Kapitel 3

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Geweckt wurde ich am nächsten Morgen von einer leisen, lieblichen Melodie. Vorsichtig setzte ich mich in meinem Schlafsack senkrecht auf und tastete blindlings mit meiner linken Hand nach meinem Smartphone, von dem der Aufweckalarm ausging. Nachdem ich meine immer noch schweren Augenlider öffnete, musste ich sie gleich wieder etwas zukneifen, da mich die Helligkeit des Bildschirms blendete. Ein weiterer Blick auf diesen verriet mir jedoch, dass es nun 5:27 Uhr war. Aufstehen mussten wir Trainees laut dem Entertainment zwar erst um ungefähr sechs, doch ich hatte mich hier schon immer dazu gezwungen, mich selbst früher aus dem Bett zu werfen als nötig. So blieb mir morgens nämlich genug Alleinzeit, etwas, das mir hier mit all den anderen jugendlichen Mädchen um mich herum sonst verwehrt blieb. So leise wie möglich kroch ich aus dem Schlafsack und tapste dann auf Zehenspitzen barfuß über den gebohnerten Boden, darauf bedacht, ja nicht die anderen ungewollt zu wecken. Als ich die Türklinke des Schlafraums herunterdrückte, sah ich noch einmal über die Schulter zurück zu meinem leeren Platz, neben dem sich Siyeon breitgemacht hatte. Ihr Brustkorb hob und senkte sich regelmäßig, als sie ihre Atemzüge ausstieß. Sie schien tief und fest zu schlafen. Bis sie aus ihren Träumen gerissen werden würde, würde ich vermutlich schon wieder zurück sein. Also machte ich mir keine Gedanken darum, dass mein Fehlen sie beunruhigen würde. Selbst wenn, sie sieht nicht aus wie eine Person, die morgens fit genug ist um Randale zu veranstalten, dachte ich mit einem Grinsen, verließ den Raum und schloss die Tür wieder geräuschlos hinter mir.

Im Flur begegnete ich keiner Menschenseele, als ich auf dem Weg zu den Gemeinschaftsduschen war. Noch ein Privileg, das man als Frühaufsteherin genießen konnte: Man hatte das geräumige Badezimmer ganz für sich allein. So suchte ich mir ohne Eile eine der Duschkabinen aus, um die wir uns normalerweise so stritten und stellte mich unter den kalten Wasserstrahl. Das kühle Nass ließ meine restliche Müdigkeit vollkommen verschwinden und als ich dann mit auch noch frisch gewaschenen Haaren aus der Kabine wieder herauskam und mich mit einem Handtuch abgetrocknet hatte, fühlte ich mich bereit für den Tag. Ich verzichtete auf das Föhnen der Haare und machte mir einen recht unordentlichen Dutt und zog mich um. Als ich gerade eigentlich am Gehen war, blieb mein Blick am Spiegel hängen und ich blieb stehen. Großartig verändert hatte ich mich nicht in diesem einem Jahr, mein Körper war durch das Tanztraining nur leicht definierter als vorher, doch meine Gesichtszüge waren immer noch dieselben. Obwohl, vielleicht ja auch nicht. Ich behauptete jedes Jahr, immer noch gleich auszusehen und bemerkte wesentliche Unterschiede erst wenn ich mich auf Fotos sah, die aber schon länger her waren. Was würden meine Eltern wohl sagen, wenn sie mich wieder zu Gesicht bekamen? Trotz dessen, dass Daejeon nicht so weit weg von Seoul lag, hatten wir kaum Möglichkeiten, mal für ein paar Tage nachhause zu fahren. Natürlich vermisste ich meine Familie, aber da wir immer beschäftigt und von Leuten umgeben waren, kam schlimmes Heimweh bei niemandem von uns auf.

„Du trödelst schon wieder herum, Yeonhee", ermahnte mich mein Spiegelbild. „Ja, ja", murmelte ich so, als würde ich nicht nur Selbstgespräche führen und ging zurück auf den Flur. Dort stieß ich mit Minah zusammen, die den Gang wohl als nicht breit genug bemessen für zwei Personen ansah und direkt in mich hineinrannte. „Pass doch auf", giftete sie mich fälschlicherweise an. Ich rieb nur mit verzerrtem Gesicht meinen schmerzenden Oberarm und schwieg. Normalerweise wäre die Sache dann zwischen uns schon wieder abgeschrieben gewesen und sie wäre erhobenen Hauptes an mir vorbeigegangen, aber anscheinend legte Minah es heute auf Streit an. „Warum antwortest du eigentlich nicht, wenn ich mit dir rede?", fragte sie mich wütend und ich sah, wie sich auf ihrer sonst so perfekten, hohen Stirn eine Falte bildete.

Sweater Weather (NCT FF)Wo Geschichten leben. Entdecke jetzt