Kapitel 1

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‚Endlich bin ich wieder zuhause', dachte ich erleichtert, als der Zug mit quietschenden Reifen hielt. Ich stieg mit einem breiten Grinsen aus und betrat den Bahnsteig in Hogsmeade. Schon von hier aus konnte ich in einiger Entfernung die Dächer der Schule erkennen und ich freute mich so sehr wie bei meinem ersten Besuch in Hogwarts. All die Türme, Räume und Hallen waren über die Jahre hinweg mein Zuhause geworden. Hier fühlte ich mich wohl. Hier gehörte ich hin. Wie jedes Mal fesselte mich der Anblick der Schule und so störte es mich nicht einmal, dass mich ein paar Erst- oder Zweitklässler beinahe umrannten, als sie sich eilig zu den Kutschen und Booten aufmachten.
„Lily, willkommen zurück!", vernahm ich eine tiefe, donnernde Stimme. Grinsend drehte ich mich um und sah hoch in das bärtige Gesicht des Wildhüters. Er ragte vor mir auf und sah so wild aus wie immer. Doch sein breites Lächeln ließ sofort erkennen, dass er sich ehrlich freute, mich hier zu sehen. Das beruhte auf Gegenseitigkeit.
„Hagrid!", rief ich erfreut und lief auf ihn zu.
„Na, wie waren die Ferien? Hast du mich vermisst?"
„Du glaubst nicht, wie sehr ich ganz Hogwarts vermisst habe!"
„Oh, das ist gut. Du musst mich unbedingt mal besuchen kommen. Seidenschnabel ist gerade zu Besuch", erzählte er mir stolz.
„Das werde ich, versprochen." Ich kannte Seidenschnabel noch von vor der großen Schlacht. Wir hatten uns zwar nie anfreunden können, weil ich mich dem Tier früher niemals auf weniger als zwanzig Meter genähert hätte, aber das konnte man ja vielleicht nachholen.
„Hervorragend, Lily. Ich muss dann auch mal. Die Erstklässler warten." Er zwinkerte und machte sich auf Weg.
„Bis bald, Hagrid!"

Ich wandte mich von ihm ab und folgte dem Strom der Schüler hin zum Schloss. Heute dauerte der Weg dorthin viel zu lange, aber schließlich trat ich durch die große Eingangstür und wurde in meinem Staunen je unterbrochen.
„Lily!", brüllte jemand und gleich darauf wurde ich beinahe umgerissen, weil sich jemand gegen mich schmiss. Ich wusste sofort, dass es niemand anderes als meine beste Freundin Ruby Kingham sein konnte, die dieses Jahr zu meinem Bedauern nicht mit dem Zug angereist war. Ihre zerzausten braunen Haare hingen mir im Gesicht und ich drückte sie lachend ein Stück von mir weg. Sie trug genau wie ich bereits die Schuluniform und dazu ihre unverkennbaren Lederstiefel mit Neon-Schnürbändern. An ihrem breiten Grinsen erkannte ich, dass sie sich mindestens genauso sehr freute wie ich.
„Lass sie am Leben, Rub", schmunzelte Aaron und nahm mich ebenfalls in den Arm. Wir wiegten uns kurz lachend hin und her, ehe mein bester Freund mich wieder los ließ. Aaron war ein ganzes Stück größer als Ruby und etwa einen halben Kopf größer als ich. Seine blonden Haare waren perfekt gemacht und vielleicht war er über den Sommer sogar noch ein kleines bisschen hübscher geworden als sowieso schon. Das bedeutete allerdings nicht, dass er weniger verpeilt war.
„Ich hab euch vermisst, Leute! Habt ihr meine Eule bekommen?" Wir stürzten uns sofort in ein Gespräch und machten uns ganz gemächlich auf den Weg in die Große Halle, um uns zu den anderen Sechstklässlern unseres Hauses zu setzten.
Ruby erzählte auf dem Weg dorthin von den vielen Unternehmungen mit ihrer Familie. Mich fragte sie nicht, wie meine Ferien gewesen waren, denn sie kannte die Antwort bereits.
Ich lebte seit meiner Geburt bei einer Pflegefamilie. Die Wilsons waren allesamt Muggel und hatten nur wenig Verständnis für meine Welt. Während mein Pflegevater Steven wenigstens ein paar Fragen stellte, behandelte Gina Wilson, meine Pflegemutter, mich wie einen Freak. Ihre Tochter Sila durfte von all dem auf keinen Fall etwas erfahren. Sie glaubte noch immer die alberne Geschichte, dass ich auf ein weit entferntes Internat ging. Allerdings mochte sie mich auch gar nicht genug, um sich ernsthaft dafür zu interessieren. Zumindest waren meine Ferien seither immer eine Quälerei und umso erleichterter war ich, dass das sechste Schuljahr jetzt endlich begann.

Aaron kam gar nicht zu Wort, so sehr war Ruby in ihren Geschichten versunken. Er verdrehte unauffällig die Augen, damit Ruby es nicht bemerkte, als wir die Tür zur Großen Halle schon sahen.
Doch noch bevor wir dort ankamen, lief uns die Schulleiterin über den Weg.
„Meine Lieben, wie schön Sie wieder zu sehen", begrüßte sie uns mit einem breiten Lächeln, was eigentlich recht untypisch für sie war.
„Hallo, Professor. Ich freue mich auch sehr, wieder hier zu sein", lächelte ich freundlich.
„Geht schon in die Halle, ich muss noch die Erstklässler suchen. Meine Güte, wo stecken die denn schon wieder?" Und schon lief sie davon.
„Die ist ja noch gestresster als sonst", murmelte Aaron und sah ihr hinterher.
„Und da vorne ist der liebe Snape", brummte Ruby ironisch. Er kam nämlich direkt auf uns zu.

