Kapitel 6

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Zuerst hatte ich den Eindruck, dass Lydia gar nicht wirklich wusste, wo sie überhaupt hin wollte. Sie schien völlig wirr durch die Gänge zu schleichen und wurde dabei das eine ums andere Mal von einem mies gelaunten Portraitbewohner beleidigt. Ich hatte keinen Schimmer, was sie vor hatte. Trotzdem folgte ich ihnen die ganze Zeit. Langsam wurde es draußen dunkel, sodass auch im Schloss immer weniger Licht die Gänge erhellte. Doch das machte es mir einfacher, mich hinter Wandvorsprüngen und Statuen zu verstecken. 

Einmal liefen wir beinahe einer Lehrkraft über den Weg. Es war Professor Trelawney, die leise vor sich hin murmelte, während sie durch den Korridor schritt. Wir wurden zum Glück nicht von ihr entdeckt, weil sie viel zu sehr in Gedanken versunken war, und liefen weiter.

Eine gefühlte Ewigkeit später blieb Lydia vor einer leeren Wand im siebten Stock stehen. Erst fragte ich mich, was sie da tat, doch da bewegte sich etwas. Die blonde Slytherin schritt dreimal vor der Wand entlang und schien etwas vor sich hin zu murmeln. Die Wand veränderte sich, als sie wieder stehen blieb und vor meinen Augen erschien eine große hölzerne Tür an der Stelle, wo bis vor kurzem nur kalte Steine gewesen waren.
Der Raum der Wünsche, sagte eine kleine Stimme in mir. Ich hatte den Raum noch nie betreten oder ihn nur gesehen, aber er musste es sein. In meinem zweiten Jahr soll sich dort drin eine Gruppe um Harry Potter getroffen haben, um heimlich die Verteidigung gegen die dunklen Künste zu lernen. Sofort beschleunigte sich mein Atem vor Aufregung.

Lydia und Courtney stießen die große Tür auf und traten in den Raum hinein. Ich schaute mich im Flur um und stockte. Ausgerechnet die blöde Katze von Filch mit ihren gefährlich gelben Augen musste jetzt hier herum irren. Man munkelte, dass sie Filch erzählte, wer sich nachts unerlaubt in den Gängen aufhielt.
Aber Lydia war wichtiger. Also ignorierte ich die Katze und sprintete quer über den Gang und stolperte in letzter Sekunde in den Raum. Hinter mir fiel die Tür krachend ins Schloss und eine plötzliche Stille hüllte mich ein.

Von Lydia und ihrer Freundin war schon nichts mehr zu sehen. Stattdessen bewunderte ich den riesigen Raum vor mir. Er schien beinahe keine Decke zu haben, so hoch war er. Und in Länge und Breite übertraf er vermutlich sogar die Große Halle. Hier stapelten sich tausende Dinge in riesigen Bergen von Gerümpel, die teilweise leicht wackelten und kleine, enge Gassen zwischen all den Gegenständen bildeten. Alles Mögliche war hier zu finden. Von Schmuck über Möbel bis hin zu verschiedenen Statuen und Büchern. Zwischen all dem Gerümpel wirkten die schmalen Gänge wie ein Labyrinth. An einigen Stellen waren die Durchgänge zugeschüttet, an anderer Stelle endeten sie in einem weiteren riesigen Berg voller Gegenstände. Dieser Raum gab ein unglaublich gutes Versteck ab und die Magie, die er ausstrahlte, faszinierte mich.

„Beeil dich, bitte!", hörte ich da eine piepsige Stimme und rannte erschrocken hinter eine alte Kommode, um mich dort zu verstecken. Courtney lief nervös in einer Gasse umher und betrachtete ängstlich die riesigen Berge und Regale vor sich, als hätte sie Angst, dass sie jeden Moment einstürzten.
„Jetzt halt endlich deine Klappe!", fauchte Lydia und tauchte in einem Gang auf. Gleich darauf verschwand sie wieder und lief tiefer in den Raum hinein.
Ich schlich leise hinterher und beobachtete genau, was sie tat. Sie schien etwas zu suchen, was genau konnte ich allerdings nicht sagen, da sie auch auf Courtneys Frage hin nicht antwortete. Doch es konnte kein sonderlich großer Gegenstand sein, denn sie schaute auch immer wieder in Schubladen oder kleine Hohlräume hinein.

Bestimmt eine Stunde lang lief sie ziellos durch den Raum, bis sie vorerst die Suche aufgab und wieder zum Ausgang zurück lief. Als die zwei Mädchen den Raum verließen, blieb ich noch eine Weile in meinem Versteck hocken und ging erst, als ich sicher war, dass sie längst auf einem anderen Stockwerk verschwunden sein mussten.

Erst dann machte auch ich mich so leise wie möglich auf den Rückweg. Die ganze Zeit fühlte ich mich von Mrs Norris beobachtet, aber ich sah sie kein einziges Mal mehr. Zum Glück war der Weg bis zur Fetten Dame nicht weit und so schaffte ich es bis dorthin, ohne entdeckt zu werden. Die Frau im Portrait schlief bereits und war überhaupt nicht davon begeistert, dass ich sie weckte und sie mich in den Gemeinschaftsraum lassen musste. Für kurze Zeit befürchtete ich, sie würde mit ihrem Gejammer das ganze Schloss wach machen. Aber dann war ich endlich sicher im Inneren des Gemeinschaftsraums angekommen und lief erleichtert hoch zu den Mädchenschlafsälen. Ruby musste beim Warten auf mich eingeschlafen sein, denn sie trug noch ihren Umhang und lag auf der Decke. Ich deckte sie so gut es ging zu und ging dann selbst ins Bett.

