Das Frühlingsfest - Am Anfang war ...

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Es war der 13. Februar. Ein Freitag. Ob das Schicksal uns wohl mit diesem Datum einen Streich spielen wollte? Uns daran erinnern wollte, wie unfassbar mies wir im Rätsel lösen waren? Ich weiß es nicht. Dafür weiß ich andere Dinge.
Zum Beispiel, dass der Unterricht auf Grund der Festvorbereitungen nicht stattfand. Dass das Wetter ziemlich mild geworden war und der letzte Schnee taute. Dass ich sehr aufgeregt war und kaum geschlafen hatte.

Denn heute war das Frühlingsfest.

Am vorherigen Tag fuhren Dorothy und ich in die Stadt, um mir ein hübsches Kleid für den Abend zu kaufen. Wir gingen in einige Läden und ich probierte bestimmt zehn verschiedene Kleider an, bis wir ein perfektes fanden. Es war lila und besaß einen Petticoat mit floralen Mustern. Erst hatte ich befürchtet es würde mir nicht stehen, da ich nicht so eine gute Figur wie Dorothy habe, aber nach der Anprobe schaute ich zufrieden in den Spiegel. "Das steht dir sehr gut", sagte Dorothy und strich mir prüfend die Haare aus dem Gesicht. "Noch eine hübsche Frisur und du bist perfekt!" Ich lächelte, aber innerlich stand ich der Verzweiflung nahe. Würde sie es auch so sehen? Würde sie überhaupt da sein? "Es wäre gut möglich, dass sie einfach in der Bibliothek bleibt und gar nicht kommt", flüsterte die Stimme in meinem Kopf.
"Hey. Alles wird gut. Mach dich nicht verrückt", sagte Dorothy sanft und legte ihre Arme um meine Schultern. Sie schenkte mir ein aufmunterndes Lächeln. Ich starrte nur verwirrt ihr Spiegelbild an: "Wie hast du-? Ich mein-" "Glaubst du, ich merke nicht, wenn du verliebt bist? Du bist in letzter Zeit so oft in Gedanken vertieft und krank bist du ganz sicher nicht. Egal wer es ist: Du wirst ihn beeindrucken. Und jetzt komm. Wir haben nicht mehr so viel Zeit. Der letzte Bus fährt um sechs und wir müssen um sieben schon wieder im Internat sein."
Dorothy hatte also keine Ahnung. Das war in Ordnung. Ich würde ihr es irgendwann sagen. Ich zog mir wieder meine normalen Sachen an, bezahlte das Kleid, welches zum Glück nicht so teuer war, und machte mich dann mit Dorothy auf zur Bushaltestelle.
Auf dem Weg zurück redeten wir nicht. Ich schaute aus dem Fenster und dachte an die Wochen, die wir hinter uns hatten, während Bäume und Felder an uns vorbei zogen.

Es war schwer, Zeit zu finden um zu reden, wenn man noch 5 bis 8 Stunden pro Tag im Klassenzimmer verbrachte - die zusätzlichen Aktivitäten und Mengen an Hausaufgaben ausgenommen. Wir haben uns in jeder Pause unter dem Walnussbaum getroffen und darüber spekuliert, wo uns dieser Fall noch hinführen würde. Zu nichts, anscheinend.
Ob sich Alva bei Frank entschuldigen konnte? Und was Martin und George wohl gerade taten? Irgendwie mussten wir weiter kommen, nur wie? "Wer hat eigentlich den Schlüssel?", unterbrach ich die Stille. Dorothy dachte lang nach, ehe sie sich räusperte: "Ich glaube Frank hat ihn... Aber sicher bin ich mir da nicht." Na toll. Ich seufzte: "Ihn zu verlieren, können wir uns nicht leisten." "Beruhig dich, Catherine. Du musst dir bestimmt keine Sorgen machen." Ich lehnte mich etwas zurück und mein Blick schweifte wieder zum Fenster. Ich machte mir aber Sorgen. Langsam vermischte sich das erste Neugrün der Bäume mit dem Grau des Schneematsches vor meinen Augen. Ich schloss diese und fiel in einen unruhigen Schlaf, aus dem ich erst erwachte, als der Bus bremste und Dorothy mich wach rüttelte.

