Der Anruf

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(2012: Rückblick 2)

Pov. Dima
Das Wasser prasselte angenehm auf meinen Körper. Langsam fuhr ich mir mit den Fingern durch meine Haare und schloss die Augen. Für einen Moment konnte ich all meine Sorgen vergessen, doch bald würde wieder all die Last zurückkehren und schwer auf meinen Schultern liegen. Wie sollte es weiter gehen? Ich musste mein Leben wieder in den Griff bekommen, so wie es jetzt war würde ich nicht mehr lange durchhalten. Ich stieg aus der Dusche und trocknete mich ab. Frisch angezogen griff ich nach meinem Handy und durchforstete meine Kontakte, als ich die richtige Nummer fand starrte ich einige Augenblicke lang mein Display an. Sollte ich das wirklich tun? Auf der anderen Seite wollte ich Kolle nicht mehr länger zur Last fallen. Es kostete mich meine ganze Überwindungskraft und schon hörte man das piepst der Leitung. Inständig hoffte ich, dass niemand ran gehen würde, doch dieser Wunsch wurde mir nicht erfüllt, da am anderen Ende abgehoben wurde und ein: „Julien Sewering. Wer spricht?", ertönte. Ohne zu antworten starrte ich die gegenüberliegende Wand an. Meine Kehle fühlte sich staubtrocken an und ich brachte kein Wort hervor. „Ja", krächzte ich schließlich. „Wer spricht?", kam es fragend vom anderen Ende der Leitung. „Dima", gab ich kurz angebunden zurück. „Sundiego?", hörte man Juliens Stimme ungläubig fragen, bevor er in Gelächter ausbrach. Ich wartete ab, bis er sich beruhigt hatte. „Woher hast du meine Nummer?", fragte er. „Na ist auch nebensächlich", redete er weiter, als er nicht sofort eine Antwort bekam. „Wie kommst du so als Rapper voran? Ich hab gehört ein gewisser Juliens Blog hat dir übel zugesetzt. Es freut mich zu hören, dass du noch lebst.", Seine sarkastische arrogante Art brachte mich zur Weißglut, doch ich wusste nicht, welche Antwort ich ihm darauf geben könne, also schwieg ich weiter hin. „Solange du kein Autotune auf deiner Stimme hast, kann ich dich ertragen, also mach deinen Mund auf und sag warum du angerufen hast. Ich hab auch nicht den ganzen Tag Zeit." Dieser miese Bastard. Am liebsten hätte ich aufgelegt, doch diese Genugtuung wollte ich ihm nicht geben. „Können wir uns treffen?", war das einzige was ich hervorbrachte. Nun herrsche auch bei ihm Schweigen. Nach einer Minute Stille ergriff er wieder das Wort. „Naschön, wenn's den unbedingt sein muss. Kennst du den kleinen Supermarkt am Stadtrand. Komm dort zu Mittag hin und komm alleine." Der letzte Satz hatte einen drohenden Unterton und ich schluckte nervös. „Klar, hab verstanden", meinte ich nur und schon hatte Julien aufgelegt.

Langsam ließ ich meine Hand sinken. Mein Handy rutschte mir fast aus der Hand da meine Finger plötzlich anfingen zu zittern. Ich begann jetzt schon an meiner Entscheidung zu zweifeln. Ich wusste gar nicht, was ich ihm sagen sollte, geschweige denn von ihm wollte. In der Nähe ging eine Sirene an und riss mich aus meinen Gedanken. Ein Blick auf die Uhr verriet mir, dass es in einer Stunde 12 Uhr war und so öffnete ich die Haustüre und ging hinaus um mich dem zu stellen, in was ich mich gerade selbst hinein geritten hatte.

