeln auf der Haut auslöste, wie bei... Nachdenklich hob ich meinen Kopf und begegnete prompt dem Blick von Taeyong. Ich wollte es ja selbst nicht wahrhaben.

Der andere Trainee erhob sich mit einem leisen Ächzen von seinem Drehstuhl. „Mir reicht's für heute mit der Melodie und dem Text", verkündete er Taeyong, dessen Aufmerksamkeit sich wieder auf seinen Kumpel und die Arbeit beschränkte. „Bis später, Mark." Taeyong verabschiedete sich per Handschlag bei Mark und dem Produzenten, die mich beim Vorbeigehen kaum beachteten, bis nur noch wir zwei im Tonstudio verblieben. „Was sollte das gerade werden?" Taeyong nahm die schwarzen Kopfhörer, die um seinen Hals hingen und legte sie vor sich auf den Tisch. „Ich wollte Jaehyun die Wahrheit sagen", erzählte ich flüsternd und wie ich es befürchtete, war er nicht so begeistert von der Idee. Geradezu entgeistert starrte er mich an. „Sag mal, spinnst du?", fragte er mich rhetorisch. „Ich dachte, wir hätten eine Abmachung gehabt." „Ich weiß, aber andererseits würden wir so viel ruinieren, wenn wir jetzt nicht ehrlich zu ihm sind." Ich schritt durch den Raum und ließ mich auf den freien Drehstuhl neben ihm fallen und lehnte mich an. „Das hättest du dir früher überlegen sollen", entgegnete Taeyong ziemlich schroff. Dennoch glaubte ich in seinem Gesicht mehr Beunruhigung als Ärger herauszulesen und ich lag richtig, schon bald wurden seine Züge wieder weicher. „Hör mal, Jaehyun und ich sind Freunde und du seine Freundin. Wenn du mit ihm schlussmachst ist das zwar verletzend, aber ihr könntet euch danach aus dem Weg gehen. Aber Jaehyun und ich werden unser Debüt haben und für lange Zeit zusammenarbeiten", versuchte er mir seinen Grund erneut zu erläutern. „Lass es uns einfach... vergessen." Ich hatte nie gedacht, dass es ihm so leichtfallen würde, das zu sagen. Aber dann erinnerte ich mich daran, dass er gleich gesagt hatte, dass der Vorfall im Kino nur ein Fehler war. Und in dem Moment tat es mehr weh, als ich es mir eingestehen wollte. Wortlos erhob ich mich wieder von dem Stuhl und war schon fast wieder aus der Tür, als Taeyong doch noch etwas an mich richten wollte. „Kim Yeonhee?" Mit einem Funken Hoffnung fuhr ich herum. „Ja?" „Das mit den Tanzstunden sollten wir auch beenden. Mehr Hilfe brauchst du meiner Meinung nach nicht, du hast einige Fortschritte gemacht." In mir regte sich der Verdacht, dass er das nur sagte, um nichts noch offensichtlicher zwischen uns zu machen und zu verhindern, dass Jaehyun von den Tanzstunden Wind bekam. Aber ich würde ihn nicht mehr umstimmen können, das war mir bewusst, also stimmte ich ihm einfach zu und ging.

Ich nahm die Treppe zu meinem Stockwerk, doch in unseren Zimmern war keins der anderen Mädchen aufzufinden. Von weitem sah ich sie dann in der Cafeteria sitzen und essen - mit Erschrecken stellte ich fest, wie viel Zeit schon seit der Anprobe heute vergangen war. Jedoch schien auch Siyeon ausnahmsweise Mal nicht auf mich gewartet zu haben, sondern unterhielt sich mit dem Rest der Trainees. Ich konnte sie nicht beschuldigen, da ich ihr in den vergangenen Tagen weder so viel Zeit wie anfangs gewidmet hatte und ihr immer mehr verschwieg war es normal, dass sie als offene Person dafür den Kontakt zu anderen mehr suchte. Ich unterdrückte ein Seufzen und machte wieder kehrt zum Schlafraum. Mir hatte der Sinn sowieso nicht nach Essen gestanden. Aus meiner Tasche fischte ich mein Handy heraus und wählte die vertraute Nummer meines Zuhauses. Nachdem mehrere Male ein Piepen ertönt war, konnte ich immer noch niemanden erreichen. Stattdessen sprach ich auf die Mailbox und nannte meinen Eltern das genaue Datum des SM Town Konzerts und fügte hinzu, dass ich mich sehr freuen würde, sie dort zu sehen. Danach legte ich auf und während ich auf mein Display starrte und mich fragte, wann sie es wohl überhaupt anhören würden, fühlte ich mich seit langer Zeit zum ersten Mal wieder ziemlich alleingelassen.

Sweater Weather (NCT FF)Wo Geschichten leben. Entdecke jetzt