Nach dem Abendessen ging ich direkt auf mein Zimmer. Ich hatte keine Lust, mich mit meinen Freunden zu treffen. Ich hatte keine Lust, meine Hausaufgaben zu machen. Ich wollte nur schlafen. Aber das fiel mir schwer. Meine Aufregung war einfach zu groß. Außerdem war Meredith da, schrieb einen Brief -vermutlich an ihre immerkranke Mutter- und summte ständig vor sich hin. Als ich endlich einschlief träumte ich nichts, woran ich mich erinnern konnte.

Es war Freitag der 13. und am Anfang war das Chaos.

Als ich zusammen mit Gwen und Meredith in den Speisesaal kam, wurde schon heftig über das Fest diskutiert. Alle waren aufgeregt und auch auf mich färbte es ab. Ich setzte mich gut gelaunt und mit einem vollen Tablett zu meinen Freunden. "Warum feiert man das eigentlich im Februar? Es ist doch gar nicht so frühlingshaft?", fragte Alva gerade. Sie schenkte mir ein warmes Lächeln, das ich nur allzu gern erwiderte. "Die ersten Knospen blühen, der ganze Schnee schmilzt. Die Vögel zwitschern! Also ich finde das sehr frühlingshaft", entgegnete Dorothy mit einem verträumten Blick. "Wenn du meinst..." Alva biss augenverdrehend in ihr Brötchen. "Ich fände es auch im März besser, glaub ich", schaltete sich George ein, der neben Dorothy saß und ihr einen Arm um die Schulter gelegt hatte. "Aber ich bin froh, dich schon heute Abend zum Tanzen auffordern zu können." Er gab ihr einen kleinen Kuss auf die Wange und Dorothy errötete leicht. Frank beachtete uns nicht, sondern starrte ab und zu möglichst unauffällig zu Carter Poes Tisch.

"Hallo Missy!" Ein Junge ließ sich neben mir fallen. Seine Haare hingen ihm strubbelig im Gesicht. Auf seinem Pullunder befand sich ein schlecht aufgenähtes Wappen, das auf blauem Grund einen Löwen trug. "Wo ist denn deine Brille?", fragte ich. Schockiert betastete mein Freund sein Gesicht und stieß ein leises Fluchen aus. Ich hatte ihn noch nie fluchen hören. "Sie lag doch auf dem Nachttisch, oder?" Martin wandte sich zu George. Dieser zuckte nur mit den Schultern. "Na du wirst sie schon finden. Wir suchen nach dem Essen mal. Wir haben ja heute keinen Unterricht und ich muss erst gegen zehn beim dekorieren helfen", bot ich an. Martin nickte dankbar. Dann löste er meine Probleme und stellte die Frage, die mich schon die ganze Zeit beschäftigte: "Alva? Kommst du heute Abend eigentlich auch? Oder bleibst du in der Bibliothek?" Ich wurde nervös. Alva schaute Martin fragend an. Es war so ein "meinst du das ernst?"-Blick. Langsam legte sie ihr Brötchen auf den Teller. "Was ist das für eine Frage? Natürlich komme ich. Ich habe sogar schon ein sehr hübsches Kleid für diesen Anlass. Außerdem", ihre eiskalten Augen musterten mich, "möchte ich zum Tanzen aufgefordert werden. Meine Ausgangssperre wurde extra dafür aufgehoben." "Wer will dich denn schon zum Tanzen auffordern?", lachte es hinter uns. Ich drehte mich um und erblickte das gehässige Grinsen von Abigail Cook, Chloe Hensley und Lucy Ward.

