Simple Chemistry - VII

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Ivory

»Und was jetzt?«, rief ich Mace hinterher, als ich neben ihm schon bis zur Hüfte im Wasser stand und so gar nicht wusste was ich jetzt tun sollte.

»Komm schon Ivory, das ist keine Wissenschaft«, meinte Mace vollkommen entspannt und als ich ihm gerade meine Meinung geigen wollte, lag er auch schon auf seinen Board und paddelte weiter auf's Meer raus. »Go with the flow. Das ist Freiheit.«

Freiheit. Flow. Hm, er hatte recht. Also atmete ich einmal tief durch und folgte ihm.
So schwer konnte das doch nicht sein, oder? Immerhin hatte ich den Ablauf schon hunderte Male bei anderen gesehen - ich würde das doch auch irgendwie hinbekommen.
In meine ambitioniert-bockigen Gedanken vertieft, nahm ich Mace Fachsimpeleien über Paddel- und Aufstehtechniken gar nicht wahr; hatte er nicht zuvor noch gesagt, das sei keine Wissenschaft? So schwer konnte das doch nicht sein... Wahrscheinlich versuchte er nur mich mit seinem ach so tollen Fachwissen zu beeindrucken.

Wenig später saß ich auf meinem Board neben Mace und wartete. Und das sehr lange. »Sag mal, was genau machen wir hier eigentlich?«, wollte ich wissen, verschränkte meine Arme während Mace konzentriert auf den Horizont starrte. »Shh! Warten«, grummelte er leise, was so viel hieß wie: "sei gefälligst leise oder ich verpiss mich und lass dich hier draußen alleine".

Es herrschte eine Weile Stille, in der Mace weiter ins Nichts starrte und ich bockig meine Arme verschränkt hatte und auf meine Fingernägel sah. Na ja, bis zu diesem einen Kommentar. »Jetzt.«

Zuerst kapierte ich gar nichts. Wirklich nada. Aber als ich dann fragen wollte was los war, schaute ich das erste Mal wieder auf, was sich als böser Fehler herausstellte.

»Oh fuck«, murmelte ich als ich die gigantisch große Welle sah, die nur noch wenig von mir entfernt war und immer näher kam, und sah mich panisch nach Mace um. Der paddelte in die entgegengesetzte Richtung wieder zum Strand hin. Kann der sich nicht mal entscheiden?! Vollkommen in Panik wendete ich mein Board und tat es ihm gleich, doch bei mir sah es bei weitem nicht so easy und professionell aus wie bei ihm und ich hatte das Gefühl mich nur Zentimeter von der Stelle zu bewegen. Ich spürte wie meine Beine langsam aber sicher immer weiter vertikal nach oben gehoben wurden und hörte das laute Rauschen überdeutlich in meinen Ohren. Ich atmete hektisch und unkontrolliert schnell, verkniff es mir vehement, über meine Schulter nach hinten zu schauen, da ich genau wusste wo die Welle war und aber trotzdem nicht sehen wollte, wie nah sie mir tatsächlich schon war also starrte ich eisern nach vorne und kämpfte.

Ich sah, wie Mace sich gerade auf sein Board stellen wollte, als er dann doch noch einen kurzen Blick über seine Schulter warf, dann aber wieder nach vorne guckte. Doch plötzlich sah er noch mal nach hinten, sein Blick extrem besorgt, anscheinend hatte er meine nicht ganz so komfortable Situation schließlich doch noch bemerkt. Doch ich hörte ihn nur noch »Ivory!« schreien, bevor ich mit Gewalt von meinem Board gerissen wurde und innerhalb von Sekunden unterwasser gezogen wurde. Ich versuchte panisch an die Oberfläche zu gelangen, da ich weder Luft geholt hatte, noch darauf vorbereitet gewesen war. Doch die Strömung riss mich immer wieder zurück und als die Welle direkt über mir war, wurde ich unkontrolliert herumgewirbelt. Ich hatte keine Ahnung mehr wo oben oder unten war. Die Welle hatte mich ganz in ihrer Gewalt.

Ich dachte echt das wär's gewesen. Ich dachte echt ich würde sterben.

Aber plötzlich schlug ich auf sandigem Boden auf und das Wasser spülte über mich hinweg, bis es sich dann aber wieder ganz sanft von mir zurückzog und über meinen Körper zurück ins Meer floss. Benommen hob ich meinen Kopf ein Stückchen an und sah hinter mich. Ich lag am unteren Ende des Strands. Die Welle hatte mich an Land gespült. Ich war verdammte Scheiße noch mal am Leben. Ich schloss meine Augen und ließ meinen Kopf seitlich zurück in den nassen Sand sinken. Als ich sie wieder öffnete, sah ich wie das Board neben mir an den Strand gespült wurde.

»Ich dachte wir stehen das zusammen durch«, sagte ich benommen zu dem Board, »Verräter.«

Das Piepen in meinen Ohren ließ schnell nach und mir war auch nicht mehr so schwin-

»Ivory!« Mace. Ach ja, den gab's ja auch noch.

