1474 n. Chr.
Der Tag war unlängst vergangen, die Nacht vor Stunden eingebrochen. Ich band die Pferde im Stall fest und trat in den Gasthof, in dem meine Fürstin bereits weilte. In schlichter Lederkleidung, die einen leichten Ritt ermöglichte, schritt ich zu dem hölzernen Tisch an dem sie saß, und ich nickte ihr zu. Wohler wäre mir meine Rüstung in dieser Fremde gewesen, wir wollten indessen nicht mehr hervorstechen als unbedingt nötig. Und in diesem kleinen Dorf, das selten Besucher fand, waren wir bereits auffällig. In Kontrast zu dem braunen Wildleder meiner Kleidungtrug sie dunkleres, nahe an schwarz, einige silberne Knöpfe stachen hervor. Ein wenig ähnelte dieser Stil der Zeremonienrüstung des Hauses Baphomet. Sie deutete mit schlanken Fingern auf die Holzbank ihr gegenüber, und ich nahm Platz. Ich hatte meine Fürstin bei Tage in einem Waldstück vor dem Dorf behütet, wir hatten unser Ziel nicht rechtzeitig erreicht. Daher hingen wir in unserem Reiseplan bereits einen Tag zurück. Und meine Fürstin war weder geduldig noch erfreut, wenn es nicht gelang, einen Plan einzuhalten.
Trotz dessen, diese Nacht würden wir nicht reisen. In diesem Dorf lag eine Aufgabe vor uns, deren Ausmaße ich anno dazumal nicht abschätzen konnte. Die mütterlich scheinende Wirtin trat an unseren Tisch und stellte eine für mich unverständliche Frage, aber dies kümmerte mich nicht. Ich lächelte sie freundlich an. Sie schaute misstrauisch und wiederholte einen Teil ihrer Worte. Mein Blick schweifte zu der Göttin, welcher mein Leben gehörte. Aliana, Fürstin des Hauses Baphomet, aus der Ahnenlinie Imhotep und der Machtlinie der Schattengänger, somit ganz und gar die Blutlinie ihres Vaters, schaute ungerührt zu der wohlbeleibten alten Dame hinauf und antwortete in akzentfreiem Rumänisch: »Am dori meniul fix şi bere neagră pentru el, şi rece, dacă se poate!«
Die Gastwirtin zögerte erstaunt, nickte danach aber und ging an der Theke vorbei in einen Nebenraum, sicherlich zur Kochstelle. Wie es Alianas Art war, hatte sie mich nicht gefragt, wonach mein Appetit stand. Sie hatte bereits ein Glas mit tiefrotem Wein, welches sie allerdings nicht anrührte.
Eine junge Frau mit dunklen Haaren, zu einem Zopf geflochten, trat zu uns und stellte mir einen Humpen auf den Tisch. Schüchtern sah sie dabei zu mir. Ich dankte ihr mit einem Lächeln, sagte nichts, sie hätte mich ohnehin nicht verstanden. Sie war sehr hübsch, nicht auf die kühle Art Alianas, die mich immer wieder mit einem Blick, ihrer Stimme oder einer Bewegung zu fesseln vermochte. Zwar besaß sie wie Aliana dunkle Augen, aber der Charakter vom Blick eines Jägers fehlte. Auch trug sie schwarzes Haar – rabenschwarz, aber in freundlichen Wellen und nicht kühl wirkend wie bei Aliana. Entgegen der Ernsthaftigkeit und Kälte Alianas, welche ihre Attraktivität ausmachte, war es bei diesem Mädchen die Ausstrahlung von Wärme. Die Wärme von Blut, das durch einen jungen Körper pulsiert, durch volle Lippen symbolisiert. Zu lange weilte ich bereits unter Alianas Art, es färbte ab.
Sie ging davon, Alianas Augen folgten ihr zielgerichtet, bis sich die Jägerin abwendete und meinen Blick fing: »Gefällt sie Dir, Hilo?«
Am liebsten hätte ich mich in Alianas Arme gelegt, ihre Augen beherrschten mich. Ich liebte jede Facette an ihr, ihr Wesen und ihre Gestalt. Die kleine Narbe an ihrem Kinn, die man selten sah, und die sie sich vor ihrer Taufe der Unsterblichkeit zugezogen haben musste, rundete das Bild perfekt ab, war es das einzige Detail an ihr, was der unwahren Vollkommenheit einen Abstrich schenkte. Ich grinste schief: »Die Schönheit der Jugend, Aliana.«
Sie nickte und drehte ihr Weinglas mit ihren feingliedrigen Fingern: » Jeder Mensch hat seine Sucht, Hilo, wie wir auch. Uns dürstet es nach Blut. So schließe Deine Augen nicht in dieser Nacht und schütze dieses Haus, auf das ihr Blut nicht fließt.«
Ich sah tief in ihre schwarzen Abgründe, gesäumt von einem grün funkelnden Rand, prometheischen Wimpern und dunklen gradlinigen Brauen, nichts an ihr war vorhersehbar, ihre Worte oft Botschaften, welche es zu entschlüsseln galt. Ihr gehörte mein Blut, und dieses lief durch mein Herz.
Die junge Frau kehrte zurück, stellte eine Pfannemit dampfenden Kartoffeln und gebratenen Fleischstücken vor mich, mein Magengierte danach. Nach ihren Worten: »Poftă Bună!« verlief das Essen schweigend.
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Nacirons Vampire II - Blutlinie
VampireAuch erhältlich auf Amazon: https://www.amazon.de/Nacirons-Vampire-Blutlinie-Oliver-Szymanski-ebook/dp/B00EELF236 Die Geschichte ist bereits abgeschlossen und wird hier bis zum 24.12 nach und nach veröffentlicht um Euch durch die Adventszeit zu brin...