Der Fall des Mr. Marsh

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Dorothy, Baverly und Hannah's Zimmer ist einfach wunderschön. Ordentlich, im Vergleich zu dem Chaos in meinem Zimmer. Und gemütlich, mit vielen Kissen und kleinen Lampen. Drei Betten standen an der Wand gegenüber der Tür und die Wandlücken wurden mit zwei Nachttischen gefüllt. In der Ecke stand ein Schrank, neben Dorothys Bett - das ganz links an die Wand gerückt war- eine Kommode. Mehrere Bücher stapelten sich auf der Fensterbank über den Betten. Wir breiteten eine Decke auf dem Boden zwischen Dorothys und Baverlys Bett aus und setzten uns im Kreis hin. Alva zauberte drei große Tafeln Schokolade aus ihrem Rucksack, ich kramte meine Tüte Fruchtbonbons heraus und Dorothy stellte die Limonade in die Mitte: "Also! Wen ladet ihr zum Frühlingsfest ein?" "Was ist das denn überhaupt?", fragte Alva und schob sich ein Kirschbonbon in den Mund. Ich brach mir ein Stück Schokolade ab. "Das ist ein Schulball, der jedes Jahr stattfindet. Er ist in zwei Wochen. Aber ich gehe wahrscheinlich nicht hin, oder wenn, dann mit Martin." Alva blickte mich verdutzt an. Ich lachte: "Nein nein. Als Freunde." Das Mädchen neben mir nickte nachdenklich: "Und Dorothy geht bestimmt mit George oder?" "Natürlich. Ich habe mir schon ein super niedliches Kleid gekauft. Wollt ihr es sehen?" "Oh ja", riefen wir. Dorothy stand auf und ging zu ihrer Kommode. Sie öffnete die mittlere Schublade und zog ein hellblaues und sorgsam gefaltetes Stoffbündel hervor. Langsam entfaltete sie es und hob es hoch, sodass Alva und ich es sehen konnten. Alva pfiff bewundernd durch ihre Zähne. Es war ein hellblaues Kleid mit weißem Saum und einer kleinen, dünnen Schleife am Kragen. Der Rock war weit und perfekt um damit zu tanzen, auch zwei kleine weiße Taschen waren angenäht worden. Wenn man genauer hinsah, erkannte man breite Streifen in einem dunkleren Blauton. Die Farbe passte perfekt zu Dorothys Augen und ließ ihre wunderschönen Haare herausstechen. "Ich habe sogar ein passendes Haarband", ließ sie anmerken. "Das ist wirklich hübsch. Du wirst toll aussehen", sagte ich. Alva stimmte mir zu: "Lucy und ihre Freundinnen werden dich sowas von beneiden!" Dorothy lachte leise, aber es klang eher gestellt als fröhlich. Ihr Blick verdüsterte sich schlagartig. "Ja. Und dann werden sie mich für den Rest ihres Lebens noch mehr hassen und mich fertig machen." Sie faltete das Kleid stumm zusammen und legte es in die Kommode zurück. Als sie sich wieder zu uns gesetzt hatte, legte ich ihr den Arm um die Schulter und zog sie zu mir. "Sollen sie doch versuchen. Dann schlagen wir eben zurück!" Dorothy legte ihren Kopf auf meine Schulter und lächelte zaghaft. Sie und Lucy Ward waren mal Freunde gewesen. Kaum zu glauben, da Lucy sich nun mit solch schrecklichen Leuten wie Abigail, Avery oder Olivia Parker abgab; Aber wahr. Nichts und niemanden konnte die beiden trennen, sie haben immer alles zu zweit gemacht. Doch als Dorothy dann mich, Martin und vor allem George kennengelernt hat, wurde Lucy eifersüchtig und hat sie erst ignoriert und Dorothy dann ziemlich geärgert. Das wurde irgendwann so schlimm, dass Dorothy für ein halbes Jahr nicht mehr zur Schule kam. Auch jetzt verabscheuten sich die beiden noch. "Und Alva? Weißt du jetzt wen du einladen könntest?" Das Mädchen zuckte mit den Schultern: "Nein. Vielleicht geh ich einfach so hin. Oder begleite Cat und Martin." Mir wurde plötzlich ganz warm und meine Gedanken verknoteten sich. Alva mit mir auf dem Frühlingsfest? Oh Gott... Was, wenn mein Kleid ihr nicht gefallen würde? Was, wenn sie bemerkte, wie schrecklich ich tanzen kann? Was, wenn sie dann mit Martin... Ich schloss meine Augen und versuchte die Gedanken los zu werden. "Aber mal schauen ob ich überhaupt hingehe. Ich besitze ja nicht einmal ein Kleid für so einen Anlass." Sie aß ein Stück Schokolade und auch Dorothy und ich griffen zu. Dann wechselten wir das Thema auf andere Dinge. Alva erzählte uns von den spannenden Büchern über die Gründung der Schule, die sie in der Bibliothek gefunden hatte. "Wusstet ihr, dass hier jemand ermordet wurde?", fragte sie uns. Ich verschluckte mich fast an der Limonade. "Hier? Auf Wilburry?" "Ja! Im Jahr 1803 war dieses Internat noch ein Waisenhaus. Und eins der Kinder, ein gewisser Jeremias Zwich, hat erst eines der Mädchen brutal mit einem Messer erstochen und danach das gesamte Haus niedergebrannt. Bei dem Brand kamen noch 4 andere Kinder, einschließlich Jeremias, ums Leben." Alva erzählte es so ruhig und gelassen, als würde sie über ihr Lieblingsbuch reden. "Das ist ja schrecklich", sagte Dorothy. "Und was ist mit den anderen Kindern passiert?", wollte ich wissen. "Nichts. Man hat sie erst in der Dorfschule untergebracht und später hat man unten im Dorf, am Pfarrhaus, angebaut und dann sind sie dorthin gekommen. Erst 1894 hat man dieses Gebäude neu erbaut und die Wilburry Familie hat eine Schule draus gemacht." "Das ist ja gar nicht so lange her", meinte ich, "knapp 60 Jahre." Die anderen nickten. "Ich finde solche Geschichten ziemlich gruselig", sagte Dorothy. "Wirklich? Ich finde es sehr spannend. Besonders, da es ja wirklich passiert ist. Was liest du denn gerne, Dot?" Alva stand auf und ging im Zimmer umher. Sie examinierte den Bücherstapel auf der Fensterbank, der definitiv nicht Dorothy gehörte. "Ich liebe Romane. Und Dramen. Und ganz besonders Jane Austen." Ihre Augen glänzten, als sie den Namen der Autorin nannte. "Aha." Gelangweilt wandte sich Alva wieder zu uns und seufzte: "Damit konnte ich nie etwas anfangen. Cat. Liest du auch sowas?" Ich zögerte nicht lange: "Nein. Ich mag Detektivgeschichten!" Ich liebte Detektivgeschichten. Ich konnte mich stundenlang in ein Buch vertiefen und ich würde nichts mitbekommen, was um mich herum geschah. Ich liebte es, den Fall beim Lesen selbst auf zu klären und erst das Ende zu lesen, wenn ich mir mit meiner Theorie sicher war.

Der Tanzbär // AbgeschlossenWo Geschichten leben. Entdecke jetzt