Kapitel 5

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Erleichtert ging ich wieder in die dunklen Flure der Kerker. Ich hatte genug Snape für heute ertragen und wollte unbedingt wissen, wie Aarons Training gewesen war. Er würde eh wieder im Team sein, aber neugierig war ich trotzdem darauf, wie es gelaufen war und wer dieses Jahr unser Haus in der Quidditch-Mannschaft vertrat.
Ich wollte bereits die Treppe hinauf gehen, als ich hinter mir leise Geräusche hörte. Ich drängte mich blitzschnell hinter eine Steinrüstung an die Wand und lauschte angespannt.
„Wir müssen nur aufpassen, dass uns kein Lehrer erwischt, Lydia. Sonst sind wir geliefert", flüsterte eine piepsige Stimme.
„Wenn du zu feige dafür bist, gehe ich alleine, Courtney!", fauchte die Stimme von Lydia böse. Sie war absolut unverkennbar.
„Nein, ähm, ich... ich komme natürlich mit."
„Wehe, du kneifst! Heute Abend, wenn die Sperrstunde beginnt."
Dann waren nur noch Schritte zu hören, die sich langsam entfernten. Ich verharrte noch einen Moment in meinem Versteck, bis die Luft wieder rein war. Dann lief ich so schnell wie möglich hoch in den siebten Stock zum Gemeinschaftsraum der Gryffindors.

Ich nannte der Fetten Dame das Passwort und schlüpfte durch das Porträtloch in den großen, freundlichen Raum. Sofort kamen mir laute Stimmen und Musik entgegen. Hier tummelten sich so viele Schüler wie selten und sie alle schienen die neue Quidditch-Mannschaft zu feiern. Unter ihnen sah ich mit einem erleichterten Lachen auch Aaron, der breit grinste und mit den anderen zusammen gerade ein Lied anstimmte. Als er mich sah, winkte er glücklich. Ich grinste zurück, schlug mich dann aber nicht durch die Menge zu ihm durch. Ich hatte gerade eine Menge mit Ruby zu besprechen.
„Ruby!" Ich erkannte meine beste Freundin ein Stückchen außerhalb der tanzenden Menge und lief zu ihr.
„Lily, wie ist es gelaufen?", fragte sie gespannt und sah mich mit großen Augen an.
„Ich erzähl dir alles in Ruhe. Wollen wir hoch gehen?" Sie nickte und so machten wir uns auf den Weg zu den Mädchenschlafräumen.

Penny war nicht da, deshalb hatten wir unsere Ruhe. Im Gegensatz zu den meisten anderen hatten wir den Vorteil, dass wir nur zu dritt in einem Zimmer waren. Darüber hinaus teilte ich mir ein Zimmer mit meinen zwei besten Freundinnen.
„Erzähl schon!", forderte Ruby aufgeregt.
„Ich musste so einen blöden Aufsatz für Snape schreiben. Warum ich nicht in den Verbotenen Wald gehen darf, blabla." Ich verdrehte die Augen und Ruby kicherte.
„Als ich keine Ahnung mehr hatte, was ich schreiben soll, hab ich ihm von der Acromantula erzählt." Ruby machte kurz große Augen.
„Und was hat er gesagt?"
„Er ist gegangen, um sich darum zu kümmern. Als er zurück kam, meinte er, dass jetzt irgendwer danach sucht, weil sie wissen müssen, ob die Spinnen näher ans Schloss kommen."
„Das klingt gut. Was hat er zu deinem Aufsatz gesagt?"
„Ich hab zu wenig geschrieben und er war wenig begeistert. Obwohl ich glaube, dass er zu beschäftigt war, um mich wirklich ernsthaft zu quälen. Aber er hat mir den hier gegeben..." Ich holte das kleine Fläschchen aus der Innentasche meiner Schulrobe hervor. Ruby nahm es mir ab und begutachtete die dickflüssige Substanz darin mit kritischem Blick. Sie schüttelte sie hin und her, hatte aber wohl genauso wenig Ahnung wie ich, was genau das Zeug war.
„Wofür soll das sein?", fragte sie dann nachdenklich.
„Für meine Wunden im Gesicht. Snape meinte, dann bleiben keine Narben. Aber er hat nicht gesagt, wie man es anwendet."
„Das hat er dir mitgegeben?" Ruby sah mich verwirrt an. Ich zuckte nur die Schultern und nahm ihr das Fläschchen wieder ab.
„Soll ich es nehmen?" Ich sah ihr besorgt in die Augen.
„Muss man es trinken?" Meine beste Freundin verzog das Gesicht und allein bei dem Gedanken, dass ich das trinken sollte, wurde mir schlecht.
„Keine Ahnung..."
„Gib mal her." Sie nahm mir die Flasche wieder weg und entkorkte sie mit einem leisen Ploppen. Dann gab sie ein winziges bisschen der Flüssigkeit auf ihren Finger und begutachtete es. Es passierte gar nichts. Schließlich führte sie ihren Finger vorsichtig an meine Wange und verteilte es auf einem kleinen Kratzer.
Sofort spürte ich ein starkes Brennen und fasste mir aus Reflex an die Wange. Nach wenigen Sekunden ebbte der Schmerz wieder ab und ich ließ die Hand sinken.
„Krass!" Ruby starrte mich an.
„Was?"
„Der Kratzer ist weg!" Sie drehte mein Gesicht zu allen Seiten und grinste dann breit. Sie wollte sofort auch alles andere verarzten.
„Hey, warte mal... Das Zeug tut weh!", rief ich aufgebracht. Das brachte Ruby dazu, mir wenigstens nicht alles auf einmal ins Gesicht zu klatschen.

