Kapitel 8

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Das Buch sicher in meinem Umhang verstaut, betrat ich wieder den Korridor vorm Raum der Wünsche. Überrascht stellte ich fest, dass es draußen stockdunkel war. Daher umklammerte ich meinen Zauberstab mit aller Kraft, entfachte aber nicht den Lumos-Zauber. Viel zu groß war meine Angst, hier erwischt zu werden. Die Wahrscheinlichkeit war zu hoch, dass es diesmal nicht nur Mrs Norris sein würde.
Ich blieb dort so lange stehen, bis sich meine Augen an das minimale Licht gewöhnt hatten. Ich kannte den Weg gut genug, um auch im Dunklen zurück zum Gryffindor-Gemeinschaftsraum zu finden. Leise und vorsichtig tastete ich mich mit kleinen Schritten vor und lauschte dabei angestrengt in die Dunkelheit hinein.

Ich hatte etwa den halben Weg zurückgelegt, als ich erstarrte und wie versteinert stehen blieb. Da war ein Geräusch gewesen. Ich konnte nichts in der Dunkelheit erkennen. Hier gab es keine Fenster, die mir etwas Licht schenken konnten. Stattdessen stand ich dort stocksteif in der totalen Finsternis und lauschte angsterfüllt dem Geräusch. Etwas schleifte über den Boden und wurde langsam immer lauter. Es war nur ein ganz leises Geräusch, aber es hallte in meinen Ohren wider und sorgte dafür, dass mir sofort schlecht wurde. Das Geräusch kam auf mich zu. Immer dichter. Ich bewegte nicht einmal den kleinen Finger und hielt den Atem an. Bloß nicht bewegen. Das Geräusch war jetzt direkt vor mir und verstummte abrupt. Dafür vernahm ich jetzt unverkennbar den Atem einer anderen Person. Sie stand direkt vor mir. Ich spürte, wie mir alle Farbe aus dem Gesicht wich und mich eine schreckliche Gänsehaut überkam. Ich konnte absolut nichts vor mir erkennen, dafür war es einfach viel zu dunkel.
Dann erklang ein Rascheln und ein ganz leichter Lufthauch kam auf. Im nächsten Moment kniff ich die Augen zusammen, als mich das Licht eines Zauberstabs blendete. Ich rührte mich nicht vom Fleck und die Person mir gegenüber sagte kein Wort.
Nach einigen Sekunden blinzelte ich in das Licht und gewöhnte mich langsam daran. Als ich schließlich erkannte, wer da vor mir stand, gefror mir das Blut in den Adern. Ich bekam Panik, konnte mich aber einfach nicht bewegen, während ich in die pechschwarzen Augen meines Gegenübers blickte, in denen sich das helle Licht des Zauberstabs spiegelte.

Es war vorbei. Hiermit war mein Rauswurf besiegelt. Ich würde noch Morgen diese Schule, mein Zuhause, für immer verlassen müssen. Er würde mich niemals verschonen und freute sich bestimmt schon sehr darauf, mich endlich los zu sein. Vermutlich würde er mich höchstpersönlich zum Tor begleiten. Denn vor mir stand niemand Geringeres als Severus Snape.
Ich schaute ihm immer weiter in die finsteren Augen, unfähig irgendwas zu sagen. Mein Herz schlug mir bis zum Hals und plötzlich kam die Verzweiflung in mir auf. Ich konnte nichts mehr gegen diese Situation machen. Es war ausweglos. Wenn er jetzt noch entdecken würde, was für ein Buch ich bei mir trug, würde er mich auf der Stelle umbringen.
Schon bald schmeckte ich das salzige Nass auf meinen Lippen, dass mir unaufhörlich über die Wangen rann. Mein Zuhause, meine Freunde, mein Leben. Er würde es alles zerstören.

Eilig wischte ich mir die Tränen weg und versuchte, die letzte Würde zu bewahren. Ich wollte nicht vor Snape weinen. Deshalb schaute ich ihm geradewegs in die Augen und schluckte heftig.
Snapes Blick war undurchdringlich, während er mich so anstarrte. Doch mit einem Mal änderte sich der steinerne Blick und so etwas wie Sorge trat in seine Augen. Ich dachte kurz, ich hätte es falsch gesehen, aber Snapes Züge wurden tatsächlich weicher. Mit einem leisen Seufzen schüttelte er kaum merklich den Kopf. Dann war es wieder völlig dunkel.

Er hatte das Licht gelöscht und total erstaunt hörte ich zu, wie sich seine Schritte schnell von mir entfernten. Er war vermutlich auf dem Weg zu Professor McGonagall. Mit einem leisen Schluchzen entfachte ich das Licht meines Zauberstabes und rannte völlig aufgelöst zum Portrait. Die Fette Dame sah mich nur mitleidig an, als ich bei ihr ankam und das Passwort schluchzte und öffnete mir ohne weiteren Kommentar die Tür.

Bitterlich weinend betrat ich den Schlafsaal und schmiss mich aufs Bett. Das Buch versteckte ich unter meinem Kissen, bevor ich in selbigem meinen Kopf vergrub und gar nicht mehr aufhörte zu weinen.

