Secretum

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(2013: Rückblick 29)

Po. Julien

Als ich wieder auf meinem Sessel saß war ich heil froh. Ich schwor mir so schnell davon nicht mehr aufzustehen.

Juri, der sich immer noch in Stillschweigen hüllte, sah die Packung Schmerztabletten an, die ich in der Hand hielt.

„Willst du die?", ich hielt die Schachtel hoch.

Es war mehr eine rhetorische Frage denn es war absolut klar, dass er sie brauchte. Sein Stich war tiefer als meiner und ich fühlte mich schon, als würde ich halb sterben, also wollte ich mir gar nicht ausmalen wie es ihm ging. Meine Frage sollte viel mehr dazu dienen ihn zum Reden zu bringen, doch das war wohl zwecklos denn ich bekam keine Antwort.

Ich gab es auf und schob ihm die Schachtel über den Tisch. Er nahm sie an und schluckte noch mehr davon als ich. Das konnte nicht gesund sein was wir hier machten. Andererseits saßen wir hier beide mit Messerverletzungen, also was wussten wir schon davon was gut für unseren Körper war.

Dima kam herein und sah sich um.

„Hat sich ja nicht viel getan bei euch." Kommentierte er das Bild von uns beiden das sich ihm bot. Dass ich alleine zu dem Schrank war um mir Tabletten zu holen verschwieg ihm ihm. Er hätte sich bloß darüber aufgeregt, wie verantwortungslos ich gegenüber mir selbst war. Ich hoffte inständig das er die Packung nicht bemerkte die auf dem Tisch lag.

Sunny kam nun auf mich zu uns stellte seinen Computer vor mir ab.

„Wirklich viel zu finden ist über Dennis ja nicht. Das einzig Auffällige ist, dass seine ältesten Artikel alle über Salah handeln. Die sind noch alle in journalistischem Rahmen. Er berichtet über die Strukturen und die Tätigkeiten. In manchen Texten werden die kriminellen Handlungen von Salah beschrieben. Ich weiß, dass er kein Unschuldslamm ist und es sind auch nur kleinere Straftaten: Drogendelikte, Gewaltanwendungen, Schlägereinen.... Das alles scheint noch der Wahrheit zu entsprechen. Damals war Dennis noch nicht so bekannt. Er ist erst ins Rampenlicht gerückt, als seine Titel dramatischer wurden und seine Storys reißerischer und skandalöser."

„Wir haben hier also einen Journalisten, der sich Sachen über die Clans ausdenkt damit er erfolgreicher wird?"

„Ja", bestätigte Sunny.

„Und was hat das jetzt mit all dem zu tun was gerade passiert? Ich sehe da keinen Zusammenhang. Klar, er erledigt seinen Job nicht richtig, aber dagegen können wir auch nichts machen."

„Etwas stimmt noch nicht bei ihm. Wieso verteidigt er die Blue Wings und schiebt den Tod der Skorpione uns in die Schuhe? Er wollte doch immer die kriminellen Seiten einer Mafia hervorheben. Die Blue Wings sind doch die Vorzeigemafia für so etwas. Warum rennt er denen nicht hinterher und schreibt über ihre kriminellen Machenschaften. Das gibt bestimmt mehr Aufmerksamkeit, als sich irgendwelche Storys aus den Fingern zu ziehen."

„Das ist wirklich etwas seltsam, aber ich kann dir nicht sagen woran das liegen könnte."

Sunny wirkte verzweifelt, seufzte dann resigniert und klappte seinen Laptop zu.

„Ich werde weiter an meinem Text fürs JBB schreiben gehen."
Und schon war er wieder aus der Tür.

Für das JBB hatte ich in den letzten Monaten kaum Zeit gehabt. Zu meinem eigenen erstaunen hatte ich es dennoch jedes Mal hinbekommen die Analysen hochzuladen.

Ich versank in Gedanken über meinen Job und über die Videos, die ich noch aufnehmen musste und fragte mich wie ich das anstellen sollte, wenn ich nicht mehr nach Hause kam. Salah hatte kein Aufnahmestudio das ich benutz konnte. Ich grübelte weiter darüber und vergaß dabei Juri der noch immer auf seinem Stuhl saß und sich dort seit Sonnenaufgang nicht wegbewegt hatte. Erst als das Salz, das auf dem Tisch gestanden, hatte laut zu Boden krachte wurde ich aus meinen Gedanken gerissen.

Juri war so langweilig geworden das er angefangen hatte Sachen, die auf dem Tisch standen zu stapeln. Der Turm war umgekippt und nun lag die Hälfte der Dinge inklusive des Salzes auf dem Boden.

Genervt sah mich Juri an. Er hatte sichtlich schlechte Laune und keine Lust mehr noch eine Sekunde länger an dem Platz zu verbringen an dem er nun schon seit Stunden saß.

„Wenn du mit mir reden würdest, wär dir vielleicht nicht mehr ganz so langweilig und du musst den Boden nicht mit Salzstreuern bestrafen", schlug ich vor.

Da ich ohnehin keine Antwort erwartete redete ich einfach weiter:
„Wer ist dieser Dennis Sand? Du kennst ihn nicht wahr? Zumindest hast du schon mal von ihm gehört."

„Woher weißt du das?"

Erschrocken sah ich ihn an. „Du kannst sprechen? Oder hab ich mir das gerade eingebildet?"

„Ach halt die Fresse", giftete Juri mich an.

„Wow unhöflich. Du hast mir besser gefallen, als du noch den Mund gehalten hast."

Juri schnaubte.

„Aber wenn du schon mal angefangen hast zu reden kannst du auch weitermachen. Von mir aus kannst du mich auch in jedem Satz beleidigen wenn es dir dann besser geht."

Ich wartete ab, bis er erneut zum Sprechen ansetzte.

„Dennis ist ein Freund."

„Ein Freund huh? Was für eine Art von Freund?"

„Er hat uns aufgenommen."

„Er hat euch... Warte was? Er hat euch aufgenommen? Wer ist euch?"

„Leute wie mich."

„Leute von der Straße?"

Juri nickte.

„Er ist euer Anführer?"

Juri schüttelte den Kopf.

„Ok, aber er ist der Gründer der Blue Wings?"

Juri zögerte. „Wenn man so nennen will, ja", sagte er schließlich.

„Dima", rief ich laut damit er mich durch die Wände hörte.

„Was?", fragte er als er den Kopf durch die Tür steckte.

„Dennis Sand hat die Blue Wings gegründet", gab ich ihm grinsend zur Antwort.

Ungläubig starrt er mich an. „Wie kommst du auf so was?" Ich zeigte auf Juri.

„Oh, hat er sprechen gelernt?" Dima ging auf Juri zu. „Du kennst Dennis?"

„Er hat Leute wie mich zusammengeführt damit wir nicht auf der Straße verenden ok! Ich weiß nicht was ihr von ihm wollte. Er ist der Grund warum viele ein besseres Leben haben als zuvor."

Entgeistert sahen wir nun beide Juri an. Ausnahmsweise waren wir nun die Jenigen die keinen Ton hervorbrachen.

„Können wir kurz reden?" fragte Dima an mich gewandt. „Unter vier Augen?"

Ich stemmte mich hoch und mit Dimas Hilfe schaffte ich es in den nächsten Raum. Dima schloss die Tür ab und drehte sich mit ernster Miene zu mir um.

Started from the BottomWo Geschichten leben. Entdecke jetzt