Ich öffnete meine Augen, obwohl sie von Salzwasser brannten und sah verschwommen, trotz der Kontakt-Linsen, wie er mit seinem Board unter dem Arm angerannt kam, es ein paar Meter neben mir in den Sand fallen ließ und neben mir zum stehen kam. »Heilige Scheiße Ivory!«, fluchte er weiter, sah anscheinend nicht dass ich (mehr oder weniger) wach war und kniete sich neben mich, um mich vorsichtig an den Schultern auf die Seite zu drehen. Und allein diese Bewegung reichte aus, damit ich anfing zu husten. So richtig. Abrupt setzte ich mich auf, hielt mir eine Hand auf die Brust und hustete Wasser. Während ich tief durchatmete, hörte ich wie Mace ebenfalls tief durchatmete und mich dann erleichtert an sich zog, um mich zu umarmen.

Er wollte doch nur dass ich ohnmächtig wurde. Denn als ich seine Wärme spürte, war ich kurz davor.

»Hey Ivy«, sagte er sanft und drückte mich an meinen Schultern ein wenig von sich weg um mich ansehen zu können und mich auf oberflächliche Verletzungen zu untersuchen. »Das nenne ich mal einen Stunt... Geht's wieder? Alles klar?«

Ich nickte, aber mein Körper zitterte. Nein, nichts war okay. Ich wäre da draußen fast verreckt. Ich merkte wie meine Augen wässig wurden, als ich nur daran zurück dachte. Das Rauschen. Das viele Wasser um mich herum. Aus meinem Augenwinkel löste sich eine Träne, die langsam meine Wange hinunter rollte, dann eine zweite, eine dritte.

»Oh Shit, hey Ivy. Ivy ich bin hier, alles gut, es ist alles gut. Ich bin hier«, reagierte Mace sofort als ich meine Beine eng an meinen Oberkörper zog und gleichzeitig zitterte und weinte wie ein kleines Kind. »Hey schau mich an«, er wiederholte das solange, bis ich schließlich zu ihm hochsah. Ich musste schrecklich aussehen. Doch er sah mir nur in meine Augen, ohne auch nur irgendwas schlechtes dabei zu denken. »Es wird gleich dunkel, du schläfst heute bei mir, ich kann dich in dem Zustand nicht alleine lassen, okay?« ich brachte es zustande, zu nicken. Er lächelte und zog mich einige Minuten später auf meine immer noch etwas wackeligen Beine; stützte mich als ich beinahe im Sand umgeknickt wäre. »Diesmal entführe ich dich aber mit deiner Erlaubnis.«

📚

Leicht zitternd saß ich zusammengekauert auf dem Beifahrersitz von Mace Chevrolet und starrte stumm geradeaus, während wir durch das Hipster-und-Surfer-Virtel, auf dem Weg zu Mace Wohnung, fuhren. Er hatte einen Arm aus dem Fenster gelegt und seinen Blick konzentriert auf die Straße gerichtet. Er sagte nichts. Fragte nichts. Drängte mich nicht, was gut so war, denn im Moment fühlte ich mich nur unwohl, wusste aber, dass er es nur gut mit mir meinte und es vernünftig war, diese Nacht nicht allein und in der Nähe von jemandem zu verbringen, der sich mit solchen Situationen und Reaktionen auskannte.

Wenig später parkte er in der Auffahrt eines kleinen Strandhauses und stieg aus. Ich hörte wie ein paar Typen ihn begrüßten, aber recht schnell wieder weiter gingen. Ich wollte gerade die Tür öffnen, als sie jedoch schon von außen geöffnet wurde. Mace lächelte mir entgegen. »Ich mach das schon Ivy.«

Es war mir ein Rätsel, wie er es geschafft hatte, mich stützend die Tür aufzuschließen, aber ich war so müde, dass ich mich einfach nur noch an ihm festhielt und mich von ihm wohin auch immer schieben zu lassen. Im Inneren stellte er mich wieder auf meine eigenen Füße und schaltete das Licht ein. »Die Treppe rauf und gleich die erste Tür rechts ist das Gästezimmer, schaffst du das Ivy?«, fragte er mich mit einem gewissen Hauch von Ironie in seiner Stimme. Ich rollte meine Augen und musste leicht grinsen. »Ich glaub das schaff ich grade noch alleine, Mace. Aber danke«, er lächelte als wäre das selbstverständlich, »Für alles.«

»Kein ding Ivy. Echt.«

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Ich glaube, das... war so ziemlich das komplette Gegenteil von dem... was alle erwartet haben, oder? Ich meine, safe dachtet ihr, dass es irgendwie voll romantisch und perfekt wird... aber es wurde eher das totale Desaster (und trotzdem romantisch)... was haltet ihr davon? Und vor allem: von Mace Verhalten!?
Schnell noch Tschau mit V,
~May&Bae

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