Kapitel 4

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„Glaubt ihr, wir bekommen große Schwierigkeiten wegen gestern Abend?", fragte Aaron am nächsten Tag nach dem Unterricht. Heute war ich wirklich froh darüber, dass der Verwandlungsunterricht bei Professor McGonagall nicht an jedem Tag stattfand. Nach gestern graute es mir davor, ihr gegenüber zu stehen. Obwohl sie unsere Hauslehrerin war, wusste ich ganz genau, dass sie mein Verhalten nicht gutheißen würde.
„Ich glaube nicht. Professor McGonagall wird nicht allzu streng sein. Aber es ist unglaublich wichtig, dass sie von der Acromantula erfährt", meinte Ruby.
„Es tut mir total leid, dass ich euch da wieder mit rein gezogen habe. Ich bekomme sicherlich mächtigen Ärger", seufzte ich und sah meine Freunde niedergeschlagen an.
„Mach dir keinen Kopf, Lily. Wir sind Freunde und wir unterstützen dich bei allem. Abgesehen davon hätten wir auch einfach im Schloss bleiben können, wenn wir gewollt hätten", meinte Aaron fest und zog mich kurz in eine Umarmung. Sein Zuspruch war tröstlich und heiterte mich etwas auf.
„Ausnahmsweise hat er mal Recht", grinste Ruby, was Aaron empört drein schauen ließ.

„Was meint ihr, warum war die Acromantula so dicht am Waldrand?", wechselte ich dann das Thema.
„Keine Ahnung, aber es ist beunruhigend." Ruby seufzte und rieb sich die Schläfen, als hätte sie Kopfschmerzen. Sie tat das immer, wenn sie nachdachte.
„Ich finde es viel interessanter, was Lydia da gemacht hat", meinte Aaron. „Sie ist in den Wald gegangen, aber wir haben sie nirgends gesehen. Meint ihr, sie ist disappariert?"
„Wir hatten unseren Apparierkurs doch noch gar nicht. Von wem hätte sie es lernen sollen? Und abgesehen davon kann man auf dem Hogwarts-Gelände nicht apparieren. Nur Dumbledore konnte das."
„Und wenn der Zauber aufgelöst wurde, der das verhindert?"
„Kann ich mir nicht vorstellen... Aber ich könnte bei Gelegenheit mal Professor McGonagall danach fragen", schlug ich vor.
„Dann ahnt sie gleich wieder was. Sie wird denken, dass wir irgendwas geplant haben. Wir finden das schon irgendwie anders heraus", meinte Ruby besorgt.
„Hm, na schön. Ich habe immer noch keine Eule von Professor McGonagall bekommen. In ein paar Minuten muss ich zu Snape." Ich verzog das Gesicht und seufzte dann.
„Wir warten im Gemeinschaftsraum auf dich. Auch wenn es bis Mitternacht dauert. Ich muss sicher gehen, dass er dich nicht umbringt."
„Danke, Rub", lachte ich. „Aber ich glaube nicht, dass er das tun wird. So fies ist selbst Snape nicht. Und dir Aaron wünsche ich ganz viel Glück gleich beim Training. Ich wünschte, ich könnte dabei sein."
„Danke, Lily", meinte Aaron. Gleich fand die Quidditch-Auswahl statt und ich konnte nicht dabei sein, was mir noch zusätzlich schlechte Laune bereitete.
Trotzdem umarmte ich beide noch einmal dankbar. Dann machte ich mich mit einem letzten Seufzen und einem Winken auf den Weg in die Kerker.

Wie oft war ich diesen Weg schon entlang gegangen, um bei Snape nachzusitzen? Ich wusste es nicht. Viel zu oft, soviel war klar. Aber Snape musste auch immer bei der kleinsten Kleinigkeit übertreiben. Er wollte mich einfach nur um jeden Preis quälen.

