Kapitel 18

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„Was ist jetzt denn los?", fragte Penny und sah uns erstaunt an.
„Ich habe keine Ahnung", murmelte ich und starrte zur Tür, durch die Snape gerade verschwunden war. Es musste so wichtig gewesen sein, dass es ihm sogar egal war, dass er einen Haufen Schüler allein in seinem Klassenzimmer ließ.
„Meint ihr, es ist irgendwas passiert?", fragte Ruby besorgt.
„Ich werde ihn fragen, sobald ich ihn sehe", nahm ich mir vor. Dann stopfte ich das Buch zurück in die Tasche und stand auf. Die meisten Schüler waren bereits hinaus gelaufen.

Wir liefen zusammen nach draußen. Wir wollten die Doppelstunde, die wir jetzt frei hatten, für den Aufsatz nutzen, um nachher genug Zeit für unsere Mission zu haben. Ruby hatte vorgeschlagen, zur Wiese vor Hagrids Hütte zu gehen. Der Wildhüter würde jetzt vermutlich im Unterricht sein, als hatten wir dort unsere Ruhe.
Wir waren im Erdgeschoss angekommen und verließen das Schloss, als uns eine Gestalt auffiel, die neben dem großen Stein stand und hinaus auf den Wald schaute. Es war - unverkennbar an den schwarzen Haaren und dem schwarzen Umhang - niemand anderes als Snape. Ich sah nur kurz zu meinen Freundinnen und lief auf ihn zu.
„Professor...?", fragte ich, als ich bei ihm ankam und berührte kurz seinen Arm mit meiner Hand. Snape drehte sich sofort zu mir um und schaute mich mit einem vernichtenden Blick an.
„Lily, du darfst jetzt nicht hier sein. Ihr dürft alle drei nicht hier sein", meinte er ernst und schaute dabei auch zu Ruby und Penny, die mir gefolgt waren und ein paar Schritte hinter mir standen.
„Wieso? Was ist los?"
„Das kann ich dir jetzt nicht sagen. Bitte, geht, bevor Minerva kommt und glaubt, dass ihr mal wieder etwas damit zu tun habt!" Er sah sich um und schaute dabei auch zurück zum Wald. Da erkannte ich, dass Hagrid unten an seiner Hütte stand. Fang an seiner Seite und das unförmige Ding in seiner Hand war vermutlich die Armbrust.
„Ist es die Acromantula?", fragte ich entsetzt. Snape seufzte genervt.
„Lily, hör zu!" Er hielt mich an beiden Oberarmen fest und sah mir eindringlich in die Augen. „Ihr verschwindet jetzt von hier. Und komm bloß nicht auf die Idee, dich hier irgendwo zu verstecken. Es wird nichts passieren. Professor McGonagall wird gleich kommen und Flitwick wird sie auch mitbringen. Wir haben hier alles unter Kontrolle und du und die ganze Schule seid in Sicherheit. Also gib endlich Ruhe. Ich erzähle es dir bei Gelegenheit." Dann ließ es mich los und forderte mich mit einer Kopfbewegung zum Gehen auf.
„Brauchst du wirklich keine Hilfe?", fragte ich kleinlaut. Sofort schoss mir wieder das Bild seines blutüberströmten, kraftlosen Körpers in den Kopf und ich zuckte unmerklich zusammen.
„Ich pass auf mich auf, versprochen", meinte er, als wüsste er genau, woran ich gerade dachte. Dann schob er mich mit sanfter Gewalt zurück in Richtung Schloss. Ich seufzte und ergab mich.

„Wer ist das und was hat er mit Snape gemacht?", fragte Ruby ungläubig und lachte auf, als wir wieder im Schloss waren und Snape uns nicht mehr hören konnte.
„Das... ist mein Dad", murmelte ich. Es war das erste Mal, dass ich es so aussprach und es fühlte sich irgendwie gut an. Penny und Ruby grinsten mich an und nahmen mich jeweils an ihre Seite. So gingen wir zu dritt in die Große Halle und stürzten uns dort auf den Aufsatz, zu dem Snape uns genötigt hatte. So wirklich bei der Sache war ich allerdings nicht. Immer wieder kreisten meine Gedanken um das, was unten im Wald gerade vor sich gehen mochte. Allzu oft mussten Penny und Ruby mich aus meiner Grübelei wieder zurück in die Wirklichkeit holen.

Wir schafften es gerade rechtzeitig zum Stundenende, den Aufsatz zu beenden. Dann liefen wir zusammen zu Verteidigung gegen die dunklen Künste bei Professor Morring. Vor dem Raum trafen wir auf Aaron und erzählten ihm, was zuvor geschehen war. Kaum war Morring jedoch da, mussten wir gezwungenermaßen zuhören. Er war definitiv auf Platz zwei der Lehrer, die liebend gerne Nachsitzen verteilten.