„LILY! Lily, was ist passiert?" Ruby rüttelte an meiner Schulter und Penny strich mir einfach nur immer wieder über den Rücken. Nach einer ganzen Weile erst drehte ich mich um und sah ihnen völlig verweint entgegen.
„Erzähl es uns", flüsterte Penny und nahm meine Hand, während Ruby mich in ihre Arme schloss.
„Snape... Er... er hat mich im... im Flur erwischt. Er... ich... ich werde rausgeworfen", japste ich. Ruby drückte mich nur noch mehr an sich. Beide schwiegen und schienen geschockt.

Es dauerte lange, bis meine Tränen versiegt waren und erst dann konnte ich ihnen genau erzählen, was geschehen war.
„Und wenn er gar nichts sagt? Wieso sollte er sonst einfach wortlos gehen?", überlegte Penny.
„Er ist Snape. Und er hasst mich!"
„Aber Penny hat Recht. Normalerweise hätte er dich zusammen geschrien und sofort vor die Tür gesetzt", meinte nun auch Ruby. „Glaubst du nicht, er hätte gewollt, dass die ganze Schule aufwacht und es mit ansieht, wenn er dich rauswirft? Also – wenn er es gewollt hätte?"
„Ich sollte schon mal packen..." Ich sah mich im Raum um, doch Ruby hinderte mich daran.
„Das wirst du nicht! Wir warten jetzt erst einmal ab, was morgen passiert!", befahl sie streng und Penny drohte sogar damit, mir den Lähmzauber auf den Hals zu hetzen.

Also ließ ich zu, dass sich beide zu mir legten und bald einschliefen. Ich lag die ganze Nacht wach und kämpfte gegen die Tränen. Ich war einfach völlig am Ende. Vor mir sah ich nur immer wieder Snapes Blick und jedes Mal kroch wieder die Panik in mir hoch.

Am nächsten Morgen erzählte Ruby Aaron, was passiert war, während Penny mich dazu zwang, mich umzuziehen und schließlich mit in die Große Halle zu kommen.
Ich bekam beim Essen kaum etwas runter und schaute immer wieder zu McGonagall und Snape hinüber, die am Lehrertisch saßen, doch beide achteten nicht auf mich.

In Zauberkunst warf Professor Flitwick mir immer wieder mitleidige Blicke zu. Ich sah total schrecklich aus, übermüdet und mit der Welt am Ende. Er hatte Erbarmen und verschonte mich mit Fragen und forderte mich auch kein einziges Mal dazu auf, einen Zauber vorzuführen, was er sonst oft tat.
Vielleicht wusste er aber auch einfach, was mir noch bevor stand.

Nach Zauberkunst ging es in die Kerker.
„Er wird mich fertig machen", flüsterte ich kraftlos auf dem Weg dorthin.
„Das darf er gar nicht!", meinte Aaron mürrisch und legte einen Arm um mich. Er wollte uns unbedingt bis zum Klassenraum folgen. Der Abschied von ihm fiel mir schwer, weil ich befürchtete, dass es das letzte Mal war, dass ich ihn heute sah. Aber es musste sein.
Ruby, Penny und ich betraten den Raum und sofort schaute ich zu Snape hinüber. Doch er befahl uns nur wie üblich schlecht gelaunt, dass wir uns hinsetzten sollten.
Er quälte mich ein paar Mal mit komplizierten Fragen, machte ansonsten aber keine Andeutungen auf gestern, was mich immer mehr irritierte. Wieso sagte er denn nichts?

Am Ende der Stunde blieb ich bis zuletzt im Raum und schickte schließlich auch meine Freundinnen raus. Snapes Verhalten kam mir komisch vor.
„Professor... wegen gestern Abend...", stotterte ich und brach wieder ab, weil mir erneut die Tränen kamen. Snape drehte sich zu mir um und musterte mich mit einem grimmigen Gesichtsausdruck.
„Was wollen Sie, Grimmauld?", fragte er mit gelangweilter Stimme.
„Auf dem Korridor... ich..." Ich brachte nicht einmal einen ganzen Satz zustande. „Ich will hier nicht weg, Sir", japste ich dann erstickt.
„Es gibt keinen Grund, wieso Sie gehen sollten, Grimmauld", meinte er und zog die Stirn in Falten.
„Aber Sie haben..."
„Ich kann mich nicht daran erinnern, dass irgendetwas vorgefallen ist." Jetzt sah ich ihn völlig perplex und fragend an.
„Sir?"
„Miss Grimmauld?" Snape blickte herausfordernd zu mir herunter.
„Aber, Professor Snape, ich habe..."
„Sie haben gar nichts getan, Grimmauld!"
„Ich..."
„Haben Sie mich nicht verstanden? Sie haben nichts getan! Nichts! Verstanden?" Er sprach es so langsam aus, als hätte ich Sprachschwierigkeiten. Ich stand einfach nur da und war verwirrt. Snape deckte mich? Wir wussten beide ganz genau, dass ich von der Schule geschmissen gehörte. Ich sah ihm an, dass er sich dem ganz genau bewusst war.
„Jetzt gehen Sie, Grimmauld. Sie haben doch sicher noch Unterricht", murmelte er und machte eine abfällige Geste zur Tür. Ich blieb stehen, wo ich war und starrte ihn fassungslos an. Für einen kurzen Moment konnte ich wieder denselben sorgenvollen Ausdruck in seinen Zügen erkennen. Dann war seine Miene wieder komplett ausdruckslos.
„Sie können mir ein anderes Mal danken. Jetzt verschwinden Sie endlich!"

Stillschweigend verließ ich also den Raum.     

Snape - Sein letztes GeheimnisWo Geschichten leben. Entdecke jetzt