DIE KAMMER DER VERBANNUNG

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Nach all dem Schlachten betraten wir die Kammer, unser Ziel. Die Verräter hatten den Raum noch nicht aufgebrochen, ihnen war es daher nicht gelungen Kalai zu befreien. Aliana setzte die komplizierte Maschinerie des Schlosses mit dem richtigen Schlüsseln und dem Drücken von Mauersteinen in einer bestimmten Kombination in Kraft. Kommandeur Mackinnons befahl den Tempelrittern den Raum zu sichern, er selbst trat an den Sarkophag in der Mitte, in dem sich die letzte Urne voller Asche befand und untersuchte den Öffnungsmechanismus des Sarges. Sinan Abu und Raja postierten sich links und rechts des Einganges. Aliana trat neben Nathan Mackinnons und umfasste sein Handgelenk. Ich blickte schnell beiseite, bewegte meine Schultern um einer Verspannung vorzubeugen und schaute mich um.

Dunkle Marmorfliesen, die wir mit blutigen Spuren beschmutzten, Mosaike an den Wänden, Bilder von einer Art Krug oder Gral, das Tatzenkreuz vom Hause Baphomet und sogar eines, welches die Opferung einer Menschenfrau zeigte. Die Tempelritter bewachten den Eingang, jetzt standen vier von ihnen dort mit angelegten Waffen, ich sah einen Bluttropfen von der angelegten Klinge des G36 Gewehrs von Larex Ibarra fallen.

Plötzlich vernahm ich hinter meinem Rücken lautes Protestieren und wandte mich zum Sarkophag. Kommandeur Mackinnons redete auf Aliana ein, sie blickte ihn schweigend an. Langsam trat ich näher.

»Meine Fürstin, ich bitte Euch, zu Eurem Schutz.«

Meine Lippen formten sich böse amüsierend, als Aliana als einzige Reaktion den Kopf schüttelte, ich kannte dieses Verhalten und gönnte es ihm. Was auch immer ihre Entscheidung war, nichts konnte diese jetzt noch abändern. Der Anführer der Nachteinheit zeigte Respekt durch eine kleine Vorbeugung zur Fürstin, das am Rücken geschnallte G36 bewegte sich dabei marginal. Ich bemerkte seine angestaute Wut. Er trat beiseite, und obwohl wir beide nicht gerade für Brüderlichkeit bekannt waren, sagte er dabei leise mit einem Seitenblick zu mir: »Stimmt sie um!«, dabei funkelten seine Augen voller Zorn. Dies befriedigte mich ein klein wenig.

Als er zu den anderen Ritten trat, schaute ich Aliana an: »Na, meine Fürstin, habt Ihr eine Entscheidung getroffen, die Eurem getreuesten Gefährten enttäuscht hat?«

Vielleicht nahm sie die absichtliche Mehrdeutigkeit wahr. Aliana schien einige Atemzüge zu überlegen – natürlich ohne wirklich Luft zu holen. Sie hatte meine empfindsame Seite in den förmlichen Worten gewiss gespürt. Ich sah, wie sie mit dem Medaillon an ihrer Kette spielte, selten, dass Aliana solche vom Unterbewusstsein gesteuerten Handlungen ausführte. Das Medaillon war vorher unter ihrer schwarzen Kleidung verdeckt gewesen, ich hatte nicht geahnt, dass sie es mitgebracht hatte. Ich wusste, was in dem Medaillon steckte. Ein winziger Rest von Kalais Asche. Sie trug diese Kette sonst nie, sondern hielt sie sicher verstaut. Der Staub war seit Anbeginn Kalais Verbannung in ihrem Besitz, und lediglich sie, Imhotep, Gideon und ich wussten davon. Es war die Versicherung, dass auch die Aufdeckung der Verwahrungsorte Kalai nicht auferstehen lassen konnte. Sie stellte sich ganz nah, ihre Worte galten allein mir: »Hilo, seid nunmehr Jahrhunderten kenne ich einzig einen getreuen Gefährten. Kennt mich dieser trotz aller Jahre nicht gut genug um zu wissen, dass meinen Handlungen stets etwas obliegt? Wisse mich bei Dir, Hilo, immer.«

Ich schaute zu Boden, sie ergriff mein Kinn und hob meinen Kopf, damit ich in ihre Augen sah. Ein Vampir bewundert den Menschen wegen seines Fortschritts. Nicht des technischen, nein, den individuellen. Menschen entwickeln sich weiter, verändern sich. Selbst ich, Jahrhunderte alt, beinahe mit der Unsterblichkeit eines Vampirs befallen, entwickle mich. Über die Jahrhunderte ändert sich meine Sprache, meine Vorlieben, manche Charaktereigenschaften. Wie oft schon mochte ich Kartoffeln, wie oft schon hasste ich sie. Ein Vampir kennt keinen eigenen Fortschritt. Sie können neue Sprachen lernen, aber keinen neuen Sprachstil, Gewohnheiten können sie nicht verlieren. Sie sind wie sie sind – für immer.

