F. H.

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Ich fand Alva nach dem Abendessen in ihrem Zimmer. Sie lag auf dem Bauch auf ihrem Bett und hatte die Augen geschlossen. Sie hob nicht einmal den Kopf, als ich in ihr Zimmer kam. Alva lauschte einer leisen, zarten Melodie. Sie hatte die Spieluhr aufgeklappt und der goldene Bär drehte sich langsam zur Musik. Ich setzte mich auf den Boden vor ihr Bett und lehnte mich mit dem Rücken gegen das Gestell. Auch ich schloss die Augen und ertrank in den leisen Fluten der Melodie. Mein Körper entspannte sich und ich merkte, wie glücklich ich war.
Ich hatte in den letzten Tagen so viel erlebt und jetzt sogar eine richtige Freundin. Es war einfach wundervoll und ich hätte mir nichts schöneres vorstellen können.
Wir lauschten dem Lied, bis es mit einem zarten Klicken verstummte.
Alva klappte stumm die Spieluhr zu, stellte sie auf ihr Nachtschränkchen und ließ sich dann neben mich auf den Boden gleiten. Sie nahm meine Hand und legte den Kopf auf meine Schulter. Gemeinsam starrten wir die Wand an.
"Ich hätte auch zu dir aufs Bett kommen können", sagte ich. Meine Stimme in dieser Stille zu hören war ein seltsames Gefühl und mir war irgendwie nicht wohl dabei. "Das ist doch egal", antwortete meine Freundin, während sie sanft über meinen Handrücken strich. "Vielleicht. Aber der Boden ist nicht so bequem wie eine Matratze." "Ach sei still."
Es wurde dunkler im Zimmer, die Sonne ging unter, aber keiner von uns wollte aufstehen und das Licht anmachen.

"Was meinst du. Warum hat George-?", fing ich nach einer Weile an, doch Alva unterbrach mich sofort: "Er hatte den gleichen Gedanken wie ich. Es ist noch nicht vorbei, Cathy. Spürst du das nicht? Wir wissen nichts. Das mit Sophia scheint für mich ein totaler Zufall zu sein." "Du meinst, da ist noch etwas größeres?" Dieser Satz löste zwei Gefühle in mir aus. Zum einen war es Angst. Angst um mich und meine Freunde. Zum anderen war es Nervenkitzel. Ich kann es nicht gut beschreiben, aber es fühlte sich spannend und aufregend an, dass da vielleicht noch ein Mysterium auf uns wartete. Und ich konnte mich nicht entscheiden, welches der Gefühle für mich Priorität hatte.
Ich langte die Spieluhr vom Tischchen und besah sie mir noch einmal.
Den Schlüssel hatten wir aus Vorsicht in Franks Besitz gelassen, der ihn irgendwo in einer Schublade versteckte. Wenn man sich den kleinen Kasten so ansah, wäre man nicht auf die Idee gekommen, dass er überhaupt einen Gegenstand beinhaltet hatte. Ich staunte immer wieder über die Perlen-Verzierungen, die filigranen Ornamente im aufgeklappten Deckel und den goldenen Bären. Es war ein kostbares, wahrscheinlich sehr wertvolles Stück. Viel zu teuer für einen gewöhnlichen Lehrer. Es musste entweder ein Erbstück sein, oder ein Geschenk eines wohlhabenden Freundes. Ich betrachtete noch einmal die eingravierten Buchstaben. Oder könnte es vielleicht ein Geschenk einer Geliebten gewesen sein? F. H.
Irgendetwas schien ich zu übersehen. Etwas, dass die anderen, oder zumindest George und womöglich auch Alva schon in Betracht zogen.
Ich erinnerte mich zurück, an Georges Frage. "Wie hieß deine Mutter?" Wieso-?

"Oh."

Alles setzte sich wie ein Puzzle zusammen.
Wieder einmal hätte ich mich für meine Dummheit schlagen können. F.H. Wenn das alles wirklich mit Alvas Familie zu tun hatte, dann könnte es doch sein, dass die Buchstaben für den Namen von Alvas Mutter standen. Mr. Marsh schien ja Kontakt zu ihr gehabt zu haben. "Hm?" Alva schaute auf und ich blickte in diese klaren, eisblauen Augen. Ich konnte nicht anders, als sie zu küssen und in eine lange Umarmung zu ziehen.
"Morgen gehen wir gemeinsam in den Geheimraum und lösen alles, okay?" "Okay."
Ich kuschelte mich wieder an sie und versuchte einmal nicht an den Fall zu denken. Oder an die Prüfungen, die noch vor mir lagen. Innerlich seufzte ich. Nächste Woche würde Mr. Pope uns abfragen und zwei Tage danach stand der Französischtest bei Mr. Joplin an. Und für Mrs. Walker musste ich noch ein Bild fertig zeichnen... Detektiv sein und gleichzeitig Unterricht meistern, war wirklich nicht leicht.
Zum Glück hatte ich all meine Freunde, die mich unterstützten.

