TAGESGESCHÄFTE

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Es war Tag. Am Tag ließ die Zeit Normalität walten, die alltäglichen Dinge der Lebenden. Alltag – das Wort Allnacht demgegenüber war mit Grund nicht existent. Aliana befand sich im Zustand der Starre, wir waren vor Morgengrauen in einer Umarmung eingeschlafen, nachdem ich die Fensterläden verdunkelt hatte, damit das Sonnenlicht sie nicht erreichte. Hier in der Fremde, wo wir nicht der Welt der Vampire ausgesetzt waren, gab es manchmal diese Momente der Nähe. Zwei Stunden danach war ich wieder aufgestanden und hatte mich aus dem stählernen Griff gelöst. Ich hatte im Wirtshaus gefrühstückt, erklärt, dass meine erschöpfte und ausgelaugte Begleiterin nicht bereit war aufzustehen und der Form halber Essen auf unser Zimmer gebracht. Jetzt galt es Aufgaben zu erledigen. Das Mädchen wusste nichts von den Geschehnissen, dieser Untote musste sie betäubt haben. Ich war gespannt, welche Kräfte sie noch besaßen. Unser Haus würde das Mädchen zu ihrer Sicherheit in Beobachtung halten. Wir konnten nicht wissen, ob man ihr bereits etwas angetan hatte, bevor wir sie retteten. Seit der Meldungen von Vasallen meines Hauses, dass in der Walachei Töchter von dort wohnenden Angehörigen ihrer Familien und weitere entführt worden seien, hatten wir versucht den Geschehnissen nachzugehen, und waren durch die betroffenen Landstriche gereist. Zwei Mädchen waren entführt worden, als wir uns in den entsprechenden Dörfern befunden hatten, was uns erst recht angespornt hatte.

Auch die Eltern hatten keinen Verdacht, dass sich etwas Seltsames zugetragen hatte, zumindest sprachen sie es nicht aus. Mein Pulver hatte sie sehr tief in ihre private Traumwelt geschickt. Und alle anderen Dorfbewohner – wenn man in einem winzigen Ort inmitten eines dichten Waldes in den Bergen der Karpaten lebt und dazu abergläubisch ist, fragt man sich nie, welche Merkwürdigkeiten des Nachts geschahen.

Ich bedankte mich unverstanden für das leckere Frühstück, lächelte Luca zu und verließ den Gastraum. Zuerst befreite ich eine der Tauben aus ihrer Kiste und entließ sie aus dem Fenster, eine Nachricht zu dem nächsten festen Standort einiger Templer schickend, eine geheime Komturei. Die Taube, welche für Gideon bestimmt war, musste sich noch gedulden, ich fütterte sie.

Jetzt machte ich mich auf den Weg und schlenderte aus dem Dorf hinaus, den Weg hinunter, um nach einer langen Strecke ein Pfeifen zu hören. Ich winkte mit der Hand, zog meinen Dolch und steckte ihn wieder in die Lederscheide, das vereinbarte Zeichen, dass ich mich allein auf dem Pfad befand. Es pfiff erneut, und ich folgte dem Geräusch in die dichten Bäume. Der Unterschied zwischen Weg und Nichtweg war lediglich ein kleiner Faktor in der Baumdichte. Ein Templer trat vor und musterte mich. Danach nickte er und schritt vor mir her, ich hätte den Unterschlupf nicht allein gefunden. Seine gut geölte Rüstung macht keine Geräusche, und trotz der offiziellen Auflösung des Ordens trug er stolz den weißen Umhang mit dem roten Tatzenkreuz, seinem Ordenswappen. Das taten sie aber nicht in der Öffentlichkeit, dann wandten sie den Umhang und trugen das Kreuz versteckt nach innen. Ich folgte ihm grinsend, wie dumm musste man sein, sich bei dieser Sommerhitze in Stahl zu kleiden.

Drei Templer bewachten das Lager. Der vierte und letzte des Trupps führte mich zu dem Lagerfeuer. Ich sah die Grube, welche sie ausgehoben hatten, und die mit Laub und Holz bedeckt war. Darin schlief Ethrel und träumte, wie er Tiere in der Nacht jagte, so stellte ich es mir vor. Ich traute ihm nicht wirklich, schließlich war er der wichtigste Mann Kalais gewesen, sein direkter Adjutant. Ich denke auch Aliana traute ihm nicht, aber sie hatte ihre eigene Art – die ihrer Abstammung aus dem Hause Imhotep – damit umzugehen. Und seit den Jahrzehnten der Verbannung seines Herrn hatte sich Ethrel Mühe gegeben keine Befleckung seiner Loyalität zu Aliana vorzunehmen. Ich glaube auch fast, dass er Angst hatte, als ihm gesagt wurde, dass er Gefährte auf dieser Reise sein sollte – Angst in der Fremde verloren zu gehen.

Ich schaute den Kommandeur des Trupps an und fragte ihn auf Französisch nach den Gefangenen. Das letzte Wort wollte kaum meinen Lippen entgleiten.

Er zeigte mir die Säcke, die sie in eine zweite Grube geworfen hatten und erklärte mir, dass sie sich nicht bewegt hatten, und man sie mit Ketten festgezurrt hatte. Sie konnten sich wahrscheinlich nicht einmal bewegen, selbst wenn sie einen Willen verspürt hätten, ich hatte oft erlebt, wie wenig zimperlich Templer mit Gefangenen umgingen. Ich entschloss mich dies nicht zu prüfen. Der Geruch, der durch die Säcke drang, reichte mir. Ich wandte mich wieder zu dem Befehlshaber der Ritter: »Zwei von Euch reiten sofort los und bringen einen der Säcke zu Gideon nach Wien.«

Zweifelnd sah er mich an. Der Orden war eigenständig, sie zählten sich aber zu Alianas Vasallen, daher kamen sie ihren Worten nach. Bei meiner Person waren sie skeptischer und weniger kooperativ. Nach der langen Nacht hatte ich jedoch keine Lust auf Diskussionen und Floskeln: »Sofort!«.

Ein harter Blick auf mich, dann gab er nach und seinen Kameraden Befehle. Zwei von ihnen sattelten ihre Pferde, die hinter Bäumen versteckt standen. Ich setzte mich in den Schatten und trank einen Schluck aus meiner Feldflasche. Eines musste man diesen Rittern lassen, sie liebten Entbehrungen, und sie brauchten keinerlei Verzögerung um direkt aufzubrechen. In wenigen Minuten waren sie bereit für den Ritt.

Einer griff in die Grube, und der unter der Rüstung muskulöse Arm des Ritters hob einen der zwei Säcke mühelos hervor. Gemeinsam legten sie ihn quer über eines ihrer Pferde. Ich hätte den Sack nicht einmal über den Boden schleifen können. Als sie sich, nach dem Verstauen der Rationen in ihre Satteltaschen, auf die Pferde begaben, trat ich zu einem der Reiter und reichte ihm ein versiegeltes Pergament mit den Worten: »Für Prinz Gideon aus dem Hause Imhotep persönlich.«

Dieser Ritter würde eher sterben, als die Botschaft einem anderem als dem Geistlenker aus Alianas Vaters Haus eigenhändig zu übergeben.



Nacirons Vampire II - BlutlinieWo Geschichten leben. Entdecke jetzt