Ich kann nicht behaupten, dass ich mich jemals mit dem Lehrer für Zaubertränke verstanden hatte. Der große Mann mit pechschwarzen Haaren und Augen schien es seit meinem ersten Schuljahr auf Hogwarts auf mich abgesehen zu haben. Ich wusste bis heute nicht, ob es an meinem Haus oder an mir selbst lag. Ich war vor, während und nach der Schlacht um Hogwarts ständig mit ihm aneinander geraten und Ruby behauptete, dass kein Schüler jemals so viel bei Snape nachsitzen musste wie ich.
Deshalb war es nicht verwunderlich, dass Snape nicht gerade begeistert guckte, als er mich erkannte.

„Grimmauld, Sie sind auch wieder da", begrüßte er mich mit der typischen tiefen, kalten Stimme und ohne jegliche Gefühlsregung.
„Guten Tag, Professor Snape. Seien Sie beruhigt, es sind nur noch zwei Jahre, dann sind Sie mich los", grinste ich und sah ihn unverwandt an.
„Ich kann es kaum erwarten", meinte er bitter. „Zu meinem Missfallen muss ich sagen, dass Sie ein Ohnegleichen in Zaubertränke geschaffte haben und ich Sie jetzt noch länger in meinem Unterricht ertragen muss."
„Ich möchte Aurorin werden, Professor, da ließ es sich leider nicht vermeiden", antwortete ich trotzig und Snape verengte kaum merklich die Augen.
„Sie werden es bereuen, Grimmauld."
„Davon gehe ich aus, Sir." Ich nickte ihm zu und konnte gerade noch erkennen, dass Snape versuchte, ein Schmunzeln zu unterdrücken. Seine Mundwinkel zuckten verräterisch. Dann bahnte er sich einen Weg um mich herum und verschwand.

„Wenn du so weiter machst, wird er dich früher oder später erhängen", flüsterte Ruby aufgebracht.
„Ich an deiner Stelle würde Snape nicht weiter verärgern", pflichtete Aaron ihr bei. Aber ich zuckte nur die Schultern und lachte auf.
„Irgendwer muss dem ja mal Kontra geben."
Meine Freunde nahmen das mit einem Kopfschütteln so hin. Sie wussten, dass sie mich nicht davon abhalten konnten, mich wieder mit Snape anzulegen. Seit Voldemort nicht mehr da war, war ich der Überzeugung, dass einen nichts und niemand mehr aufhalten konnte. Und Snape hatte bewiesen, dass er nicht mehr der Todesser ist, der er einmal war. Also alles halb so wild.

Wir betraten also endlich die Große Halle und eilten hinüber zum Gryffindor-Tisch. Dort warteten schon die meisten unserer Freunde und begrüßten uns mit einem breiten Grinsen. Unsere Freundin Penny fiel uns sofort um den Hals, als sie uns entdeckte.

Schließlich begann die Eröffnungsfeier und in dem großen Saal, der heute noch prunkvoller geschmückt war als sonst, kehrte Ruhe ein. Professor McGonagall trat vor und hieß uns alle für das neue Schuljahr willkommen. Anschließend waren die Erstklässler an der Reihe und bekamen einer nach dem anderen den Sprechenden Hut aufgesetzt, der sie lauthals ihren Häusern zuordnete. Dieses Jahr stach niemand besonders heraus. Ein paar Namen kannte man, weil die Eltern im Ministerium arbeiteten oder anders Schlagzeilen gemacht hatten, aber es war keiner der Sorte Harry Potter dabei, was mich irgendwie beruhigte. Die letzten Jahre waren stressig genug gewesen. Im Moment brauchten wir wirklich keine Helden mehr.

Als das Essen vorüber war und wir uns zu dritt auf den Weg zu unserem Gemeinschaftsraum machten, beobachtete ich Lydia Thomson, die nur ein paar Meter vor uns lief. Ihr blonder Pferdeschwanz war so streng nach hinten gekämmt wie immer und um sich herum hatte sie ein paar ihrer Freunde gescharrt.
„Ich hatte gehofft, sie nicht ganz so schnell wieder zu sehen", seufzte ich und Ruby und Aaron stimmten mir mit einem synchronen Nicken zu. Lydia war eine Slytherin und sie hasste mich. Wahrscheinlich war sie sogar noch schlimmer als Snape. Und wie gesagt, Snape und ich würden in diesem Leben keine Freunde mehr werden.
Umso erleichterter war ich, dass sie mich nicht ansprach und wir ganz entspannt in unsere Schlafsäle gehen konnten. Ich freute mich riesig auf das neue Jahr in Hogwarts, aber die Fahrt hier her hatte mich geschafft und so fiel ich schnell in einen traumlosen und erholsamen Schlaf. 

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Hi🤗
Kapitel 1.... Die Geschichte fängt langsam an. Noch ist nicht viel los, aber ihr könnt mir ja mal sagen, wie euer erster Eindruck von Lily und auch so generell ist.😊

Snape - Sein letztes GeheimnisWo Geschichten leben. Entdecke jetzt