Um punkt 12 Uhr wartete ich bei unserem Treffpunkt. Unruhig wanderte mein Blick umher. Ich zweifelte daran, dass Julien überhaupt kam und wurde von Minute zu Minute ungeduldiger. Gerade begann ich damit darüber nachzudenken wieder in mein Auto zu steigen und zurück zu fahren, als ein silberner Jaguar auf den Parkplatz, auf dem ich stand, zusteuerte und neben mit zum Stehen kam. Die Tür der Fahrerseite öffnete sich und Julien stieg aus. Er hatte seinen eigenen Merch und kurze Hosen an, dazu trug er eine seiner Caps. Grinsend lehnte er sich gegen sein Auto uns sah mich erwartungsvoll an, darauf wartend, dass ich etwas sagte. Nervös stieg ich von einem Fuß auf den anderen. Ich wusste nicht wirklich was ich von ihm wollte. Im Laufe der letzten Monate hatte sich ein unglaublicher Hass gegen ihn aufgestaut. Nur ihn jetzt zu beleidigen und aufs wüste zu beschimpfen würde nur noch mehr dafür sprechen, wie sehr er mir mit nur einem Video auf YouTube zugesetzt hatte und ich wollte ihm diese Bestätigung nicht geben. Ich begann mich zu fragen, warum er überhaupt hier her gekommen war. Um mir noch mehr bewusst zu machen, dass er am längeren Hebel saß? Um mir in die Augen zu sehen, bevor er mir mit dem nächsten Video den Todesstoß gab? Vielleicht erwartete er auch von mir, dass ich ihn anbettelte meinen Ruf wieder aufzubauen, immerhin tat und glaubte seine Community immer alles, was er sagte. Er müsste nur einige meiner Tracks lobend erwähnen und ich würde in der Rapszene wieder angenommen werden. Es war nicht meine Art andere um einen Gefallen anzuflehen, erst recht nicht, wenn diese die Ursache meines Problems waren und die Schuld an allem trugen. Doch vielleicht hatte ich in diesem Fall keine andere Wahl.

Es war nicht leicht meinen Stolz so über Bord zu werfen, doch schlussendlich holte ich tief Luft und begann zu sprechen: „Ich möchte dich darum beten mir zu helfen... „ Ich wollte noch mehr sagen, doch mir blieben die Worte im Hals stecken. Ich wusste nicht was ich sagen sollte. Ich sah zu Julien hinüber, der mich noch immer ansah.

Am liebsten würde ich auf der Stelle im Boden versinken. Was hatte ich mir nur dabei gedacht? Doch nun gab es kein Zurück mehr. „Was willst du dafür, dass du meinen Ruf wieder aufbaust?", fragte ich schließlich kleinlaut „Ich weiß, dass du das kannst.", füge ich nach einer Weile noch hinzu, als keine Antwort von ihm kam. Als ich meinen Kopf wieder hob, den ich davor gesenkt hatte, erwartete ich ein siegessicheres Lächeln auf seinen Lippen, immerhin hatte ich ihm gerade indirekt zu verstehen gegeben, dass ich ohne ihn nicht mehr weiter kam, dass ich so hilflos in meiner Situation war, dass ich den Menschen, der mir am meisten Schaden zugefügt hatte, um Hilfe bitten musste. Doch sein Gesichtsausdruck blieb neutral, als er nun auch das Wort ergriff: „Ich hatte nicht erwartet, dass du so weit gehen würdest. Ich dachte wir wären wegen etwas anderem hier." Verwirrt sah ich ihn an. „Er wird es nicht ewig vor dir geheim halten können. Du hast ja meine Nummer, wenn du's weißt, ruf mich nochmal an, dann können wir nochmal reden. Obwohl ich mir sicher bin, dass dir dann nicht mehr zum Reden zumute ist. Vermutlich muss ich froh sein, wenn ich mit einem Krankenhausaufenthalt davon komme. Ich sollte wohl die restlichen Tage noch genießen, bevor ich das Zeitliche segne.", scherzte er und stieg zurück ins Auto.

Völlig verdattert stand ich noch zehn Minuten, ohne mich zu bewegen, da, nachdem er schon längst weg war. Was war das gerade und was hatte er gemeint? Ich verstand die Welt nicht mehr. Gedankenverloren fuhr ich zurück in meine Wohnung.

Started from the BottomWo Geschichten leben. Entdecke jetzt