Am Morgen weckte Ruby mich aufgeregt und quetschte mich gleich über alle Einzelheiten von gestern Nacht aus. Ich erzählte allerdings noch nichts. Ich wollte damit warten, bis Aaron auch dabei war, damit ich nicht alles doppelt erzählen musste. Ruby nahm das mit einem genervten Seufzen so hin. Sie wusste ganz genau, dass ich direkt nach dem Aufstehen ungern redete. Ich hasste es. Am besten ließ man mich einfach in Ruhe.

In der Großen Halle erzählte ich meinen Freunden dann alles ganz genau. Auch Penny war dabei und hörte gespannt zu. Sie teilte sich immerhin ein Zimmer mit Ruby und mir und hatte deshalb mitbekommen, dass ich nicht da gewesen war. Ich konnte ihr vertrauen. Sie war neben Ruby meine beste Freundin und hatte von uns auch die Geschichte im Wald schon gehört.

Vor Zaubertränke an diesem Morgen kam Professor McGonagall auf mich zu.
„Miss Grimmauld, folgen Sie mir bitte in die Kerker", meinte sie nur mit einem kleinen Nicken. Ich winkte meinen Freunden zerknirscht zu, schnappte mir meine Tasche und lief ihr hinterher.
„Wo gehen wir hin, Professor?", fragte ich sie auf der Treppe, die hinunter in die Kerker der Schule führte. Ein bisschen mulmig war mir schon.
„Sie haben gleich Unterricht in Zaubertränke. Vorher möchte ich noch kurz mit Ihnen sprechen. Professor Snape erwartet uns bereits."
Snape war auch dabei? Na das konnte ja was werden. Sofort sank meine Laune noch mehr als zuvor. Vor McGonagall hatte ich keine Angst, sie war schließlich meine Hauslehrerin und immer fair zu ihren Schülern gewesen, aber irgendwie sorgte Snapes Anwesenheit bei mir für Unbehagen.

Viel zu schnell kamen wir bei dem Klassenzimmer an. Die Schulleiterin schloss hinter mir die Tür und Snape kam nur zwei Sekunden später aus einem Nebenraum zu uns. Er strafte mich mit einem kühlen Blick, doch Professor McGonagall ergriff unverzüglich das Wort.
„Also, Miss Grimmauld. Professor Snape hat mir bereits erzählt, was Sie ihm gestern mitgeteilt haben. Sie brauchen sich keine Sorgen um die Acromantula machen. Ich habe meinen für diesen Fall begabtesten Mitarbeiter darauf angesetzt", erklärte die Professorin mir mit ruhiger Stimme. Snape schnaubte verächtlich, als sie von dem Mitarbeiter sprach. Ohne es genau zu wissen, schoss mir Hagrid durch den Kopf. Hagrid konnte gut mit Tierwesen und besonders unter Slytherins war er nicht immer beliebt. Möglicherweise sah Snape das genauso.
„Allerdings hat es sich mir noch immer nicht erschlossen, warum Sie mit Ihren Freunden im Verbotene Wald waren, Grimmauld." McGonagall sah mich fragend an.
„Ich habe dort jemanden laufen sehen und wollte wissen, was die Person dort macht", antwortete ich knapp.
„Und um wen handelte es sich dabei?", fragte sie weiter.
„Ich weiß es nicht, Professor." Die Schulleiterin sah mich kurz schweigend an, nickte dann aber leicht. Als ich kurz zu Snape sah, erkannte ich an seinem Blick sofort, dass er mir nicht glaubte. Damit hatte er Recht, aber ich versuchte, mir nichts anmerken zu lassen.
„Sie haben damit schwerwiegend gegen die Schulordnung verstoßen", fuhr Minerva McGonagall fort.
„Ich weiß, Professor. Es tut mir Leid." Ich sah geknickt zu Boden.
„Ich habe Ihnen bereits Hauspunkte abgezogen und Professor Snape hat Sie ebenfalls für Ihr Handeln bestraft. Da es sich hierbei allerdings bei Weitem nicht um das erste Mal handelt, Grimmauld, muss ich Sie leider darauf hinweisen, dass Ihnen beim nächsten Mal ein Schulverweis bevorsteht. So ungern ich das auch tue. Das geht so nicht weiter, Lily Grimmauld."
„Ja, Professor", sagte ich kleinlaut und schluckte schwer. Hogwarts war mein Zuhause. Ich wollte nicht zurück zu meinen Pflegeeltern. Um keinen Preis.
„Ich hoffe sehr, dass wir eine solche Unterhaltung nicht wieder führen müssen", fügte sie noch hinzu und sah mich dann mit einem kleinen Lächeln an. Ich nickte nur kurz.
„Nun gut, dann werde ich mal weiter gehen. Ich habe noch viel Arbeit zu erledigen. Severus, Miss Grimmauld." Sie nickte uns beiden noch einmal zu und ging dann aus dem Raum heraus. Ich wagte es nicht, zu Snape zu schauen, aber ich spürte seine dunklen Augen auf mir, als ich mich an meinen Platz im Klassenzimmer setzte. Zu meiner großen Verwunderung drehte er sich schließlich weg und ignorierte mich, bis es klingelte und auch danach für fast den ganzen Rest seiner Unterrichtsstunde. Nur ganz am Ende, als er uns aufforderte, Zaubertrankproben nach vorne zu bringen, sprach er wieder mit kalter Stimme zu mir.
„Behalten Sie Ihren gleich da, Grimmauld. Es wir eh für keinen einzigen Punkt reichen." Wie auch, wenn meine Gedanken die ganze Stunde über um die Frage kreisten, was Lydia Thomson im Raum der Wünsche gesucht hatte?!

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Habt ihr eine Idee, was Lydia sucht?

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Snape - Sein letztes GeheimnisWo Geschichten leben. Entdecke jetzt