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Seufzend ließ ich mich auf den staubigen Treppenstufen meines Wohnhauses nieder und starrte auf die Unmengen an Kartons, welche sich am Rande des Gehwegs stapelten. An einigen Seiten waren sie bereits durchgeweicht. Durch den gestrigen Regen war die Straße noch voller Pfützen, die wegen vorbeifahrenden Autos nur so spritzten. Nicht mehr lange und meine ganzen Sachen wären ebenfalls durchnässt. 

Das meiste könnte ich dann sicherlich wegwerfen. Wo blieb nur dieser verdammte Umzugswagen, er hätte schon vor zwei Stunden da sein müssen. Wenn das so weiterging, würde ich meinen Flug auch noch verpassen und saß hier fest. 

Meine Wohnung war bereits gekündigt und auf die Schnelle würde ich sicher kein Hotelzimmer bekommen. Zu dieser Jahreszeit war es in Las Vegas schwer eines zu finden. Der Tourismus boomte, das Wetter war schön und die Casinos voll. Ein Grund mehr um von hier zu verschwinden. Ich hasste die Lautstärke, die vollen Straßen, das Gedränge und Gehupe und besonders die Casinos und Nachtclubs. 

Manche Menschen mögen diesen Trubel lieben, doch für mich, die hier geboren und aufgewachsen ist, wird es alles zu viel. Deshalb sehnte ich mich schon lange nach einer friedlicheren Gegend, weit weg von Nevada und vor allem, weit weg von Amerika. Warum es mich dann nach Süd-Korea verschlug wusste ich nicht. Auch dort gab es große Städte und es wäre sicherlich genauso laut wie hier. Doch nach langem hin und her hatte ich dann endlich eine Wohnung in Gyeongju gefunden. Es handelte sich dabei zwar auch um eine Stadt, allerdings war ihr Touristenpunkt eher auf historische Stätten geprägt. Damit würde ich klar kommen. Außerdem interessierte ich mich schon seit langem für solch beeindruckende Stätten sowie andere Gebräuche. 

Ich war schon gespannt auf all die Orte, die ich dort entdecken konnte. Trotzdem war es am Anfang Überwindung für mich gewesen, so weit weg zu ziehen. Es war immerhin nicht gerade um die Ecke. Mit gemischten Gefühlen warf ich einen kurzen Blick auf die Uhr und stellte fest, dass mein Flieger in zwei Stunden abheben würde. Genervt stand ich auf, klopfte mir den Staub von der Hose und sah die Straße hinunter, die heute Ausnahmsweise ziemlich ruhig war. Kein Wunder es war gerade einmal acht Uhr morgens, die meisten schliefen oder waren irgendwo in den Casinos unterwegs. 

Ich fischte mein Handy aus der Tasche und wählte die Nummer der Umzugsfirma. Hatten sie mich vielleicht vergessen und es war gar kein Fahrer losgefahren? Sicherlich hatten sie bei der Vielzahl an Aufträgen meinen einfach nur verlegt. In einer Stadt wie Las Vegas hatten die Umzugsfirmen immer eine Menge zu tun. Eine Weile tat sich nichts, als auch schon der Anrufbeantworter ansprang und verkündete, dass gerade niemand zur Verfügung stand und vermutlich alle Fahrer unterwegs waren. „Das darf doch nicht wahr sein! Verflucht!" 

Ich setzte mich zurück auf die kühlen Stufen, raufte mir kurz durch die Haare und versuchte dann meine Möglichkeiten abzuwägen. Normalerweise könnte ich meine ganze Abreise um einige Tage verschieben und für diese Zeit zu meinen Eltern gehen. Sie hätten sicherlich nichts dagegen, wenn ich meine Sachen für solange in ihre Garage stellen würde. Doch auf der anderen Seite wollte ich so schnell wie möglich von hier verschwinden. Immerhin hatte ich bereits eine Arbeit gefunden. Und ich wollte nicht gleich am ersten Tag zu spät sein, nur weil ich meinen Flieger verpasst hatte. Stattdessen überlegte ich meine Mutter anzurufen, ließ es aber bleiben, da ich nicht wusste, ob sie arbeiten war. Obwohl sie selbstständig war, rief ich sie während ihrer Arbeitszeiten eher selten an. Außerdem wollte ich sie nicht mit meinen Sorgen belasten. Meine Eltern fanden es sowieso schon gewagt von mir, dass ich auswanderte und dann auch noch ans andere Ende der Welt. „Zieh doch erst einmal in eine andere Stadt oder einen anderen Bundesstaat!", hatte mein Vater gemeint. 

„Überstürzt du deine Entscheidung nicht ein wenig?" Das Problem an der ganzen Sache war, dass ich es hier nicht mehr aushielt. Nicht nur die Lautstärke, der Lärm und die überfüllten Straßen ließen mich von hier reiß ausnehmen, nein. Es gab einen anderen Grund und er war vermutlich der größte von allen. Bei dem Gedanken daran, schossen mir Tränen in die Augen. Wieso hatte alles nur so enden müssen? Wenn ich damals doch nur länger auf der Arbeit geblieben wäre. Mein Chef hatte mich sogar gefragt, ob ich nicht noch bleiben könnte. Und ich hatte nichts Besseres im Sinn gehabt als abzulehnen. Nun ja, zu diesem Zeitpunkt konnte ich nicht wissen, was auf mich zukommen würde. Zumindest war ich jetzt frei und konnte tun und lassen was ich wollte. Klar, weil ich mich jetzt besser fühlte. Dieser verdammte Mistkerl. Warum hatte er mir nur so wehtun müssen? „Sieht so aus, als bräuchte jemand etwas Nervennahrung, oder mein Schatz?" 

Mianhae- Kirschblüten Sommer// #Wattys2018/19Wo Geschichten leben. Entdecke jetzt