Kapitel 9

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Ich wurde einfach nicht schlau aus Snapes Verhalten. Entweder ignorierte er mich von dem Zeitpunkt an, oder aber er war genauso fies und finster wie immer. Es wurde fast noch schlimmer als vorher.
Eine ganze Woche lang lebte ich in Angst und Bangen, hatte die ganze Zeit das Gefühl, dass jeden Moment jemand kommen und mich rausschmeißen würde.
Doch als dann eine Woche rum war, wurde mir bewusst, dass niemand kommen würde. Dass Snape mich nicht verraten hatte und es auch nicht mehr tun würde. Er hatte mich gerettet und dafür gesorgt, dass ich auf Hogwarts bleiben konnte. Er, der Lehrer, der mich am meisten hasste, mit dem ich am allerwenigsten zurechtkam. Ausgerechnet er.

Mit dem Hintergedanken im Kopf machte es die ganze Sache noch schwieriger. Denn immer, wenn ich mir Snapes Tagebuch nahm und darin las, hatte ich das Gefühl, ich würde ihn verraten. Ich drang mit jedem weiteren Wort tiefer in seine Privatsphäre ein und doch hatte ich nach zwei Wochen alles dreimal gelesen. Schlau wurde ich daraus allerdings nicht im Geringsten. Snape nannte nie Namen und schrieb verworrener als das verzauberte Labyrinth aus dem Trimagischen Turnier.

Deshalb suchte ich mir zwei Wochen nach meiner Suchaktion im Raum der Wünsche Hilfe bei meinen Freunden. Ich hatte sie nach einem langen Schultag am späten Nachmittag zusammen getrommelt. Wir saßen unweit vom Schloss entfernt auf der Wiese zu Hagrids Hütte. Aaron, Ruby und Penny waren gekommen und sahen mich neugierig an. Noch hatte ich ihnen nicht erzählt, was ich mit ihnen bereden wollte.

„Ich hab euch nicht alles erzählt vom Raum der Wünsche vor zwei Wochen", begann ich mit einem leichten Seufzen.
„Wieso? Was ist noch passiert?", wollte Penny sogleich wissen.
„Der Raum hat mir ein Tagebuch gezeigt. Es war, als würde der Raum mir das Buch aufdrängen, als wäre es wichtig. Deshalb habe ich es mitgenommen. Ich habe es inzwischen dreimal gelesen, aber ich werde einfach nicht schlau daraus." Ich zog das Buch aus meiner Tasche und legte es zwischen uns auf die karierte Picknickdecke, die wir aus dem Gemeinschaftsraum mitgenommen hatten. Dabei achtete ich ganz genau darauf, dass uns kein anderer Schüler beobachtete oder einen Blick auf das Buch erhaschte.
„Was ist das für ein Tagebuch, Lily?"
„Es... gehörte... Professor Snape." Ich schluckte und sah meine Freunde mit eingezogenen Schultern an. Laut ausgesprochen wog der Verrat ihm gegenüber noch viel schwerer auf meinen Schultern.
„Es gehört SNAPE?" Rubys Augen waren so groß, dass sie beinahe rausfielen. Penny starrte stumm auf das Buch.
„Du hast das Tagebuch von Snape gelesen?" Auch Aaron schaute mich völlig schockiert an.
„Irgendwas ist mit diesem Buch. Es ist entscheidend. Für mich. Keine Ahnung, warum. Ich spüre es einfach. Mir ist es nicht leicht gefallen, das zu machen, okay? Ich habe ein verdammt schlechtes Gewissen dabei!" Alle schauten mich noch einen Moment geschockt an. Schließlich seufzte Ruby und hob das Buch hoch.
„Was steht drin?", fragte sie trocken und wog es in ihren Händen.
„Das ist die große Frage... Ich habe es dreimal gelesen und noch immer keinen Schimmer, was er sagen will. Er nennt kein einziges Mal einen Namen. Aber er spricht von seiner großen Liebe. SIE kommt immer wieder darin vor. Er hat sie geliebt und auf tragische Art und Weise verloren. An einen anderen, wenn mich nicht alles täuscht. Aber irgendwann in dem Buch ist ein Cut. Von da an schreibt er irgendwie anders über sie. Er hat glaube ich Angst um sie, weil sie in Gefahr ist. Insgesamt spricht er in Rätseln." Nach meiner kurzen Zusammenfassung starrten alle das Buch an.
„Und es ist wirklich wichtig, ja?", fragte Penny mit einem sanften Blick.
„Ja, ich spüre es..."
„Okay, dann schlage ich vor, dass wir es alle lesen", meinte Ruby und schaute in die Runde.
„Ich soll Snapes Tagebuch lesen?", fragte Aaron mit einem verächtlichen Lachen. Doch als Ruby ihn böse anschaute, nickte er sofort.
„Das klingt nach einer guten Idee, Rub. Wir drei lesen das Buch auch, so schnell es geht. Dann treffen wir uns wieder und besprechen, was wir darüber denken. Wenn Snapes Geschichte uns weiter hilft, entschlüsseln wir das irgendwie. Also wenn sie dir weiter hilft, Lily. Und wenn du das möchtest." Ich nickte Penny leicht zu und lächelte dankbar.
„Sehr gut. Ich werde zusätzlich ein bisschen über ihn recherchieren", meinte Ruby.
„Ich nehme es zuerst. Ich werde mich gleich hinsetzen und anfangen", meinte Penny. Ich nickte einverstanden und war heilfroh, dass meine Freunde mir halfen, hinter das Geheimnis des Buches zu kommen. Ich hätte nicht gedacht, dass sie so leicht zu überzeugen waren und scheinbar absolut keine Hemmungen hatten, in Snapes Gedanken abzutauchen. Nur Aaron schaute noch immer etwas unbehaglich drein.
Penny steckte das Buch ein. Dann verbrachten wir noch eine Weile zusammen, bis wir von einer tiefen aber freundlichen Stimme unterbrochen wurden.
„Kinder, was macht ihr denn hier?", rief Hagrid erfreut und kam zu uns gelaufen. In der einen Hand hielt er einen riesigen Eimer mit toten Ratten. In der anderen eine Armbrust. Ich wollte irgendwie gar nicht wissen, was er damit vor hatte.
„Hallo, Hagrid. Wir haben frei und wollten noch ein bisschen Sonne abbekommen", lächelte Ruby.
„Oh, das ist gut, das ist gut. Kommt mit mir runter, ich habe gerade Kekse gebacken", meinte der Halbriese und forderte uns auf, ihm zu folgen. Wir standen also auf, sammelten die Decke und unsere Taschen auf und liefen dann hinunter zu Hagrids Hütte.
Dort angekommen stellte er Eimer und Armbrust neben der Hütte ab, hielt uns freudestrahlend die Tür auf und wir betraten das kleine Häuschen. An dem großen Holztisch quetschten wir uns nebeneinander auf die Holzbank und gleich darauf stellte Hagrid ein Blech mit Felsenkeksen vor uns hin.
„Passt auf, das Blech ist noch heiß", warnte er uns und zog dann den großen Kochhandschuh aus, der etwa so aussah wie ein gigantischer Boxhandschuh mit Blümchenmuster.
„Na los, greift zu!", rief er mit einem Lachen und langte selbst nach einem riesigen Keks. Hagrids Kekse hatten immer eine Stein ähnliche Konsistenz und waren kaum genießbar, aber für Hagrid nahm ich trotzdem einen und teilte ihn mir mit Ruby. Auch die anderen beiden teilten mit etwas roher Gewalt einen weiteren Keks und nagten dann daran herum.