Als der Schultag endlich rum war, versammelten wir uns zusammen auf der Mädchentoilette im zweiten Stock. Wir hatten Glück und trafen dort nicht auf die Maulende Myrte. Vermutlich saß sie heulend in einem Abflussrohr und bemerkte uns gar nicht.
Penny hatte den Vielsaft-Trank und eine Slytherin-Robe dabei. Sie hatte noch eine von einer älteren Schülerin, die letztes Jahr ihren Abschluss hier gemacht hatte. Sie waren befreundet gewesen.
„Ich habe das Haar schon hinein gegeben. Das Zeug soll total abartig schmecken." Mit verzogener Miene überreichte sie mir das Gefäß von Snape.
„Wo ist Lucy gerade?", erkundigte ich mich noch einmal zur Sicherheit.
„Sie ist runter zum See gelaufen. Da ist sie irgendwie ständig. Wir folgen ihr gleich, wenn du in die Kerker gehst", erklärte Ruby mir.
„Na schön, was soll's", seufzte ich dann und kippte das absolut widerwertige Zeug in einem Zug hinunter. Es schmeckte furchtbar und ich musste mich echt konzentrieren, um es nicht gleich wieder auszuspucken.
Dann beobachteten wir alle gespannt, wie meine Haut Blasen schlug und sich veränderte. Es fühlte sich ganz komisch an und alles kribbelte ganz merkwürdig. Doch schließlich war es vorbei und ich war um ein gutes Stück geschrumpft.
„Das ist sowas von gruselig", meinte Aaron und starrte mich an.
„Los, zieh die Robe an. Wir haben nicht viel Zeit", meinte Penny und drückte mir den Stoff in die Hand.
Ich zog mich um und wandte mich nochmal an meine Freunde.
„Wünscht mir Glück", murmelte ich und lächelte sie schief an. Dann lief ich zur Tür und machte mich auf den Weg zum Slytherin-Gemeinschaftsraum.

Dort angekommen hatte ich Glück, dass gerade zwei Schüler durch die passwortgeschützte Steinmauer gingen. Ich schloss mich ihnen an und war schneller und leichter drinnen, als ich vermutet hatte.
Hier war alles in schwarz und grün gehalten und insgesamt war es recht dunkel. Nicht so freundlich wie in meinem Gemeinschaftsraum. Vor einem riesigen Kamin standen ein paar Sofas, auf denen Schüler saßen. Insgesamt war der Aufbau dem Gryffindor-Raum jedoch sehr ähnlich.
Keiner der Schüler schien mich zu beachten oder überhaupt richtig zu bemerken. Ich verlor also keine Zeit und lief zielstrebig auf die Mädchenschlafsäle zu. Jetzt musste ich nur noch herausfinden, welches Zimmer das von Lydia war. Doch das Glück war auf meiner Seite. Courtney kam gerade aus einem Zimmer und sprach dabei mit einem anderen Slytherin-Mädchen. Ich versteckte mich hinter einer Skulptur und lauschte darauf, wie sie die Tür verriegelte und dann den Gang hinunter ging.
Ich schaute mich um und wartete, bis niemand mehr zu sehen war. Dann sprintete ich zu der Tür und öffnete sie mit einem geflüsterten „Alohomora". Die Tür sprang auf und ich betrat den Raum.
Es war niemand hier, weshalb ich erleichtert aufatmete und sofort mit meiner Suche begann.
Möglichst ohne Spuren zu hinterlassen durchwühlte ich Schränke und Schubladen. Ich schaute unter den Teppichen, hinter den Vorhängen und unter den Matratzen. Aber ich fand nichts, was irgendwie ungewöhnlich wirkte. Auch im Bad konnte ich nichts Sonderbares entdecken. Ich wollte meine Suche schon aufgeben, als ich erstarrte. Ein Schlüssel drehte sich im Schloss.

Ich blieb wie angewurzelt stehen und stand kurz darauf einer stocksaueren Lydia Thomson gegenüber. Ich schluckte schwer.
„Was zur Hölle suchst du in meinem Zimmer, du elende Schreckschraube?", schrie sich mich an.
„Ich... ich... ich weiß nicht", stotterte ich und versuchte dabei irgendwie die Stimme zu verstellen.
„Sag mir, was du hier verloren hast!", brüllte sie und packte mich am Kragen des Umhangs.
„Weiß nicht", brachte ich nur hervor.
„Du nichtsnutzige Missgeburt!" Sie schlug mir mit Gewalt ins Gesicht, sodass ich zurück taumelte. Noch ehe ich wieder richtig stand, schleifte sie mich aus dem Raum hinunter in den Gemeinschaftsraum. Dort schubste sie mich bis in die Mitte, sodass sich sofort eine kleine Menschentraube um uns herum bildete, die begierig zusah.
„Wo ist Snape?", blaffte sie die anderen an.
„Er müsste in seinem Büro sein", meinte Courtney eingeschüchtert.
„Hol ihn sofort her!" Wie ein kleines Hündchen rannte Courtney sofort los. Mich verfrachtete Lydia auf eines der Sofas und hielt ihren Zauberstab immerzu auf mich gerichtet. Mit ihrem Blick wollte sie mich am liebsten auf der Stelle umbringen.

Die Minuten verstrichen quälend langsam, bis Snape endlich mit Courtney den Raum betrat. Ich muss endlich wieder hier raus. Allzu lange konnte die Wirkung des Trankes nicht mehr anhalten.
„Was ist hier los?", fragte Professor Snape wütend, als er angerauscht kam und richtete den Zauberstab auf Lydia, damit sie ihren sinken ließ. Doch sie ließ sich nicht beirren.
„Lucy war unerlaubt in meinem Zimmer, Professor. Sie ist eingebrochen und hat meine Sachen durchwühlt", rief sie grimmig.
„Ist das war, Miss Gwenn?", fragte Snape langsam und sah mich böse an.
„Professor... ich... Ich weiß nicht, wie ich da hingekommen bin", flüsterte ich und nagte dann auf meiner Unterlippe. Das war so eine Eigenart von mir und ich hoffte sehr, dass Snape mich dadurch erkannte.
„Tun Sie was, Professor! Ich will, dass sie dafür bestraft wird!", meinte Lydia empört.
„Mitkommen!", befahl Snape nur und packte meinen Ärmel, als ich nur zögerlich aufstand. Dann durchquerten wir hastig den Gemeinschaftsraum, anschließend den Flur, bis wir bei seinem Büro angekommen waren und er mich hinein stieß. Alles unter den neugierigen Blicken der Slytherins auf den Gängen.     

Snape - Sein letztes GeheimnisWo Geschichten leben. Entdecke jetzt