Kurz darauf erreichte ich die Tür zu seinem Büro und atmete noch einmal tief durch. Ich würde auch dieses Mal überstehen.

Ich klopfte mit lauten Schlägen an die Tür und vernahm gleich darauf ein gedämpftes „Herein" von drinnen. Ich trat ein und sah Snape in seinem düsteren Büro an seinem Schreibtisch sitzen. Die Wände des Büros waren mit Regalen bedeckt, die vor lauter Büchern beinahe überquollen. Zudem standen überall Gläser und Fläschchen herum, in denen etliche in bunten Flüssigkeiten eingelegte Substanzen schwammen und mir einen Schauer über den Rücken jagten.
„Herkommen, Grimmauld!", forderte Snape ohne Umschweife und deutete mit einer Handbewegung auf einen Stuhl ihm gegenüber. Ich schloss die Tür vorsichtig und lief dann zu ihm hinüber und setzte mich. Dort lagen bereits Pergament und Schreibfeder bereit. Ich würde also irgendetwas schreiben müssen.
„Sie werden jetzt einen mindestens achtzehn Zoll langen Aufsatz darüber schreiben, warum so unbesonnene Schüler wie Sie niemals ohne Erlaubnis in den Verbotenen Wald gehen dürfen." Ich sah ihn skeptisch an. Das erschien mir doch ein wenig kindisch. Doch Snape erwiderte meinen Blick finster und machte nicht im Geringsten den Anschein, als wäre das für ihn ein Witz.
„Schreiben Sie, Grimmauld!", fauchte er leise und funkelte mich durch seine schwarzen Augen an. Für achtzehn Zoll würde ich morgen noch hier sitzen.
Weil ich allerdings keine Lust auf eine Auseinandersetzung mit Snape hatte, griff ich mit einem resignierten Seufzen zu der Feder und setzte die ersten Buchstaben auf das Papier.

Nach nicht einmal fünfzehn Zeilen fiel mir nichts mehr ein. Ich sah auf und beobachtete meinen Zaubertränkelehrer eine Weile. Er sah grimmig auf einen Haufen Pergament vor sich, wobei sich seine Stirnfalte noch mehr vertiefte als üblich. Er bemerkte mich gar nicht. Vielleicht war er ja abgelenkt genug, um ihn davon zu überzeugen, dass auch fünf Zoll seines Aufsatzes Strafe genug war.
„Professor?" Snape sah von den Untersagen vor sich auf. Ich hatten nicht erkennen können, worum es sich dabei handelte, weil der Tisch zu breit war, um unauffällig auf die Blätter zu spähen. Sein Blick war düster, aber gleichzeitig schien er noch durch die Pergamentrollen abgelenkt.
„Professor McGonagall hatte heute keine Zeit, mit mir über die Geschehnisse gestern zu sprechen, Sir."
„Dann wird sie das sicherlich bald nachholen", brummte er nur und schaute wieder weg.
„Im Verbotenen Wald, Sir... Wir sind nicht wirklich weit hinein gegangen, aber auf dem Rückweg sind wir einer Acromantula begegnet, Professor."
„Dann schätzen Sie sich glücklich, dass Sie noch leben. Ihnen sollte doch wohl bewusst sein, dass die Viecher im Wald leben." Jetzt bohrte sich sein Blick in meinen.
„Ja, schon, das weiß ich, Professor. Aber sie sollten nicht so dicht am Schloss sein. Wir waren schon fast wieder am Waldrand, als wir der Spinne begegnet sind."
„Eine einzelne Acromantula, sagst du?" Jetzt schien er tatsächlich Interesse zu zeigen. Mich irritierte das plötzliche „du" allerdings so sehr, dass ich stockte. Auch Snape schien das jetzt aufzufallen, denn er schüttelte nur unmerklich den Kopf.
„Ja, zumindest habe ich keine weiteren gesehen. Ich konnte sie gerade noch mit „Arania Exumai " abwehren. Und ich weiß nicht, wie weit sie uns gefolgt ist", erklärte ich nach einem kurzen Schweigen. Snape wirkte nachdenklich, sagte aber nichts weiter.

