Kapitel 23 - Das Outing

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Meine Mutter hatte sich bereits in ihr Zimmer zurück gezogen, ich jedoch saß immernoch völlig aufgelöst auf der Couch. Ich wusste jetzt auch, mit wem meine Mutter telefoniert hatte. Es war mein Vater, der von der ganzen Sache offenbar auch schon Wind bekommen hatte. Na super. Hätte ich es den beiden gesagt, wären sie zwar sauer, aber nichtmal annähernd so sauer wie sie es jetzt waren. Woher hatten sie bloß dieses Bild?

Leise weinend und komplett verstört von der Situation hörte ich schritte die Treppe herunter kommen. Es war Marco. „Caro? Was ist passiert", fragte er besorgt und setzte sich, seinen Arm um meine Schultern legend, neben mich. Mit all meiner Kraft versuchte ich, mit weinen aufzuhören und ihm alles zu erzählen, doch es ging nicht. Ich schluchzte so laut, dass ich keinen Ton raus brachte. „Beruhig dich Caro, und erzähl mir was passiert ist.", er reichte mir ein Glas voll Wasser und eine Packung Taschentücher.

Nachdem ich etwas getrunken, und kräftig meine Nase geputzt hatte, konnte ich mich wieder etwas zusammen raufen. Ich erzählte ihm vom Foto und von der Reaktion unserer Mutter, wie sie einfach aufgestanden und gegangen war, ihre Worte, die mein Herz zum stillstand brachten, und meinen Nervenzusammenbruch.

„Caro, komm runter. Wir beide gehen jetzt zusammen hoch zu Mama, und versuchen das zu klären, okay?", tröstete er mich beruhigend, stand auf und streckte mir seine Hand entgegen. „Okay.", schluchzte ich, putzte mir noch einmal meine Nase und ging zunächst zum Spiegel. Man sah ich scheiße aus. Mein komplettes Gesicht war aufgequollen und mit roten Flecken übersäht. Die kamen immer, wenn ich mich stark aufregte oder zu weinen begann.

Einigermaßen zusammengerafft und mit etwas neuem Mut, sowie meinem Bruder im Schlepptau machte ich mich auf den Weg nach oben zum Zimmer meiner Mutter. Ich klopfte, offnete die Tür und betrat das Schlafzimmer meiner Eltern, in dem Mama mit verschränkten Armen über dem Kopf auf dem großen Ehebett saß. „Geh weg, ich kann dich gerade nicht sehen", fauchte sie und wedelte mit ihrer Hand richtung Zimmertür. „Autsch", sagte ich während ich bereits merkte, wie mir wieder Tränen in die Augen schossen. Ich setzte mich neben sie aufs Bett und sah sie an, Marco stand dabei neben der Tür und beobachtete das Geschehen.

Nach einiger Zeit sah sie mich endlich erwartungsvoll an. „Hör zu Mama", begann ich mit zittriger Stimme, die beim versuch nicht erneut in Tränen zu versinken, drohte abzubrechen, „ich weiß, das die ganze Sache nicht gut gelaufen ist. Ich wollte es dir heute Abend sagen, ich schwöre es. Ich hab so lange gewartet, weil ich Angst vor eben genau dieser Reaktion hatte. Das Mädchen, was ich auf diesem Bild küsse", meine Mutter zuckte zusammen und verzog ihr Gesicht, „...ihr name ist Alia. Ich hab sie Anfang des Schuljahres kennengelernt, und wir beide sind seit etwa 4 Monaten zusammen. Ich liebe sie wirklich sehr, und ich bin glücklich, wenn ich bei ihr bin. Sie macht mich zu einem besseren Menschen, und ob du das nun akzeptierst oder nicht, sie ist ab sofort ein Teil meines Lebens, und das wird sich auch nicht so schnell ändern."
Nach Beendigung dieses einseitigen Dialoges mit der Frau, die Minuten vorher noch bestritten hat, dass ich ihr Kind sei, fühlte ich mich erleichtert. Als wäre eine Last von meiner Seele abgefallen, die mich bedrückt hatte. Ich fühlte mich lange nichtmehr so frei.

Meine Mutter schwieg, sie gab keinen Mucks von sich. Marco und ich sahen uns verwirrt an, worauf hin er mir Zeichen gab, dass es jetzt wohl besser sei, sie in Ruhe zu lassen. Gerade, als wir im Türramen standen hörte ich sie flüstern: „Das ist bestimmt nur eine Phase, die Krankheit werden wir bestimmt heilen können, mach dir keine Sorgen. Ein Psychologe wird das richten können."
Liebend gerne wäre ich einfach weiter gelaufen, doch ich konnte einfach nicht anders.
Ich erhob meine Stimme: „Diese Krankheit? Ist das eigenlich dein Ernst? Ich bin nicht krank, mir ging es nie besser. Homosexualität ist doch keine Krankheit, wer hat bei dir denn ein Paar schrauben gelockert?!", rief ich mit geballter Wut. Klar, sie war immernoch meine Mutter, doch ich konnte einfach nicht anders. Die Wut aus mir sprach, ich war machtlos dagegen.

Es sah aus, als würde sie explodieren, als sie sich erhob und mit voller Gewalt ihrer Stimme schrie: „Du wirst dieses Mädchen nichtmehr treffen, hab ich mich klar ausgedrückt. Du wirst absofort jeden Tag von der Schule abgeholt, und wenn ich dir dafür einen Taxidienst rufen musst. Du kommst direkt nach der Schule nach hause, keine Besuche bei Freunden, keine Sonderwünsche, keine Freizeitaktivitäten und vor allem kein Moped. Es ist zu deinem Wohl, solches benehmen kommt durch sie. Das ist mein letztes Wort, und jetzt geh in dein Zimmer, ich muss mit deinem Vater telefonieren."

Sprachlos und mit offenem Mund sah ich sie an. Tränen liefen meine Wangen herunter: „Was?? Du bist doch verrückt! Ich hasse dich!!", schrie ich, rannte den Gang entlang in mein Zimmer und knallte mit voller Wucht meine Tür zu. Verwundert sah Marco mir hinterher, auch meine Mutter knallte jetzt ihre Türe zu.

Ich schmiss mich auf mein Bett, vergrub mich in der Decke und ließ meinen Tränen freien lauf. Ich hasste sie nicht, ich wollte das auch nicht sagen, aber das ganze machte mich so wütend und traurig, dass meine emotionen mich überwältigten.
Sofort rief ich Alia an, denn ich brauchte sie jetzt dringender denn je.

Ich hatte meine Mutter noch nie so wütend erlebt, und noch nie so rumgeschrien. Das war das schlimmste Outing aller Zeiten.

Wie mein Leben sein sollte (girlxgirl) *wird überarbeitet*Wo Geschichten leben. Entdecke jetzt