„Hagrid, wo ist denn Fang?", fragte Penny neugierig nach.
„Ach der, der ist am Waldrand", sagte Hagrid Schulter zuckend.
„Am Waldrand?" Ich sah den Wildhüter fragend an.
„Ja, naja, er hat eine neue Aufgabe bekommen. Muss da auf was aufpassen." Hagrid wollte das Thema schon wieder fallen lassen, aber da fiel mir das Gespräch mit Professor McGonagall und Snape wieder ein.
„Die Acromantula?", fragte ich gerade heraus.
„Ja, äh, nein, natürlich nicht. Also... Woher weißt du davon?" Hagrid sah uns erschrocken an und nestelte unbehaglich an seinem gewaltigen Bart herum.
„Das Viech hat uns im Wald verfolgt!", erzählte Aaron knapp und verzog bei der Erinnerung an unseren eher unerfreulichen Waldbesuch das Gesicht.
„Im Wald? Ihr wart im Wald? Ganz allein?"
„Ja, waren wir. Also Penny nicht, aber wir anderen drei. Wir waren es, die Professor Snape davon erzählt haben", erklärte ich ihm.
„Ach, so ist das. Ja, ihr habt Recht. Fang soll aufpassen, dass keine von den Spinnen das Schulgelände betritt. Wenn doch, soll ich sofort Bescheid sagen. Eine Eule schicken", erzählte Hagrid uns stolz.
„Eine Eule? Wie wäre es mit Schreien und Wegrennen?" Aaron wirkte nicht besonders glücklich bei Hagrids Aussage.
„Ist denn nochmal eine aufgetaucht?", fragte Penny weiter nach.
„Nein, keine mehr. Aber ich habe die gefunden, die euch verfolgt hat. Hat mich angegriffen, das Ding. Üble Kreatur, sagte ich euch. Üble Kreatur. Hätte sie zu Aragog gehört, hätte sie das nicht getan." Hagrid schüttelte in Gedanken versunken den Kopf.
„Sie gehörte nicht zu den Spinnen von hier?"
„Oh nein, sie muss von wo anders kommen. Sie ist von schwarzer Magie beeinflusst."
„Schwarze Magie?"
„Oh, nein, das durfte ich ja gar nicht sagen. Kinder, vergesst das einfach wieder. Und sagt es bloß nicht der McGonagall, habt ihr verstanden? So und nun geht ihr am besten. Es ist schon spät, ihr müsst langsam zurück in die Schule." Hagrid stellte das Blech wieder weg und schien uns zu ignorieren.
„Hagrid, es sind noch zwei Stunden bis zur Sperrstunde..."
„Ja genau, also auf mit euch!"

Also verabschiedeten wir uns von Hagrid und gingen wieder zurück zum Schloss.
„Was meinte Hagrid damit, dass die Acromantula schwarzmagisch beeinflusst wurde?", fragte Ruby auf dem Rückweg.
„Ich habe keine Ahnung, Rub", murmelte ich und dachte darüber nach.
„Es klingt auf jeden Fall nicht gut", meinte Penny mit einem Seufzen.
„Gar nicht gut!", stimmte Aaron ihr zu und warf noch einen letzten Blick zurück in den Verbotenen Wald, ehe wir zurück ins Schlossgebäude eilten und auf direktem Weg zum Gryffindorturm liefen.   

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Snapes Tagebuch... Was glaubt ihr, hat es damit auf sich? Welche Geheimnisse verbergen sich wohl darin?

Snape - Sein letztes GeheimnisWo Geschichten leben. Entdecke jetzt