26. Kapitel

819 37 0
                                    

Am nächsten Tag stieg die Temperatur ein wenig über null und das Eis und der Schnee, die seit Wochen das ganze Land überzogen, begannen zu schmelzen. Während Jule und Emma ein reichhaltiges Frühstück aus Toast, Marmeldade und Haferbrei zu sich nahmen, lief das Tauwasser an den Eiszapfen herunter, die an der lecken Regenrinne entstanden waren und bildete eine rhytmische Geräuschkulisse.

Im Wohnzimmer erschien im Verlauf des Vormittags eine feuchte Stelle, von der es bald ebenfalls zu tropfen begann. Jule blieb nichts anderes übrig, als den Putzeimer unter dem Spülbecken hervorzuholen und amit das Wasser aufzufangen. Irgendwie erschien ihr das Ganze wie ein Zeichen, dass emma und sie sich tatsächlich nicht bis zu ihrer Rückkehr nach London im Cottage aufhalten konnten. Schon jetzt hatte sie dne Eindruck, dass die feuchte Kälte aus den Mauern ihr in die Glieder kroch. Sie warf einen Blick auf die Uhr und stellte fest, dass ihr nur noch eine halbe Stunde bleib, bis Nathan sie abholen wollte.

Beim Koffer packen kam ihr der Gedanke, dass es wie ein Sprung ins kalte Wasser wäre, jetzt zu nathan zu ziehen. Doch bei der Vorstellung, mit ihm zusammenzuwohnen, regten sich auch die Schmetterlinge wieder in ihrem Bauch.

Auf dem Parkett von Nathans eleganten Salon sahen ihre beiden alten Koffer völlig unpassend aus. Jule war noch nie irgendwo abgestiegen, es nur haln so elegant gewesen wäre wie in Oak Grove. Sie hatte ihren Dufflecoat anbehalten und fühlte sich in Jenas und Sweatshirt genauso fehl am Platz, wie ihr Gepäck wirkte. Währenddessen erkundete Emma längst hüpfend Raum um Raum ihrer neuen Unterkunft. Nathan hatte sie vorher aufgefordert, sich ruhig überall umzusehen.

"Willst du nicht ablegen?", fragte er jetzt und schloss die Tür, die zur großen Eingangshalle führte. Auch er trug lässige Kleidung, aber nicht irgendetwas Billiges von der Stange. Außerdem war er so gut in Form, dass ihm alles gestanden hätte. Während der kommenden Tage mit ihm unter einem Dach zu leben, kam Jule sich ein bisschen vor wie ein Opferlamm. Mit dem schwarzglänzenden Haaren, den jadegrünen Augen und dem markanten Kinnkonnte er einem jungen Mädchen schon den Kopf verdrehen. So wie er es auch bei ihr vor gut vier Jahren getan hatte...

"Wenn ich ehrlich bin, ist mir immer noch ein bisschen kalt", erklärte sie jetzt mit einem unsicheren Lächeln und ging näher an den Kaminheran, dessen Feuer wahrscheinlich von der haushälterin angezündet worden war und nun den Raum mit einem gemütlcihen Lichtschein erfüllte.

Während Jule sich die Hände daran wärmte, erklärte Nathan.

"Ein Wunder, dass ihr beide euch in dem Cottage keine Lungenentzündung geholt habt. Warum seid ihr nicht schon gestern hergekommen?"

"Ich habe dir doch gesagt, dass ich noch so viel erledigen musste. Dummerweise konnte ich nicht alle Sachen von Dad weggeben. Selbst bei einem Kirchenbasar wären sie nicht verkäuflich gewesen."

"Wenn du willst, kannst du sie hier irgendwo einlagern."

Mit ihren blauen Augen sah sie ihn erstaunt an. "Danke, aber es ist nichts Wichtiges dabei. Ich meine, ich hänge nicht besonders an materiellen Dingen, nur..."

"Nur, was?"

"Egal."

Nathan war der Meinung, dass Jule heute besonders blass und müde aussah. Zweifellos forderte der Verlust ihres Vaters jetzt seinen Tribut, genauso wie die neuen Lebensumstände, was den Einzug bei ihm betraf. Aber er wollte nicht zu mitfühlend sein. Trotzdem gab es da etwas in ihm, das sich danach sehnte, diese hübschen blauen Augen wieder zum Leuchten zu bringen. Doch diesem Drag nachzugeben wäre in jedem Fall gefährlich für ihn. Man konnte Frauen nicht vertrauen. Wenn ihm das inzwischen nicht klar geworden war, hatte er tatsächlich ein Problem. Wenn er sich vor zukünftigen Enttäuschungen bewahren wollte, durfte er sein Schutzschild keine Minute bei Jule hinunterlassen.

"Ich bringe deine Koffer ins Gäastezimmer. Du und Emma werdet es dort ganz gemütlich haben."

"Nathan?"

Als er den sanftrn Ton in ihrer Stimme hörte, blieb er wie angewurtzelt stehen.

"Weißt du eigentlich...? Kannst du dir vorstellen, wie schwer das für mich ist? Nicht nur, dass ich hier in deinem Haus wohne, sondern auch, dass ich hier mit dir zusammen bin und weiß, dass du mich hassen musst für das was ich getan habe. Wie können wir für Emma eine angenehme Atmosphäre schaffen, wenn du nicht einmal zulässt, dass wir Freunde sind?"

Einen Augenblick schloss er die Augen. "Ich bin nicht dein Feind, Jule", sagte er dann ein wenig zögernd, "und ich möchte, dass du dich in meinem Haus wohl fühlst. Aber im Augenblick müssen wir Emmas Bedürfnisse vor unsere eigenen stellen, damit sie sich besser eingewöhnt. Danach.. Nun, ich bin kein Hellseher."

Er nahm ihre Koffer und ging damit in die angegrenzte Eingangshalle. Dann öffnete er eine Tür, die wie Jule noch von früheren Besuchen wusste, in ein großzügiges Gästezimmer führte. Obwohl sie sich vorgenommen hatte stark zu sein, überwätltigten sie die Gefühle und in ihren Augen standen Tränen. Nathan wollte sie offenbar auf Abstand halten, indem er kühl blieb und ihr kein bisschen entgegen kam. Das tat unheimlich weh.

Zurück nach IrlandWo Geschichten leben. Entdecke jetzt