18. Kapitel

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Als Jule gleich darauf die Muschelsammlung auf einem kleinen Holztisch neben dem Fenster entdeckte, machte ihr Herz einen Sprung. Sie war sicher, dass sie die Muscheln gemeinsam mit Nathan gesammelt hatte, auf einem ihrer langen Spaziergänge am Strand. Und dort an der Wand, hingen vier schlichte Bilder, die den Berg zu den verschiedenen Jahreszeiten zeigten. Jule hatte sie Nathan zum Geburtstag geschenkt. Es rührte Jule, dass er die Muscheln und Bilder an den Ort gebracht hatte, an dem er sich vor dem Rest der Welt zurückzog, um zu schreiben... einem Ort, den er ihr, Jule vor allen anderen gezeigt hatte um zu hören, was sie davon hielt.

Nachdenklich runzelte sie die jetzt die Stirn, während sie sich zu Emma hinunterbeugte, um ihr die helle Jacke aufzuknöpfen und die Handschuhe und Mütze auszuziehen.

"Bitteschön, Engel!", sagte sie dann liebevoll lächelnd, wobei sie ihr durch die blonden Locken fuhr, die Emma jetzt wieder um die schmalen Schultern fielen. Beim Aufrichten spürte Jule Nathans Blick auf sich du ihrer Tochter ruhen.

"Ich schätze mal, ihr beide könntet einen Tee oder etwas anderes zu trinken vertragen, hm?" Er stand vom Kamin auf in dem das Holz unter den lodernden Flammen inzwischen zu knistern begonnen hatte und wischte sich den Staub von der schwarzen Cordjeans.

"Lass mich doch das Wasser aufsetzen", schlug Jule vor. "Du kannst dich dann ein bisschen mit Emma unterhalten, wenn du willst." Es fiel ihr nicht leicht, Verantwortung an ihrem Kind abzugeben. Aber falls Nathan tatsächlich das Sorgerecht mit ihr teilen wollte, müsste sie ihm vorher die Möglichkeit geben, sich allein mit ihrer Tochter zu beschäftigen, Emma zuliebe.

"Gern, wenn du willst. Die Küche ist zu deiner Rechten. Bestimmt findest du alles was du brauchst. Sonst rufst du einfach."

"Das mache ich." Jule lächelte unwillkürlich, aber er ging nicht darauf ein und an seinem Gesichtsausdruck änderte sich nichts.

"Ich mach dann mal den Tee."

"Da ist auch Saft für Emma."

"Super."

Die Küche, üblicherweise der Hauptaufenthaltsraum irischer Familien, war hell und groß und Jule hatte keine Probleme sich darin zurechtzufinden. Dabei hörte sie Nathan mit seiner tiefen Stimme Fragen stellen und Emma mit ihrer kindlichen darauf antworten. Jule wusste, dass sie jetzt nichts mehr ändern konnte. Trotzdem fürchtete sie sich vor einem möglichen Rückschlag, seitens der Cunninghams, wenn sie davon erfuhren, falls Nathan es ihnen bereits erzählt hatte.

Plötzlich stand er in der Küche und beherschte mit seiner Körpergröße, den breiten Schultern und der schwarzen Kleidung im Raum. "Hast du alles gefunden?"

"Ja, danke... Was hast du aus dem Cottage gemacht hast ist einfach unglaublich! Es ist richtig schön geworden, Nathan!", fügte sie freundlich hinzu und überprüfte, ob das Wasser schon kochte.

Er schwieg und ließ den Blick über Jule gleiten. Der hellblaue Pulli und die Jeans versteckten keine ihrer Kurven. Währendessen versuchte Jule vergebens ihre Hand beim Überbrühen der Teeblätter ruhig zu halten.

"Es war auf jeden Fall eine Arbeit, die mit viel Liebe ausgeführt wurde", erklärte er schließlich und überraschte Jule mitndiesem Eingeständnis erneut.

"Das sieht man."

"Emma ist so klug... Für ein Kind ihres Alters ist ihr Wortschatz außerordentlich."

Erstaunt über das Kompliment sah Jule ihn direkt an. In seinem schönen Gesicht könnte man bereits erkennen, wie tief seine Gefühle für E-Mail waren.

"Ja, sie lernt sehr schnell. Außerdem hat sie einen eisernen Willen und kann ziemlich bockig sein. Sie guckt ganz lieb, hat es aber faustdick hinter den Ohren!"

"Genau wie ihre Mutter, hm?"
Nathan hatte ganz leise gesprochen und sie murmelte verlegen: "Du sagtest, du hättest Saft."

"Ja, im Kühlschrank und im Schrank sind Kekse."

"Wir dürfen mitndem Nachhausefahren nicht zu lange warten. Die Wege hierherauf sind ganz schön unberechenbar. Im Dunkeln sollte wir da besser nicht unterwegs sein."

"Willst du schon wieder weg, Jule?"

"Überhaupt nicht!" Sie errötete, während sie alles für ihre Teestunde auf ein Tablett stellte, um es ins Wohnzimmer zu tragen.

"Ich weiß, dass wir noch viel besprechen müssen."

"Die Untertreibung des Jahrhunderts!", rief er aus und warf Jule einen Blick zu, der ihr schlagfertig das Gefühl von Wärme und Behaglichkeit nahm. Dann wandte er sich ab, um zu seiner Tochter zurückzukehren.

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