"Du, Catherine? Möchtest du bei mir übernachten?" Alva flüsterte fast. Mittlerweile war es ziemlich dunkel geworden und Mondlicht war das einzige, was den Raum erhellte. Ich wurde ganz aufgeregt. "Natürlich", antwortete ich, "Ich lass es mir doch nicht entgehen, neben meiner perfekten Freundin zu schlafen!" Sie lachte und kniff mich sanft. "Aber ich glaube, ich hole mir einen Pyjama. Deine dürften mir etwas zu klein sein", sagte ich und stand auf. Auch Alva erhob sich und strich ihre Haare nach hinten. "Dann bis gleich!"

Es ist schön, neben jemandem zu schlafen, den man liebt. Umso schmerzvoller ist dann aber der Wecker am Morgen, der einen aus den Träumen reißt.

"Guten Morgen Missy!" Martin kam freudig auf mich zu. In seiner Hand das Tablett mit Frühstück. "So hast du mich ja lang nicht mehr genannt", konterte ich und biss von meinem Brötchen ab. Mein Freund setzte sich neben mich und zwinkerte mir zu: "Dann wird es aber Zeit, dass ich es wieder mache!" "Pft!" Mehr gab ich nicht als Antwort. "Hallo Leute." Frank und George kamen an unseren Tisch und setzten sich dazu. Ich nickte ihnen freundlich zu. "Wo ist Dorothy?", fragte ich neugierig. Eigentlich war sie immer an Georges Seite. Selbst morgens. Aber ihr Freund zuckte nur mit den Schultern. "Vielleicht ist sie krank?", meinte Alva. Ich hielt weiter nach ihr Ausschau, aber meine rothaarige Freundin war nirgends zu sehen. Also fragte ich Baverly, die gerade an unserem Tisch vorbei ging.
"Dorothy liegt im Bett. Fieber. Sie schafft es nicht mal bis zur Krankenstation", sagte sie und schaute George traurig an. "Sie möchte nicht, dass du sie besuchen kommst, da du dich nicht anstecken sollst." "Oh." Ich merkte, wie seine Schultern etwas tiefer sanken. Ich setzte ein Lächeln auf, von dem ich hoffte, es würde beruhigend wirken: "Wir können ja heute Abend alle mal vorbeischauen. Vielleicht geht es ihr dann etwas besser." Baverly nickte nachdenklich. "Ja... Gerne. Ihr könnt gerne vorbei kommen." Ihr Blick huschte durch den Raum.
Na, ich muss dann aber jetzt auch mal weiter. Wir sehn uns in Geschichte", meinte sie, lächelte mich kurz an und verschwand wieder in der Menge.

"Ich wusste, die ganze Sache ist nicht gut für sie", sagte George missmutig. "Ach was. Das ist normal für diese Jahreszeit", erwiderte Martin und biss in einen Apfel. Alva schenkte sich etwas Wasser nach: "Das wird schon wieder werden, mach dir keine Sorgen!" "Hm." George schien davon nicht beeindruckt zu sein. Aber ich hatte keine Lust auf seine schlechte Laune. Also wechselte ich das Thema: "Frank, wie geht es Carter?" "Ich habe ihn heute auch noch nicht gesehen... Hoffentlich ist er nicht auch krank." Na super. Mein Themawechsel hatte ja gut geklappt.

"Ich habe ein neues Buch angefangen", warf sich Martin in unsere Unterhaltung. "Was denn?", fragte Alva neugierig. "Der Hund der Baskervilles." Frank seufzte: "Wirklich? Du liest Sherlock Holmes?" Entrüstet drehte sich Martin zu ihm und verschränkte seine Arme: "Ist etwas falsch daran?" Seine Augen funkelten fast böse. "Nein, nein! Es ist nur-" "Nur so makaber", fiel ich Frank ins Wort. "Wir spielen selbst Detektiv und du liest darüber." "Wir spielen nicht, Cathy. Wir sind Detektive. Wir haben einen Fall gelöst, verdammt nochmal!" Ich hatte Martin selten so empört gesehen. Anscheinend nahm er das ganze sehr ernst. "Ja, ist ja schon gut", versuchte ich ihn zu beruhigen. "Ist es denn spannend?" "Ja. Sehr." Damit erhob er sich und hängte sich seine Tasche um. "Wir sehen uns später."

Sein Tablett ließ er stehen.

Der Tanzbär // AbgeschlossenWo Geschichten leben. Entdecke jetzt