Kapitel 21

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Dieses Mal war die Landung nicht ganz so unsanft. Ich strauchelte zwar, konnte mich aber gerade noch rechtzeitig an Snapes großem Schreibtisch festhalten, um nicht umzufallen. Ich erschreckte ihn beinahe zu Tode, doch als er mein unbeholfenes Gesicht sah, musste er sich ein Grinsen verkneifen. Trotzdem sah ich ihm an, dass er eigentlich nicht in Plauderstimmung war. Die Falte zwischen seinen Augenbrauen zeichnete sich stärker ab als normalerweise. Er schien über irgendetwas zu grübeln, das ihm Sorgen bereitete.
„Da seid ihr ja wieder", meinte er mit einem kurzen Seufzen, als auch Ruby hinter mir aus dem Kamin gestolpert kam. „Setzt euch." Er deutet auf die Stühle vorm Schreibtisch und schob uns zwei Gläser Wasser rüber, die bereits auf dem großen Holztisch gestanden hatten. Dankbar schüttete ich das kühle Nass in einem Zug runter und ließ mich dann mit einem erleichterten Seufzen in den gemütlichen Stuhl fallen.
„Konnte Harry helfen?", fragte Snape und sah mich grimmig an.
„Ja, konnte er", begann ich und erzählte ihm dann alles, was wir von Harry erfahren hatten. „Du solltest die Geheimgänge bewachen lassen."
Snape lehnte sich nachdenklich in seinem Stuhl zurück. Schließlich nickte er.
„Ich werde es sofort mit der Schulleiterin absprechen. Geht jetzt!", beschloss er und stand auf. Ruby und ich taten es ihm gleich, wenn auch etwas überrumpelt. Ich warf ihm einen fragenden Blick zu, aber in den tiefschwarzen Augen traf ich wieder nur auf die undurchdringliche Mauer, die ich jahrelang darin gesehen hatte. Ruby zog mich schließlich am Ärmel mit zur Tür, als sie merkte, wie merkwürdig die Situation zwischen uns gerade war. Was war los mit Snape, dass er jetzt plötzlich wieder so verschlossen war?
An der Tür verharrten wir noch einmal, als unser Zaubertrankprofessor noch einmal die Stimme erhob.
„Ich bin dankbar für eure Hilfe. Zehn Punkte für Gryffindor", meinte er mit einem leichten Nicken, aber es erreichte seine Augen nicht.
„Geh schon mal raus", raunte ich Ruby zu. Sie verließ ohne weiteren Kommentar das Zimmer und schloss die Tür, während ich wieder auf meinen Vater zutrat.
„Was ist los?", fragte ich direkt und sah ihn unverwandt an.
„Gar nichts", brummte er und drehte sich weg.
„Ja, schon klar."
„Es ist nichts, Lily. Bitte, geh!"
„Sag mir, was mit dir los ist! Hat Professor McGonagall irgendwas gesagt? Ist wieder eine Acromantula aufgetaucht? Was ist passiert?"
„Gib Ruhe, Mädchen! Ich habe gesagt, es ist nichts." Snape strafte mich mit einem bösen Blick.
„Du kannst mich nicht einfach abservieren! Du kannst nicht erst so tun, als würdest du mich tatsächlich mögen und mich dann so von dir stoßen. Ich bin deine Tochter, die du Jahre lang belogen hast. Ich habe diese Lügen so hingenommen, habe meine Wut runtergeschluckt. Also lüg mich nicht noch mehr an! Ich steckte da doch mit drin!" Ich konnte nicht verhindern, dass ich lauter wurde.
„Genau das ist doch das Problem! Du steckst da mit drin! All das, was ich Jahre lang zu vermeiden versucht habe, ist jetzt geschehen. Ich will dich nicht weiter dabei haben. Du wirst dich da raus halten." Mit diesen Worten drehte er sich von mir weg und ging hinüber in seine Vorratskammer. Er ließ mich da einfach stehen.

Ich konnte nicht verhindern, dass sich eine Träne auf meine Wange stahl. Sogleich wischte ich sie wieder weg und dennoch blieb ich dort noch einen Moment stehen und starrte die Wand gegenüber an. Er war einfach gegangen. Hatte mich hier einfach stehen lassen.

Mit zittrigen Beinen betrat ich schließlich wieder den Korridor. Ruby lehnte an der Wand und wartete. Sie sprang sofort auf, als sie mich sah, doch ihr Lächeln verdüsterte sich, kaum dass sie mein Gesicht sah.
„Was ist jetzt denn los?", fragte sie verwirrt und blieb mit großen, besorgten Augen vor mir stehen. Ich schniefte leise und schüttelte den Kopf. Ruby hakte sich bei mir unter und zog mich dann langsam den Gang entlang zu der Treppe, die wieder nach oben führte.

„Erzähl es mir", forderte sie sanft, als wir im ersten Stock angekommen waren und an all den Portraits an den Wänden vorbei weiter nach oben gingen.
„Er will mich nicht mehr dabei haben", japste ich und blinzelte eilig die Tränen weg, die sich wieder in meinen Augen sammelten. Es tat unglaublich weh.

Ich will dich nicht weiter dabei haben. Du wirst dich da raus halten.

Die Worte hallten in meinem Kopf wider. Wiederholten sich wie ein Mantra.

