BLUTFARMEN

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In der Nähe der Burg am Argeş, die die Bojaren für Dracula hatten bauen müssen, befanden sich die grauenvollsten Lager der früheren menschlichen Geschichte. Hier wurden Menschen in Massen gehalten, eng hinter Zäunen und Verschlägen, draußen wandelten die bestialisch stinkenden Untoten mit ihren verzerrten Leibern. Die sterblichen Erdensöhne waren von offenen Wunden verunstaltet, die kaum Gelegenheit fanden zu heilen, denn stets wurden sie erneuert, um daraus die kostbare Flüssigkeit zu gewinnen. Wer zu kraftlos wurde, zu alt war, oder als Leckerei befunden wurde, der verschwand aus den Pferchen um in Gänze in einer Nacht als Speise zu dienen, getrunken bis zum Rest, teilweise das Fleisch zum Genuss der Wesen des neuen Hauses Dracul dienend. Denn das neue Haus hatte die Regeln nicht akzeptiert. Regeln, die niemals die Versklavung und Züchtung von Blut erlaubt hätte. Diese Blutfarmen widersprachen der Ordnung der anderen Häuser, sie verstießen gegen das Bündnis der Nacht. Der Sohn des Drachen, der Pfähler hatte jede obszöne Folterung der Menschen übertroffen, als er die Verpflegung seiner Armee der Dunkelheit industrialisierte.

Aliana sah in meine Augen, nicht als Fürstin, sondern als einfühlende Geliebte. Sie wusste, dass ich diese Taten an meiner Art nicht dulden konnte, dass ich auch in Jahrhunderten nie wieder behütet zu schlafen vermochte, wenn ich diese Menschen leiden ließ. Ein Vampir denkt und fühlt anders als wir Menschen. Sie hatte kalkuliert, wie viele Untote hier wandelten, dass mehrere Vampire zwar jung in ihrer Macht aber an Anzahl stark die Lager bewachten, vielleicht sogar der Herrscher der Walachei selbst. Sie hatte bedacht, dass die Menschen auch ohne die Zäune nicht weit fliehen konnten, in einem Land, das solchem Herrn Untertan war. All diese Fakten hatte meine Fürstin bedacht. Aber sie hatte in meine Augen gesehen, und auch dies bedacht. Unermessliche Dankbarkeit überfiel mich, als sie mit ihrer beherrschten kaltblütigen Stimme etwas aussprach, mit dem ich nicht gerechnet hatte: »Wir befreien sie.«

Ich glaube, sie hätte meine Gefühle besser hinten anstellen sollen. Aber dennoch weiß ich, dass ich lediglich dank ihrer Entscheidung in Spiegel sehen und ohne quälende Gedanken schlafen kann. Denn niemals hätte ich mir verzeihen können, nicht zumindest versucht zu haben, den Menschen zu helfen. Selbst wenn wir geschworen hätten wieder zu kommen, mit einer Armee, ja selbst dann. Denn solches Leid muss beendet werden. Es darf niemals unversucht sein, es darf niemals verschoben werden.

Ethrel lenkte die Untoten und einige Vampire mit Schwärmen von herbeigerufenen Vögeln und seiner eigenen Wolfsgestalt ab, und es gelang ihm, Unruhe zu stiften. Aliana lief mit den Schatten an ihrer Seite hinein, gierige dunkle Hände schlugen gewaltvoll eine Bresche auf ihrem Weg zu den Verschlägen, welche sie öffnete. Meine Brandpfeile von der Anhöhe ließen Feuer auf die Zäune regnen und vernichteten den Wall, der die Menschen einschloss. Ich fürchte, weit ist niemand von denen gekommen, die das Haus Dracul als Vieh gehalten hatte. Aber wir hatten sie nicht im Stich gelassen, ihnen nicht ohne einen Versuch den Rücken zugedreht. Als Aliana, Ethrel und ich in die Nacht hinaus flohen, trug ich den Funken der Hoffnung in mir, den wir diesen Menschen geschenkt hatten. Mochten sie auf der Flucht sterben oder wieder in Gefangenschaft geraten, wir hatte es versucht. Und wir würden wieder kommen, um es zu vollenden. Meine Liebe zu meiner Fürstin wuchs in dieser Nacht, was kaum möglich war.

Wir waren die Boten, welche diese Botschaft in die Welt der Dunkelheit brachten. Wir waren es, aufgrund deren Nachricht die Häuser der Nacht über die Verbrechen des Hauses Draculs informiert wurden. Zwar hatte Vlad III. Drăculea die Regeln des Pakts der Dunkelheit abgelehnt, aber konnte er sich dennoch nicht frei von ihnen sprechen. Denn die alten Häuser hatten einen Pakt. Und dieser schrieb vor, wie man mit Vampiren umging, welche die Regeln der Dunkelheit nicht akzeptierten und gegen sie verstießen. Dieser Pakt der Häuser, das Bündnis der Nacht, zwang alle angeschlossenen Vampire, diese dämonische Geißelung der Menschheit zu verurteilen. Die Häuser Imhotep und Baphomet erklärten Vlad III. Drăculea, Ţepeş, gegen Ende des Jahres 1476 den Krieg.

Nacirons Vampire II - BlutlinieWo Geschichten leben. Entdecke jetzt