Ich schritt in einer Woge der Wärme, als wir gemeinsam den Ort betraten. Hierhin begaben sie sich, wenn sie zum gegenseitigen Betrachten zusammen kommen wollten, hier wo sie suchten ihr wahres Ich zu zeigen und sich selbst in ihrer Vorstellung vom eigenen Bild verloren. Flackernde Lichter zuckten in blitzenden Wogen durch die Fülle von lauten Klängen, tiefen Bässen und sich gegenseitig herausfordernden Düften, in diesem nächtlichen Night Club der Menschen.
Aliana bei mir wissend, dies konnte einem Sterblichen mehr Sicherheit geben, als ein Schutzwall um ihn herum. Zu spüren, wie ihre altehrwürdigen Augen auf mir lagen, gab mir eine Festigkeit, wie sie selbst in meinen über 800 Jahren nicht hatte reifen können. Sie war die Treppe empor gestiegen, zahlreiche interessierte Blicke auf ihrem verlockenden Körper. Jeder potentielle Interessent wäre von seinem eigenen Schatten vor ihr zurückgehalten worden. Was, in letzter Konsequenz betrachtet, glücklich für denjenigen war. Sie stand oben an der Galerie, blickte herab auf diese Menge aus pulsierenden warmen menschlichen Körpern, sicher unter anderem mit den Augen der Jägerin. Aber sie schenkte einen Teil ihrer Aufmerksamkeit mir, sah mir zu und wunderte sich ein weiteres Mal über uns Sterbliche.
Mit soviel Selbstsicherheit auf mich reflektiert trat ich auf die mäßig gefüllte Tanzfläche und ergab mich dem Rhythmus der aufpeitschenden Klänge. Die Menschen hatten überaus wahrscheinlich unlängst mehr Musikrichtungen erfunden, als einzelne Liedstücke existierten. Ich hatte aufgegeben mit Genrenamen Wissensplatz zu verschwenden, denn Erfahrungen mehrerer Menschenleben benötigen Raum. Die hier zu vernehmenden Richtungen gehörten in die härteren Musiksegmente. Ich glitt dahin, der Körper übernahm, und ich ließ mich führen. Teils in abrupten beinahe schlagenden Bewegungen zuckend, um wieder wellenartig zu treiben oder wie in einem barocken Tanz ohne Partner zu schreiten. Ich liebe Musik, liebte es, die Freiheit in mir zu spüren, wie sie vom Körper auf mich übertragen wurde, eins mit mir war. In diesen Momenten vergaß ich meine Umwelt, war Teil von Nichts.
In den vorherigen Jahren hatte ich mich mit Aikido beschäftigt. Do bedeutet im Japanischen »der Weg«. Dieser Weg ist eine der interessantesten Kampfarten, die je von Menschen erkannt wurde. Denn sie ist kein Kampf. Ich hatte das Glück Ō Sensei Morihei Ueshiba, der 1883 in Japan geboren wurde, selbst kennen zu lernen. Er hat diese Stilrichtungen in den Jahren nach 1921 zur Kampfkunst entwickelt. Aikido, von mir mit Weg der Harmonie übersetzt, hatte im Vergleich zu den teils im gleichen Atemzug genannten Karate-Do, Judo, Taekwondo etwas, das selbst mich ermutigte es zu lernen. Aikido vernichtet nicht, schlägt nicht, greift nicht an. Aikido negiert Aktionen um Harmonie zu erlangen. Aikido führt zu Harmonie. Wo immer etwas die Balance der Welt stört, setzt Aikido ein. Aikido verlangt nicht nur, Gleichgewicht zu wahren, sondern es herzustellen. Ein Schlag versucht, das Hier und Jetzt zu ändern, zu deformieren. Aikido will alles belassen, als hätte es keinen Schlag gegeben. Daher kostet der Schlag Energie, die Ausübung von Aikido in Perfektion nicht, da sie die Energie abfängt und umlenkt, keine eigene Energie benötigt. Ein guter Aikidoschüler ist wie Wasser, ein Schlag wird nichts Festes erhaschen. Ein Gegner wird nach dem Schlag wie vor dem Schlag sein, so wie die Welt um ihn herum, er wird nichts erreicht haben. Aikido wird den Gegner nicht verletzen, ein Sieg ist nicht bezweckt, keine Bloßstellung, aber die Umkehrung der Aktion ins Nichts. Aikidotechniken sind wirkungsvolle Negationen. Ein besserer Schüler wird wie Luft agieren – noch weniger Widerstand darstellen als Wasser, ein Schlag wird nicht einmal mehr zu einer Gischt führen.
Der Meister war weit über das Stadium der Luft hinaus, bevor sein Menschenleben endete. Er gelangte an einen Punkt kurz vor dem Nichts. Im Kampf war er kein Gegner, denn kein Treffer erreichte ihn. Ich habe ihn damals bewundert. Ihn über die Jahre im Aikido wirken und sich weiterentwickeln zu sehen, hat mich überzeugt, selbst Aikido zu lernen. Beobachtern erschien es, als wäre eine Demonstration abgesprochen, als sollten Schläge daneben gehen. Aber dem war nicht so, er war lediglich dem Nichts sehr nahe gekommen. Und sorgte dadurch für eine Harmonie in seiner Umwelt, die keine Gegenreaktionen jemals erbracht hätten. Keine einzige Bewegung um zu verletzen, sondern den Gegner an einen Punkt führen, an dem er sich vor seinen Aktionen befunden hat. Dies ist Aikido.
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Nacirons Vampire II - Blutlinie
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