Chapter 4. •

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Die Nähe von Harry benebelte meinen Verstand, während ich fasziniert auf seine Lippen starrte, die in diesem schwachen Licht bezaubernd aussahen. Mittlerweile war auch sein Grinsen verschwunden und  als ich mit Mühe wieder in seine smaragdgrüne Augen schaute, lag in seinem Blick etwas, was ich bisher noch nie gesehen habe. Es war etwas anderes, als dieses Herablassende und Emotionslose, das sonst in seinen Augen lag. Doch zum Glück konnte ich darüber nicht länger nachgrübeln, denn plötzlich fing mein Handy in meiner Handtasche, die mir Lynn ausgeliehen hatte, zu vibrieren und ein Lied von The Neighbourhood ertönte aus den Lautsprechern meines Handys.

Langsam wendete ich den Blick von Harrys Augen, um kurz danach zu erforschen, wer mich ausgerechnet jetzt anrief. Moment, das klang so, als wäre ich traurig oder enttäuscht darüber, dass jemand den Blickkontakt zwischen Harry und mir unterbrochen hatte. Aber eigentlich sollte ich doch froh und erleichtert darüber sein, denn wer wusste, was Harry als nächstes gegen mich plante? Wenn ich ehrlich war, war ich insgeheim dann doch mehr als erleichtert, dass uns jemand dazwischen funkte. Dazu las ich noch den Namen meiner Mutter, als ich auf mein leuchtendes Display blickte, denn wenn Tyler anrufen würde, wäre ich wahrscheinlich in einer sehr unangenehmen Situation geraten.

„Ja?“, rief ich in den Hörer, als ich mich von Harry und den ganzen anderen betrunkenen Leuten entfernte und in eine etwas stillere Gegend gelangte.

„Alice?“ Sie schniefte, was mich sofort besorgt werden ließ und die Tatsache, dass ich auf einer Party war, mit Leuten die ich nicht kannte und die mich belästigten, trieb in einer regenbogenschimmernden Seifenblase davon.

„Mom, was ist passiert?“

„Dad“, sie schniefte erneut und es klang so, als würde sie weinen, „er hatte einen Autounfall und liegt nun bewusstlos im Krankenhaus.“

Meine Kinnlade fiel so weit auf, dass der Boden sie vom weiterfallen aufhalten musste, während ich einfach in die Leere starrte und einen kurzen Moment brauchte, um die Worte meiner Mutter einsickern zu lassen. Das hatte sie doch gerade nicht gesagt, oder? Der Geruch von Alkohol ließ mich benebelt denken. Nein, das hatte sie nicht gesagt. Mein Vater war ein grandioser Autofahrer. Doch je länger es mucks Mäuschen still auf der anderen Leitung war, desto mehr schenkte ich ihren Worten Glauben. 

„Ich komme“, warf ich nur noch zurück, bevor ich auflegte und in der Menschenmenge nach Lynn suchte. Doch ich konnte sie nirgends finden und Harry saß auf nicht mehr auf dem Barhocker, an dem ich ihn alleine gelassen hatte. Also verschwand ich einfach so; in Lynns Klamotten und ohne vorher Bescheid zu sagen.

○○○

„Wie kann ich Ihnen behilflich sein?“, fragte mich eine ältere Frau, die hinter dem Schreibtisch vor einem PC saß, freundlich und lächelte erschöpft. Sie saß hier wahrscheinlich schon stundenlang.

„Mein Vater, Mister James McCain, wurde heute eingewiesen, weil er einen Autounfall hatte“, erklärte ich höflich wie es ging, jedoch schätzte ich, dass es mir gewaltig misslang, denn Lynns Kleid störte mich, genauso wie ihre Absatzschuhe. Ich versuchte aber wenigstens meine Erschöpfung kaum anmerken zu lassen. „In welchem Zimmer befindet er sich zurzeit?“

Die Frau tippte eine Weile in ihrem allwissenden Computer herum, ehe sie ihre Brille zu Recht schob und mich gequält anlächelte. „Er befindet sich im fünften Stock, Zimmer 576.“

Ich nickte ihr stumm und dankend zu, bevor ich durch die Fluren hastete um einen Fahrstuhl zu finden. Was sich in einem riesigen Krankenhaus als eine sehr schwierige Suche entpuppte. Ich brauchte ungefähr elf Minuten, bis ich ihn schließlich fand. Mehrmals hintereinander drückte ich außer Puste den Knopf, der den Fahrstuhl rief. Als dieser aber nach einigen Minuten immer noch nicht auftauchte, gab ich es auf und nahm einfach die Treppen, die sich fast neben dem Fahrstuhl befanden.  Also war dies keine allzu schwere Suche.

dangerous » h.sWo Geschichten leben. Entdecke jetzt