„Warum war sie so nah am Schloss, Professor?" Der Gedanke beunruhigte mich noch immer.
„Ich kann es Ihnen nicht sagen, Grimmauld. Ich werde mich darum kümmern." Er stand auf und für einen kurzen Moment dachte ich, er würde mich gehen lassen. Aber die Hoffnung schwand je wieder.
„Wenn ich zurück bin, haben Sie den Aufsatz fertig!", befahl Snape und ließ mich dann alleine in seinem Büro zurück.

Ich seufzte und starrte wieder auf mein Pergament. Was sollte ich denn bitte noch schreiben? Die meiste Zeit schrieb ich irgendeinen Schwachsinn oder starrte in der Gegend herum. Zu gerne wüsste ich jetzt, wo Snape war und was er machte. Bestimmt war er zu Professor McGonagall gegangen.
Die Minuten verstrichen und schließlich wurden es zwei Stunden.

„Abmessen können Sie auch nicht mehr, oder was?", blaffte Snape mich an, als er zurück kam und ich ihm resigniert die Pergamentrolle überreichte. Ich hatte gerade mal knappe zwölf Zoll zustande gebracht. Ich sagte nichts und starrte an die Wand hinter Snape.
„Wenn ich Sie noch einmal dabei erwische, wie sie im Wald herum lungern oder irgendeinen anderen Unfug machen, wird das Konsequenzen haben, Grimmauld. Aber ich muss zugeben, es schaffen nicht viele Schüler, sich gleich am ersten Tag Nachsitzen einzufangen." Er durchbohrte mich mit seinem Blick und ich schaute nur frustriert drein.
„Es tut mir leid, Professor", brachte ich schließlich hervor. Snape knallte das Pergament auf seinen Tisch und schwieg kurz. Ich saß noch immer auf dem Stuhl und hoffte nur darauf, endlich gehen zu dürfen.

„Ich werde der Sache mit der Acromantula nachgehen. Sie wird jetzt bereits im Wald gesucht. Wir müssen wissen, ob es ein Einzelfall war, oder die Spinnen tatsächlich näher am Schloss leben, als sie sollten", erzählte er dann. Ich nickte stumm.
„Hat es Ihnen die Sprache verschlagen?", zog Snape mich beinahe verächtlich auf.
„Es gibt vieles, was ich liebend gerne sagen würde, Professor, aber das lasse ich lieber", murmelte ich nur und dachte mir meinen Teil.
„Kluge Entscheidung... Warum waren Sie überhaupt im Wald?" Ich sah Snape an und überlegte fieberhaft, ob ich die Wahrheit sagen sollte oder lieber nicht.
„Ich habe jemanden in den Wald hinein laufen sehen und wollte wissen, wer es ist und wieso die Person dort hingeht." Das war nicht die ganze Wahrheit, aber es war auch nicht gelogen.
„Ihre Neugier wird Ihnen noch den Hals kosten, Grimmauld", brummte er. Dann ging er mit schnellen Schritten in einen Nebenraum und kam keine halbe Minute später schon wieder zurück.
„Nehmen Sie das. Dann bleiben keine Narben", meinte er und zeigte auf meine zerkratzte Wange. Erstaunt nahm ich das kleine Fläschchen entgegen und schaute ihn verwundert an. Snapes Augen waren ruhig und schauten beinahe sanft zu mir runter.
„Und dann verschwinden Sie und sagen keinen Mucks mehr!", sprach er wieder gewohnt hart.
„Danke... Pr..." Snapes bitterböser Blick ließ mich verstummen. Also nickte ich nur schnell und machte mich dann schleunigst auf den Weg nach draußen.     

Snape - Sein letztes GeheimnisWo Geschichten leben. Entdecke jetzt