32. Kapitel

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Kurz vor Mittag war Jule auf dem großzügigen Sofa im Wohnzimmer über ihrem Buch eingeschlafen. Als es an der Tür klopfte, fuhr sie schuldbewusst hoch und eilte dorthin, wobei sie versuchte, ihr vom Schlafen zerzaustes Haar wieder in Ordnung zu bringen.

"Nathan!"

"Ich wollte nur mal sehen, ob du dich gut eingerichtet hast oder ob du noch irgendetwas brauchst. Margreth hat angeboten, Emma zum Einkaufen mit in die Stadt zu nehmen. Ich habe mein Einverständnis gegeben. War das in Ordnung?"

"Ja, aber..."

"Darf ich reinkommen?" Sein Gesichtsausdruck war schwer zu deuten und er zwängte sich an Jule vorbei ohne ihre Antwort abzuwarten. Jule blickte ihm noch ein wenig schlaftrunken nach.

"Was ist los?", fragte sie dann. "Du siehst aus, als würde dir etwas im Kopf herumgehen."

"Wenn du mich so fragst... ja, da wäre etwas." Er ging ihr voraus in den weitläufigen Wohnraum mit den Antiquitäten und den eleganten Teppichen. Als Jule ihm folgte und die angestrengte Falte zwischen seinen Brauen sah, schlug ihr Herz unwillkürlich schneller.

"Ich möchte, dass du mir von Emmas Geburt erzählst", sagte er dann und in seinen jadegrünen Augen spiegelten sich so viele Gefühle wieder, dass Jule für einen Augenblick ganz perplex war.

"Wie bitte?" Diesen Grund für seinen unerwarteten Besuch hätte sie nun wirklich nicht erwartet.

"Ich muss es wissen. Während ich heute mit ihr zusammen war habe ich mich gefragt..."

"Warum setzt du dich nicht erst einmal und machst es dir bequem? Ich erzähle dir gern alles was du wissen willst", sagte sie und überlegte, ob sie wirklich den Mut dazu hatte. Sie nahmen jeder in einer Ecke des Sofas Platz, auf dem Jule zuvor geschlafen hatte.

"Wo soll ich anfangen?"

"Wie war deine Schwangerschaft?", fragte er und hatte die Ellbogen auf seine langen Oberschenkel gestützt, die wie so oft in einer schwarzen Jeans steckten. Eine Locke hing ihm in die Stirn und Jule hätte sie ihm am liebsten aus dem Gesicht gestrichen. Doch dann atmete sie tief durch und versuchte sich daran zu erinnern, wie ihre Schwangerschaft verlaufen war.

"Die ersten drei Monate sind die schlimmsten gewesen, glaube ich. Mir war furchtbar schlecht und ich konnte nichts bei mir behalten. Aber danach... fühlte ich mich unglaublich gut, irgendwie im Einklang. Als ob... als ob sich Mutter Natur höchstpersönlich um mich kümmern würde." Sie wurde verlegen und spürte, wie sich ihre Wangen röteten, aber Jule sah sie an, als ob jedes Wort, das von ihr kam, irgendwie lebenswichtig wäre. Das gab ihr die Kraft weiterzusprechen.

"Die letzten sechs Wochen waren dann noch einmal eine Herausforderung... ich meine, das Laufen fiel mir schwer. Ich bin geschwankt, kam mir unheimlich langsam und voluminös vor. Außerdem bin ich sehr müde gewesen. Aber Tante Lucy war ganz großartig und hat mich immer dazu angehalten mich auszuruhen."

"Und wie war die Geburt? Was passierte an dem Tag?"

"Ich bin um ein Uhr morgens mit Wehen aufgewacht. Ich wusste gleich, dass es jetzt losgehen würde, denn ich war eine Woche über die Zeit. Meine Tante rief einen Krankenwagen und die Sanitäter kamen und brachten mich ins Krankenhaus. Ich lag fast zwanzig Stunden in den Wehen." Sie schnitt ein Gesicht.

Als Nathan hörte, dass sie so lange gelitten hatte, wurde ihm ganz anders.

"Zwischenzeitlich gab es Komplikationen und die Ärzte haben überlegt einen Kaiserschnitt zu machen. Aber ich wollte unbedingt eine natürliche Geburt! Irgendwie wusste ich, dass alles gut gehen würde... 'Gottvertrauen' könnte man das auch nennen. Emma hatte starke Lungen und brüllte den ganzen Kreißsaal zusammen. Da hätte ich mir schon denken können, dass sie mal eine Menge zu erzählen haben würde!"

Als Nathan Jule auf der Dorfstraße begegnet war, hatte er Wiedergutmachung für das gewollt, was sie ihm angetan hatte. Doch jetzt von der Geburt seiner Tochter zu hören, führte dazu, dass er nicht einmal den Gedanken ertrug Jule oder Emma würde ein Haar gekrümmt.

"Und dann, als du mit ihr nach Hause gekommen bist, wie hat sie geschlafen? Erik hat immer.."

Er sprach nicht weiter, wollte auch den Gedanken, der ihm so unerwartet gekommen war, nicht zu Ende denken. Trotzdem spürte er eine Stich im Herzen.

"Was hat Erik immer getan?", drängte Jule sanft und beugte sich zu Nathan. "Hat er wenig geschlafen? Musstest du nachts zu ihm gehen?"

Nathan, der unwillkürlich die Luft angehalten hatte, atmete langsam wieder aus und das Gefühl der Enge in seiner Kehle löste. Er strich sich die Locke zurück, doch sie fiel ihm erneut in die Stirn. "Manchmal sogar mehrmals die Nacht. Alice hat sich immer über ihre gestörte Nachtruhe beschwert, also habe ich mich um ihn gekümmert. Mir hat das nie etwas ausgemacht. Es war eine Gelegenheit für uns beide, einmal nur Zeit miteinander zu verbringen." Nathan konnte gar nicht glauben, dass er Jule das alles erzählte und schluckte noch einmal vergebens.

"Er muss dir unheimlich viel bedeutet haben."

"Lass uns bitte bei Emma bleiben, ja?" Bestimmt wollte Jule ihn noch mehr über das andere Kind in seinem Leben ausfragen, aber er hatte den Eindruck, ihr ohnehin schon zu viel erzählt zu haben. Jetzt musste er über ihre Tochter, über das kleine Mädchen sprechen, das bereits begann sein Herz zu erobern. "Erzähl mir noch ein bisschen von Emma, als sie ein Baby war."

Jule machte es sich auf der luxuriös gepolsterten Couch bequem und ein Lächeln überzog ihr Gesicht, als wäre gerade die Sonne aufgegangen. "Sie war einfach nur süß, unheimlich zufrieden trotz der ganzen Situation und sie hat wahnsinnig viel geschlafen. In dieser Zeit hatte ich also glücklicherweise keine Probleme. Sonst hätte ich niemals daran gedacht wieder arbeiten zu gehen, als sie anderthalb war. Mit zu wenig Schlaf hätte ich das alles nicht geschafft."

"Aber du hast es geschafft. Und wenn ich mir Emma so ansehe, hast du einen tollen Job gemacht, Jule. Du bist die geborene Mutter."

"Ich weiß nicht... Manchmal bin ich ziemlich chaotisch. Aber ich tue mein Bestes und ich Liebe sie sehr!"

"Das ist mir auch schon aufgefallen."

"Gibt es noch etwas, das du wissen möchtest, Nathan?"

Er lächelte ganz gelöst und ohne die sonst übliche Zurückhaltung. "Ich denke, das reicht fürs erste..."

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