»Hilo, vertraue mir.«

Wie das eine Mal, als wir zu Beginn unseres Kennenlernens ausritten – damals bat sie mich, ihr zumindest dieses eine Mal zu vertrauen. Jetzt fügte sie flüsternd hinzu: »Ich brauche Dich doch.«

»Verletze mich nicht, Aliana«, war meine knappe, leise aber auch sanfte Reaktion, ihre kühlen Lippen gaben mir einen zärtlichen Kuss: »Führe die Tempelritter in die Vorkammer, Hilo. Ich will jetzt mit meinem Mann allein sein.«

Ich muss sie angestarrt haben, konnte nicht ganz nachvollziehen, was sie mir da sagte. Nach einem Moment gelang es mir zögerlich zu antworten: »Aliana, wir sind doch hier um seinen Untergang zu besiegeln. Lass uns die Kanopen nehmen und den Rückzug antreten. Bald sind sicher weitere Gegner hier.«

Sie streichelte über meine Wange, mein Körper reagierte sofort, selbst auf diese kleine Berührung: »Hilo, als Deine Fürstin sage ich Dir, führe die Ritter in die Vorkammer.«

Wir warteten. Die schweren Türen waren zum Entsetzen der Ritter hinter uns zugeschlagen, die Kammer der Verbannung damit erneut verriegelt. Ich vermute, Aliana hatte sie mit Kraft der Schatten zur Bewegung getrieben. Raja Polevoj lehnte als einziges Mitglied des Dunklen Arms der Templer lässig aber aufmerksam an der Wand.

Nathan Mackinnons schritt angespannt hin und her, seine Nervosität weitete sich bereits auf seine Untergebenen aus. Ich beobachtete ihn und hing meinen Gedanken nach, die allesamt bei Aliana waren. Was tat sie in dieser Kammer? Was würde heute fortgeführt werden, was mein Sieg über Kalai im 12. Jahrhundert eingeleitet hatte und dessen Ursprung in der Hochzeit der Dunkelheit oder noch davor lag?

»Sollen wir nicht lieber hinein?«, er blickte mich an, ein gezwungen kühler Gesichtsausdruck, doch das Zucken seiner Wangenmuskeln konnte er nicht unterdrücken. Er hatte gesehen, wie Aliana mich geküsst hatte. Ich antwortete sanft: »Meine Fürstin verlangte alleine zu sein.«

Sein Protest legte sich nicht: »Ich und meine Einheit sind zu ihrem Schutz hier. Es ist meine Verantwortung, diesen Schutz zu gewährleisten.«

Dieser edle Ritter. Jahrhunderte bin ich dem Hause Imhoteps und dem Hause Baphomets verbunden und Teil Alianas Familie. Jahrhunderte die gewirkt hatten: »Fürstin Aliana und ihr Haus haben seit Eurer Gründung Eurem Orden Sicherheit geschenkt und ihn durch die Gefahren der Zeit geschifft. Es ist nicht sie, die wir schützen, nein, es ist ihr Schutz uns gegenüber, den wir brauchen. Wir sind ihr einzig zur Treue verpflichtet. Daher werden wir Ihrer Bitte Folge leisten. Ich traue dem Urteil meiner Fürstin.«

Ich glaubte seinen Hass auf mich in seinen Augen zu sehen, Hass und Liebe, eng verbundene Gefühle, die sich um denselben Kern drehen. Denn hinter seiner Wut auf mich schwebten seine Gefühle zu Aliana in seinen Augen. Kein Ausblick, der mich glücklich machte.

Er stellte keine weiteren Fragen, trat zu seinem zweiten Ritter, und sie legten die Einzelheiten für den Rückzug fest. Wie ich einmal sagte, überrascht das Schicksal als Werkzeug der Zeit immer aufs Neue. Dies sagt alles über meine Meinung zu Plänen.

Die Pforten öffneten sich, sie flogen auf, und Fürst Kalai, zurückgekehrt aus der Verbannung als Führer des Hauses Baphomet trat heraus. Sein Blick schweifte lapidar über uns Sterbliche, mich eingeschlossen, wie über belanglose Hunde, er schritt an uns vorbei mit raschem Gang.

Mit war der Atem gestockt, Nathan Mackinnons starrte wechselnd zwischen ihm und mir. Eine kühle Hand legte sich auf meine, die sich in Nähe des Dolchgriffes befand: »Wir gehen«, drang Alianas Stimme wie durch einen Nebel zu mir, aber auch zu den Templern.

Und so folgten wir ungewiss, ich an der Seite von Aliana, sie dicht bei mir spürend, die Nachteinheit hinter uns – folgten Kalai, gelöst aus der Verbannung, reinkarniert in seine Ehe zu Aliana, Fürst seines Hauses, folgten seinen Befehlen als rechtmäßiger Führer des Hauses Baphomets. Ich wusste nicht was vor uns lag, aber das war nicht wichtig. Was geschehen war, das zählte. Nicht das, was kam. Denn dies war noch nicht geschrieben, was bedeutet, dass wir die Worte noch durch unsere Handlungen formen konnten.



Nacirons Vampire II - BlutlinieWo Geschichten leben. Entdecke jetzt