Abigail fuhr sich mit der rechten Hand durch ihre perfekt gekämmten, blonden Locken, stützte sich mit der linken auf ihrer perfekten Wespentaille ab und schenkte uns einen abschätzigen Blick. Ebenso tat es Chloe. Seitdem sie mit Damien Burningham zusammen war, hielt sie sich für die Schönste und Beste - nach Abigail natürlich. Sie war kleiner als ich, dafür aber sehr viel dünner. Manchmal tat sie mir leid, wie sie so durch die Gänge wandelte, immer auf der Jagd nach einem neuen Opfer, wie ein hungriger Storch im Feld. Durch ihren dunkelbraunen, geraden Pony starrte sie mir direkt in die Seele. Es waren kleine Augen, fast schwarz. Halb hinter ihr kicherte Lucy vor sich hin. Sie war perfekt gestylt, ihre braunen Haare fielen in Locken um ihren Kopf und sie trug sogar Make-Up. Naja. Einige Mädchen taten das, aber Lucy Ward übertrieb es ein wenig. Ich habe ja von ihr schon berichtet und muss daher hoffentlich nicht erklären, warum sich Dorothy nun in ihrem Stuhl sehr klein machte und George seine Muskeln anspannte.

"Ja genau. Wer will dich denn schon zum Tanzen auffordern, du Freak?", wiederholte Chloe Abigails Worte. Es wurde plötzlich stiller. Einige Schüler in der Nähe hatten aufgehört miteinander zu reden. Die Atmosphäre verschärfte sich. "Ich würde." "Was hast du gesagt?" Sofort wurde es noch stiller. "Ich würde sie zum Tanzen auffordern." Martin war aufgestanden und funkelte Abigail und Chloe wütend an. Und wir starrten alle Martin an. Besonders Alva saß mit offenem Mund da und wusste nicht, was sie tun sollte. Nach einer Minute des Schweigens lachte das blonde Mädchen laut auf. Chloe und Lucy stimmten mit ein. "Das passt ja gut. Der Streber und der Freak!", rief Chloe lachend. Martins Ausdruck verdunkelte sich. "Wie hast du mich gerade genannt?", flüsterte er. Es war ein scharfes, wütendes Flüstern. "Hey. Niemand nennt meinen Freund einen Streber!" Auch George war aufgesprungen. Dorothy versuchte ihn wieder zurück zu ziehen, aber es half nichts. "Was wollt ihr eigentlich, ihr miesen Püppchen? Geht doch wieder in eure Ecke und tratscht über falsche Gerüchte, Mode oder Jungs." Plötzlich stand Damien Burningham, der an Carters Tisch saß, auf und ging mit schnellen Schritten auf George zu. "Wie redest du mit meiner Freundin?" Dann ging alles drunter und drüber. Ehe ich blinzeln konnte taumelte George zurück, da Damiens Faust in sein Gesicht schlug. Doch George nutzte die Tischkante gekonnt als Mittel zum Schwung holen und prallte gegen den starken Körper des anderen Jungen. Es riss sie beide von den Füßen und sie landeten hart auf dem Boden. Ich hatte noch nie eine Schlägerei mitbekommen und ich wünsche mir, dass ich auch nie wieder Zeuge einer werde. Die Jungen prügelten sich, schubsten und schrien, während Schüler einen Kreis um sie herum bildeten. Sie alle feuerten an und riefen die Namen der Streitenden. Dorothy saß schockiert da, wollte nicht hinschauen und doch konnte sie ihren Blick nicht abwenden. Ich und Alva versuchten sie zu beruhigen, während Frank und Martin los stürzten.
Erst als ein Lehrer kam, löste sich die Situation. George und Damien wurden zum Direktor geschickt, das Frühstück für beendet erklärt. Grummelnd verzogen sich die Schaulustigen und wir machten uns daran, die in Tränen aufgelöste Dorothy in den Gemeinschaftsraum zu geleiten.

Der Tanzbär // AbgeschlossenWo Geschichten leben. Entdecke jetzt