SKARA BRAE

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Auf dem Rückweg hielten wir in der zweiten Nacht und Aliana verabschiedete sich von Gideon und Imhotep. Es gab eine neue Aufgabe für uns, auf der uns beide wieder Ethrel begleitete. Aliana schien viel daran zu liegen, dass gegenseitiges Vertrauen wuchs, oder sie hatte einen geheimen Plan, was mich nicht gewunderte hätte. Ethrel hingegen dachte vermutlich nochmals daran, die Walachei nie wieder selbst zu verlassen.

Unser Weg führte uns in Richtung des Argeş, das Ziel war die Umgebung der von den Bojaren in Sklavenschaft gebauten Festung. In der Nacht vor dem Erreichen unseres Zielgebietes rasteten wir trotz der Dunkelheit, denn wir hatten Truppenbewegungen in der Nähe erkannt und wollten kein Risiko eingehen. Zeit war zwar ein gefährlicher Gegner, aber die Vampire hatten viel davon.

Aliana setzte sich nach dem Anbinden der Pferde neben mich an das Lagerfeuer. Ethrel stromerte in seiner Wolfsgestalt um das Lager, er hatte Wache. Meine Fürstin legte einen Arm um meine Schultern, und ich genoss ihre Nähe. Mochten die Tage der Menschen vergehen, Hauptsache ich durfte in ihrer Nähe bleiben.

»Aliana, was wird es bedeuten, dass sich Drăculea weigert die Regeln der Häuser zu akzeptieren?«

»Was denkst Du, wird es bedeuten?«

Gemeinsam starrten wir in die Flammen. Ich antwortete erst, als eines der Holzscheite durchgebrannt zur Seite fiel.

»In dem Bericht Deines Vaters über die Notwendigkeit der Häuser las ich von den Protesten Kains.«

»Weißt Du, wer Kain war?«, fragte sie und ging auf meine Bemerkung als solche nicht ein.

»Er muss noch vor Deinem Vater in die Dunkelheit geboren sein. Ich glaube, es handelt sich um den Kain aus der Bibel, welcher seinen Bruder Abel in Zorn und Eifersucht erschlug.«

Sie bestätigte mich nicht, noch widersprach sie. Vielleicht hätte ich länger auf eine Erwiderung warten müssen, aber die Ungeduld der Menschen ist wohl charakteristisch.

»Dieser Kain wollte Regeln und Häuserordnungen ebenfalls nicht akzeptieren, wie Drăculea in der jetzigen Zeit.«

Beruhigend streichelte ihre kühle Hand meinen Nacken. Hände, die in einem Moment mein Genick zu Staub zerpressen vermochten.

»Du fragtest, was ich denke, was es bedeuten wird. Nach der Lesung des Skriptes Deines Vaters habe ich nach weiteren Quellen gesucht. Das Haus Kain wird einmal erwähnt, aber keine Nachfahren. Und Kain selbst wird in keinem der von mir gesichteten Dokumente jemals wieder genannt. Außer in Berichten über die Vergangenheit. Es war, als wenn Kain nach der Einführung der Häuser verschwand.«

Ich sprach bewusst keine Frage aus, in der Welt der Dunkelheit wurde Fragen selten als solche formuliert.

»Als die ersten Häuser gegründet wurden, gab es nicht viele an ihrer Zahl«, bemerkte Aliana und ergriff meine Hand, da ich anfing mit brennenden Zweigen aus dem Feuer zu spielen.

»Imhotep und Kain waren die ersten Häuser. Und das Haus Kain, was ist mit ihm geschehen?«

»Was geschieht mit Göttern, Hilo?«

Ich schaute sie an, teils erbost keine Antworten zu bekommen, teils niedergeschlagen, teils in vollem Eifer, eine Aufklärung zu erreichen. Sie sprach mit sanfter Stimme: »Kann ein Gott existieren, an den niemand glaubt? Wird er nicht vergehen? Aber empor steigen, wenn eine einzige Seele ihm huldigt?«

»Kain war kein Gott«, meinte ich patzig. Sie schwieg und streichelte mich wieder sanft, das kindliche Gemüt der Menschen fasziniert betrachtend. Mir tat es leid, und ich fügte hinzu: »Du bist meine Göttin.«

Nacirons Vampire II - BlutlinieWo Geschichten leben. Entdecke jetzt