Das Frühlingsfest - Dunkel war's

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"Alles in Ordnung?", fragte ich, nach einer knappen Stunde. Wir hatten Dorothy erst einmal allein gelassen und ich war mit Martin losgezogen, um seine Brille zu suchen. Mädchen durften sich im Jungengebäude nur bis zum Abendessen aufhalten, dann war es verboten. Dennoch konnte man sich ja im öffentlichen Gemeinschaftsraum im Hauptgebäude oder der Bibliothek treffen und einige Mädchen (und einige Jungen, da das Verbot natürlich auch anders herum in Kraft trat) waren sich oftmals nicht zu schade, um gegen die Regeln zu verstoßen.

Wir fanden die Brille unter Martins Bett. "Wie kommt sie denn hier hin?", fragte ich verwundert. "Ist mir wohl gestern Abend runtergefallen... Ich war ziemlich müde."
"Aha."
Schweigen.
"Also... Gehen wir wieder zu Dorothy?", fragte Martin nach bestimmt zwei Minuten. Ich nickte. Prüfend setzte mein Freund seine Brille auf, doch schreckte er kurz zurück und nahm sie direkt wieder ab. "Die muss dringend sauber gemacht werden."
Er putzte sie kurz am Waschbecken im Badezimmer des Jugengebäudes und setzte sie dann auf. Zufrieden nickte er und wir machten uns auf den Weg zum Gemeinschaftsraum.

Jetzt saß Dorothy auf einem der Sofas und zitterte leicht. Ihre Augen waren gerötet und sie selbst etwas blass um die Nase. Vorsichtig legte ich meinen Arm um ihre Schulter, während Martin fragte, wie es ihr ginge. "Danke. Es geht schon. Ich möchte eigentlich nur wissen, wie es ihm geht." George war noch nicht wieder da. Man hatte ihn zum Direktor geschickt, womöglich könnte er aber auch im Krankenzimmer sein und sich verarzten lassen. "Wir könnten ihn suchen gehen", schlug ich vor. "Das wird nicht nötig sein", ertönte plötzlich eine vertraute Stimme hinter uns.
"George!" Dorothy war aufgesprungen, fiel ihm um den Hals und küsste ihn mehrmals stürmisch. Dann löste sie sich mit glühenden Wangen von ihrem Freund und betrachtete ihn voller Sorge: "Tut es sehr weh?" George hatte eine aufgeplatzte Lippe und ein dunkelrotes, geschwollenes Auge. Auf seiner linken Wange klebte ein Pflaster. Er grinste schief. "Nein. Es geht schon wieder. Damien hat echt was drauf." "Aber du warst bestimmt auch nicht schlecht, oder?" Frank war ihm mit Alva gefolgt und klopfte dem Kleineren nun leicht auf die Schulter. "Och naja. Man tut, was man kann. Ich glaube, Damien hat mehr als ein Pflaster, das ihn heute Abend ziert." Wir lachten. Nur Dorothys Stirn war voller Sorgenfalten. "Wir sollten das kühlen. Komm, ich geb dir einen kalten Lappen. Dann geht der Schmerz bald wieder weg", meinte sie bestimmt und war schon drauf und dran, George aus dem Raum zu ziehen. "Und was ist noch passiert?", rief Martin ihm hinterher. "Nichts", schallte es aus dem Flur, "nur eine Verwarnung."

"Es war trotzdem riskant", murmelte Alva, nach einer Weile. "Jetzt schauen wieder alle auf uns." Ich seufzte: "Dabei haben wir doch gar nicht angefangen." Wir ließen uns in die Sessel und Sofa fallen. Ich saß neben Martin, Frank und Alva mir gegenüber. Alva sah mal wieder perfekt aus, in ihrem braunen Rock und der dunkelgrauen Bluse. Die ließ ihre eisblauen Augen noch mehr strahlen. Ihre Haare trug sie heute offen, nur eine kleine, vordere Strähne hatte sie mit einem hellblauen Band geflochten. Sie sah wie immer umwerfend aus.

Ich dagegen trug, wie so oft, meinen dunkelblauen Pullover, dazu den grauen Rock und die graue Strumpfhose. Meine kurzen, dunklen Haare waren unordentlich durchgebürstet, Müdigkeit war mir ins Gesicht geschrieben. Ich war ein Desaster.
Es sah bestimmt lustig aus, wie ich neben dem hübsch gekleideten und gepflegten Martin Cole saß. Da konnten selbst die Augenringe, die er immer hatte, nichts dran ändern. Jedoch schien sich Frank nichts aus ordentlich gebügelter Wäsche zu machen. Sein weißes Hemd warf die absurdesten Falten und auch die schwarze Hose wollte nicht so fallen, wie gedacht. Doch irgendwie wirkte es an ihm sehr gewollt und er sah verdammt gut aus.