Es war eine sehr schmerzhafte Viertelstunde, die dann folgte, aber am Ende sah ich wieder völlig normal aus und nichts deutete mehr auf die Verletzungen zuvor hin. Auch Ruby verabreichte ich ein bisschen davon, wobei sie noch recht glimpflich davon gekommen war.
Ich fragte mich noch immer, warum Snape mir das gegeben hatte. Müsste es ihm nicht eigentlich völlig egal sein, wie es mir, einer Gryffindor, erging? Oder lag ihm tatsächlich was an seinen Schülern und er hatte einfach nur eine miese Art, das zu zeigen?

Als wir nach einer Weile dann endlich alle Wunden und Blessuren versorgt hatten, brannte mir schon das nächste Thema auf der Seele.
„Ruby, ich muss aus dem Gemeinschaftsraum, wenn die Sperrstunde beginnt", beichtete ich mit einem Seufzen.
„Bitte, was? Warum denn das schon wieder?"
„Lydia hat irgendwas vor. Ich konnte vorhin ein Gespräch von ihr und Courtney aufschnappen. Sie will los, wenn die Sperrstunde beginnt. Keine Ahnung, was sie vor hat, aber ich muss es wissen."
„Du kannst nicht schon wieder erwischt werden..."
„Ich muss, Ruby!"
„Ich komme mit." Sie wirkte entschlossen, aber ich schüttelte energisch den Kopf.
„Du musst hier bleiben, Rub. Ich muss mich an den Leuten unten vorbei schleichen, das wird schon schwer genug. Du musst hier bleiben und irgendwann mal behaupten, dass Snape mich fertig gemacht hat und ich deshalb schon zu Bett gegangen bin. Aaron ist mein bester Freund, es würde auffallen, wenn ich ohne Erklärung nicht da bin."
„Ich hasse es, wenn du Recht hast", seufzte sie, aber sie sah es schließlich ein und damit war es beschlossene Sache. Ich würde heute schon wieder die Regeln brechen. Das fiel mir inzwischen leichter, als mich daran zu halten.

Zehn Minuten vor Beginn der Sperrstunde waren Ruby und ich wieder unten im Gemeinschaftsraum. Hier war die Party noch immer in vollem Gange. Ich sprach einmal kurz mit Aaron und gratulierte ihm. Er war überglücklich und freute sich jetzt schon auf das erste Spiel der Saison. Ich erzählte ihm auch die Kurzfassung von heute Nachmittag und dass ich jetzt los müsste. Er fragte nicht weiter nach, als er meinen eindringlichen Blick sah, und darüber war ich wirklich froh.
Ich schlich mich möglichst unauffällig zum Ausgang des Gemeinschaftsraumes und verschwand mit schnellen Schritten durch die Tür der Fetten Dame, als ich mich unbeobachtet fühlte. Es war nicht ganz so schwer wie sonst, weil jetzt alle mit Feiern beschäftigt waren.
„Na, da schleicht sich doch etwa niemand raus", meinte die Fette Dame anklagend. Ich ignorierte sie und verließ den Gemeinschaftsraum.

Mit leisen Schritten lief ich die vielen Treppen hinunter zu den Kerkern. Ich hatte Glück und begegnete unterwegs niemandem außer ein paar Portraits, die mich missbilligend anstarrten. Die meisten Personen in den Bildern schliefen bereits und da ich nicht einmal meinen Zauberstab beleuchtet hatte, sollten die wenigen, die noch wach waren, mich doch einfach ignorieren, statt ihren genervten Kommentar abzugeben.
Unten angekommen versteckte ich mich wieder hinter derselben Steinstatue und wartete. In der Stille wagte ich es kaum zu atmen. Die Wände schienen mich beinahe zu erdrücken, aber ich blieb ruhig und lauschte angestrengt in die Stille hinein.

Nach einigen Minuten, die sich hinzogen wie Kaugummi, vernahm ich leise Schritte. Als ich hinter der Rüstung hervor lugte, erkannte ich die Umrisse eines Mädchens. Ihre Haare waren in zwei lockere Zöpfe geflochten. Es konnte nur Courtney sein.
„Da bist du ja endlich!" Lydia erschien ebenfalls im Gang und zog ihre Freundin mit einem leisen Zischen hinter sich her. Courtney wimmerte leise auf, befolgte dann aber Lydias Befehl und lief ihr nach.

Sie kamen in meine Richtung und wollten scheinbar ins große Treppenhaus, von wo ich gekommen war. Ich hielt den Atem an, als die beiden an mir vorbei liefen. Doch sie bemerkten mich nicht. Und so konnte ich ihnen leise hinterher schleichen, als sie den Weg in eines der oberen Stockwerke antraten. 

Snape - Sein letztes GeheimnisWo Geschichten leben. Entdecke jetzt