„Inwiefern?", fragte Ruby verwirrt.
„Ich darf ihm nicht mehr helfen. Er wird mir wohl auch nicht mehr sagen, was vor sich geht. Ruby, als ich ihm in die Augen gesehen habe, war er wieder nur der kalte Professor, der mich seit Jahren schikaniert. Da war nichts mehr von der Wärme, die ich gespürt habe, als er zugegeben hat, wer ich bin. Da war nur Kälte. Er stößt mich von sich. Er will nichts mehr mit mir zu tun haben." Ich schluchzte einmal kurz auf und konnte jetzt auch die Tränen nicht mehr halten.
„Sag sowas nicht", meinte Ruby mit einem leichten Jammern in der Stimme. Sie war total überfordert mit der Situation.
„Er hasst mich!", stieß ich hervor und gerade in dem Moment kam die Schulleiterin aus einem Zimmer ganz in der Nähe. Panisch versuchte ich, meine Tränen vor ihr zu verstecken und weiter nach oben zu eilen, doch sie hatte mich längst entdeckt.

„Grimmauld!", rief sie streng, als ich gerade einmal drei Stufen nach oben gelaufen war. Ich drehte mich mit einem leisen Seufzen zu ihr um.
„Kommen Sie sofort in mein Büro. Und Sie, Miss Kingham, können gleich mitkommen", forderte sie und hielt uns die Tür auf. Es war ihr altes Büro, das sie immer noch für ihre Unterrichtsvorbereitung nutzte.
Wir hatten gar keine andere Wahl und traten missmutig hinein.

Das Büro war recht schlicht eingerichtet. Neben dem offenen Kamin an der einen Wand stach besonders der große Schreibtisch in der Mitte des Raumes heraus. Der Quidditch-Pokal stand auf einem Regal an der Wand.
„Setzten Sie sich." McGonagall trat um ihren riesigen Schreibtisch herum und wartete, bis wir vor ihr saßen. Dann griff sie nach einer Dose mit Schottenmuster und hielt sie uns entgegen.
„Nehmen Sie sich einen Keks, Grimmauld!" Zögerlich tat ich, was sie sagte, bevor unsere Hauslehrerin auch Ruby die Dose unter die Nase hielt. Ich biss ein Stück des Ingwerkekses ab, aber ich schmeckte nicht viel. Viel zu bitter lagen mir Snapes Worte noch im Magen.

„Ich mache mir ernsthafte Sorgen um Sie, Miss Grimmauld. Das ist nicht das erste Mal, dass ich Sie so verzweifelt sehe. Ich hatte eigentlich gedacht, es ist besser geworden, aber da scheine ich mich getäuscht zu haben. Was belastet Sie, Kind?" Ihre Stimme wurde zunehmend sanfter und ihr Blick lag beunruhigt auf mir.
„Es geht mir gut, Professor", log ich und verzog gleich darauf das Gesicht über diesen miserablen Versuch, die Schulleiterin abzuwimmeln.
„Ich möchte Ihnen helfen und Sie können mir Ihre Sorgen anvertrauen, Miss Grimmauld."
„Das weiß ich, Professor. Aber ich möchte im Moment mit niemandem darüber sprechen. Ich muss damit alleine klar kommen."
„Sprechen Sie mit Miss Kingham oder Ihren anderen Freunden, aber sprechen Sie darüber. Nur so kann es besser werden. Es verbittert nur, wenn man schlimme Dinge in sich hineinfrisst. Und wenn Sie Hilfe von einem Lehrer brauchen, dann kommen Sie bitte zu mir oder meinen Kollegen, Miss Grimmauld."
„Ja, Professor." Ich schluckte. Der einzige „Kollege", zu dem ich wollte, war Severus Snape, aber der hatte mich gerade von sich gestoßen. Vielleicht hatte sie ja Recht, wenn sie sagte, dass einen schlimme Dinge verbittern lassen. Snape war wohl nicht umsonst so, wie er eben war. Und trotzdem hatte er kein Recht dazu, mich jetzt so zu hintergehen.
„Wenn Sie mit jemandem Probleme haben. Egal ob Schüler oder Lehrer..." Ihr Blick bohrte sich in meinen. „... Sie brauchen nur um Hilfe bitten und Sie werden sie sofort erhalten."
„Danke."
„Na schön, fürs Erste können Sie gehen. Aber ich behalte Sie im Auge." Sie sah mich durchdringend an und beinahe fürchtete ich, sie würde mir alle Gedanken aus dem Kopf heraussaugen. Deshalb stand ich eilig auf und verabschiedete mich schnell von Professor McGonagall. Ich trat dicht gefolgt von Ruby aus dem Büro heraus und hastete dann mit ihr hoch in den siebten Stock.

„Professor McGonagall hat Recht, Lily. Du solltest vielleicht noch einmal zu Snape gehen und mit ihm sprechen. Ich denke, das wird mit der Zeit kommen. Es ist für euch beide noch völlig neu. Vermutlich ist er einfach überfordert und macht sich Sorgen um dich. Der fängt sich schon wieder und dann wird er sich bei dir entschuldigen", lächelte Ruby aufmunternd, als wir bei der Fetten Dame ankamen.
„Siegesfeier", murmelte Ruby und das Bild schwang zur Seite.
„Ich hoffe, du hast Recht", murmelte ich. Zumindest wünschte ich mir das.     

Snape - Sein letztes GeheimnisWo Geschichten leben. Entdecke jetzt