Er sah immer gut aus.

Seine langen, schwarzen Locken fielen in kleinen Strähnen in sein Gesicht und umspielten sanft sein kantiges Kinn. Seine Haare waren ungefähr so lang wie meine, nur dass es ihm so viel besser stand als mir.
Ich fühlte mich in Sachen Mode schon immer unwohl in meinem Freundeskreis. Bei meinem 'Modegeschmack' konnten selbst Dorothys Tipps mir nicht richtig helfen.

Mein Blick wanderte wieder zu Alva. Sie starrte lustlos auf den Boden und spielte mit den Fingern an einer Haarsträhne. "Abigail hat angefangen. Es ist alles ihre Schuld. Und das behindert unsere Ermittlungen", gab Martin von sich. Auch er starrte auf den, mit Teppich geschmückten, Boden. "Welche Ermittlungen denn? Wir ermitteln im Moment gar nichts mehr", warf ich ein. "Stimmt ja."
Schweigen.
Ich wollte das Thema wechseln. Die Stimmung drückte mir zu sehr auf die Brust, es tat nicht weh, aber es war unangenehm und raubte mir langsam die Luft und den Verstand.

"Also", fing ich an, bedacht auf einen fröhlicheren Tonfall, "Was machen wir nun? Wer ist wo eingeteilt? Wollen wir helfen gehen?" Martin blickte auf: "Mr. Pope hat mich zum Girlandenaufhängen verdonnert. Ich sollte wohl besser hingehen." "Ich soll beim Essen helfen", sagte Alva und stand auf. Ich überlegte, für was mich Mr. Pope eingeteilt hatte: "Ich glaube, ich sollte auch Girlandenaufhängen." Martin verdrehte gespielt genervt die Augen: "Dann werde ich Missy heute ja nie los!" "Bitte?", gab ich gespielt empört zurück. Er lachte und hielt mir vornehm die Hand hin: "Verzeiht; Oh holde Dame. Ich werde natürlich jede Sekunde, die ich mit Euch teile, genießen, als sei es meine Letzte!" Ich legte meine Hand zaghaft in seine, wie es eine junge Dame in einem dramatischen Liebesroman wahrscheinlich getan hätte und seufzte träumerisch: "Oh mein lieber Herr. Wenn ich Sie nicht hätte..."
Wir lachten und standen ebenfalls auf.
"Frank? Was machst du?" Ich schaute ihn erwartungsvoll an. "Oh...", er schreckte hoch, als hätte er uns gar nicht gehört und wüsste nicht, dass wir da wären. "Ich hab noch etwas anderes zu erledigen, entschuldigt mich." Er erhob sich aus dem Sessel und verließ ohne weitere Worte den Raum. "Was ist wohl jetzt schon wieder los?", fragte ich, doch meine Freunde schienen ebenso ratlos zu sein, wie ich.

Dunkel war's und ich hängte die letzten Girlanden auf.
Den ganzen Nachmittag war ich damit beschäftigt gewesen, zusammen mit ein paar anderen Schülern, den Speisesaal auszuräumen. Wir stellten die Tische und Bänke in kleine Abstellkammern und es dauerte mehrere Stunden, bis endlich alles aufgeräumt und sauber war. Dann fingen wir an zu dekorieren. Ab und zu sah ich Alva, wie sie kalte Platten auf eine lange Reihe von Tischen stellte. Wir nickten uns freundlich zu und je später es wurde, desto aufgeregter wurde ich.
"So. Das wars." Zufrieden stieg ich von der Leiter und betrachtete unser Werk. Mr. Pope pfiff anerkennend durch die Zähne, während er mit seinen langen Beinen durch den Saal strakste. "Nicht schlecht, nicht schlecht", murmelte er leise. Dann drehte er sich zu den Dekoranten um und sagte: "Das habt ihr sehr hübsch hinbekommen. So wird das jedem gefallen. Und jetzt los, macht euch fertig." Er scheuchte uns mit einer Geste aus dem Raum und schloss die Tür hinter uns. Es wurde aber auch wirklich Zeit. Noch eine Stunde, dann würde es losgehen.

Der Tanzbär // AbgeschlossenWo Geschichten leben. Entdecke jetzt