VEREINIGUNG DER TROPFEN

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Kalai saß auf dem Thron in unserem Fürstensitz bei Nürnberg. Nichts, was ich von seiner Rückkehr erwartet hatte, war eingetreten. Er hatte weder den Orden der Templer einen neuen Eid zu ihm als Lehnsherren schwören lassen, noch hatte er Vasallen drangsaliert oder ein Fest zu seinen eigenen Ehren gegeben. Auch mich hatte er nicht getötet. Wahrscheinlich war ihm nicht einmal bewusst, dass ich lebte, er dachte vielleicht, dass ich als Mensch schon längst das Zeitliche gesegnet hatte. Er saß seit Tagen im Thronsaal, den er nicht verließ. Ethrel war häufig und lange bei ihm, aber in ihrer Welt ist Zeitdauer ein relativer Begriff. Selten besuchte Aliana ihn, aber auch ich hatte in all den Tagen kein Wort vermocht mit ihr zu reden. Dafür hatte Mackinnons zwei Nächte bei ihr verbracht.

Aber an diesem Tag klopfte sie an meine Tür und ersuchte mich ohne viele Worte ihr zu folgen. Wir betraten den Thronsaal, Kalai hockte mit seltsam stoischer Miene auf dem Sitz. Die übliche Anzahl an Templern als zeremonielle Wachen befand sich im Raum, zwei Bedienstete des Herrschaftssitzes eilten geschäftig umher, wobei es mir nicht gelang zu erkennen, was sie taten. Vermutlich Kalais Blicke nicht auf sich ziehen. Die Tempelritterin Yara Fortaleza mit ihren kurz geschnittenen blonden Haaren erschien und bat Aliana hinaus, die mich entschuldigend anblickte. Ich hatte ein Déja-Vu, erinnerte mich an das 12. Jahrhundert und meinen Kampf mit Kalai, als ich in die Halle zu ihm ohne Alianas Begleitung gelockt worden bin. Aber er nahm keine Kenntnis von mir, begann dagegen ein Gespräch mit seinem Vertrauten Ethrel.

»Dieses intrigantes Miststück. Ich hätte es wissen müssen, die Geschichte hat es offenbart. Diese verdammte Hure Kains und Longinus, wie konnte ich glauben, dass sie keinen Plan gegen mich schmiedete. Sind nicht beide von uns gegangen, nachdem sie in den Armen ihrer Geliebten gelegen hatten? Diese Hure des Satans!«

Ich trat an ein Fenster und versuchte meine Anwesenheit zu verbergen. Aber die Worte trafen mich.

»Und dieses Bastardkind, das sie mich zwangen in der Dunkelheit zu zeugen! Dieses dreckige Gossenblut! Die Tochter Saras mir unterzuschieben! Welch niederträchtiger Hinterhalt!«

Sara? Meinte er Marketa? Ich zwang mich nicht erregt zu werden und meinen Puls niedrig zu halten. Irgendwann schwieg er, und Sekunden später hörte ich Alianas Stimme: »Unser Botschafter ist anwesend.«

Ich wandte mich um, die Worte klangen weniger wie eine Feststellung, als eine Anweisung. Kalai reagierte prompt: »Ritterin Fortaleza, führt ihn herein.«

Ein Mann um die 40 Jahre mit der Gardeuniform der Angehörigen der Militärakademie aus Wiener Neustadt, welche von Maria Theresia in Gedenken an den uns freundlich gesinnten Kaiser Friedrich III. gegründet worden war, wurde von der loyalen Ritterin herein gebracht. Er trug den Siegelring mit der Inschrift A.E.I.O.U., die der Kaiser in Ehren zu Fürstin Aliana alle seine Dokumente zieren ließ, und welche zahlreiche Historiker zur Verzweiflung gebracht hatte, gelang es ihnen niemals die Abbreviation zu deuten. Wie auch, fehlte ihnen das entscheidende Wissen um meine Welt: »Aliana est imperatrix obscuritatis umbraeque.«

Denn der Kaiser hatte meine Fürstin in ihrer Stärke und Macht gekannt. Der uniformierte Mann trat straff vor den Thronsaal, grüßte den Fürsten und verbeugte sich danach vor meiner Schattengängerin mit den zeremoniellen Worten »Aliana ist die Gebieterin der Finsternis und des Schattens« die seine Akademie seit ihrer Gründung im geheimen Dienst für die Vampirin genutzt hatte, und die der Siegelring anzeigte. Ich achtete auf Kalai und dieser verzog den Mund. Aber er sagte nichts zu der kleinen Missachtung seiner wieder gewonnenen Führungsrolle. Nach der Huldigung widmete sich der Gardist wieder dem alten neuen Fürsten des Hauses Baphomet zu und wartete darauf sprechen zu dürfen. Kalai nickte ihm leicht genervt zu.

Nacirons Vampire II - BlutlinieWo Geschichten leben. Entdecke jetzt