Mein Körper wurde von einer beängstigenden Leere und Gleichgültigkeit gefüllt, dass es mir mehr als egal war, dass ich eine glatte Sechs in meinem Referat über dem Drogeninternat bekam. Und das meine Noten sich immer verschlechterten. Und das meine Mom mir in der Mittagspause geschrieben hatte, dass sie heute Abend mit Dad nach Hause kommt.
Ich hatte Schulschluss und lief mit müden Beinen aus der Schule, den Blick dorthin gerichtet, wo ich auch gerade psychisch war – am Boden, während ich meine dürren Arme um meinen Körper schlang.
Mir war schon aufgefallen, dass ich abgenommen hatte.
Der Stress mit Harry und Tyler und den ganzen anderen Menschen vertrieb mir meinen Hunger immer mehr und auch jetzt hatte ich keinen Hunger. Der Gedanke an Essen ließ mir die Galle in den Hals steigen.
Den einzigen Erfolg den ich heute geleistet hatte, war, dass ich Tyler erfolgreich ausgewichen bin. Es sei denn er war heute gar nicht in der Schule. Wenn dies der Fall wäre, dann wäre das euch kein Erfolg.
Bei diesem Gedanken seufzte ich leise auf und merkte, was für niedergeschlagene Gedanken ich hatte. Weshalb ich aus meiner Jackentasche mein Handy inklusive Kopfhörer kramte, mir die Ohrstöpsel in meine Ohren stopfte und die Musik auf volle Lautstärke drehte.
Ich beschloss zu Fuß nach Hause zu gehen, während ein Lied nach den Anderen in meine Ohren dröhnte und diese Gedanken übertönten, worauf ich mich gleich schon ein bisschen besser fühlte.
Als dann einer meiner Lieblingslieder lief, wippte ich meinen Kopf passend zur Musik hin und her, kickte nebenbei einen Kieselstein durch die Gegend und hob meinen Blick nicht ein einziges Mal. Selbst, als ich volle Kanne gegen eine harte Brust stieß und mir der Geruch von Rauch in die Nase stieg.
Widerwillig zog ich einen Ohrstöpsel aus meinem Ohr und murmelte eine leise Entschuldigung, ehe ich an denjenigen vorbei ging und meinen Weg fortsetzte. Doch der Klotz hatte andere Pläne und hielt mich auf, indem er mich an meinen Oberarm packte.
Ich reagierte flink. Ich riss mir meine Kopfhörer aus meinen Ohren und trat dem Holzklotz gegens Schienbein, worauf er sich krümmte, um an die betroffene Stelle zu fassen, und ich durch Zufall sein Gesicht sah.
„Ian?“, fragte ich verwundert, machte aber keine Anstalten mich ein weiteres Mal zu entschuldigen oder ihm zu helfen.
Mit einem schmerzverzerrten Gesicht stellte er sich wieder aufrecht hin und versuchte mich anzulächeln, was ihm jedoch misslang. „Du hast ganz schön viel Kraft in deinen Beinen.“
„Hatte es einen Grund, dass du mich aufgehalten hast?“, fragte ich kühl und erinnerte mich unwillkürlich an Lynn. Durch sie habe ich Ian kennengelernt.
Ob er wohl genauso bescheuert wie sie war?
„Nicht wirklich. Ich habe mich nur gefragt, was du hier machst und wieso du so fertig aussiehst“, fragte er besorgt.
Ich ballte meine Hände zu Fäusten. Der gestrige Tag spielte sich in Filmrissen vor meinem inneren Augen ab und ich spürte, wie meine Augen zu brennen begannen, als Tränen sich in ihnen stauten. „E-es ist nichts.“
Er hob eine Augenbraue und machte den Anschein, als würde er mir nicht glauben. „Mach dir nicht selber etwas vor, Alice. Man sieht dir an, dass etwas Schreckliches passiert ist.“
Ein flüchtiger Gedanke schoss mir in den Sinn und ich kniff meine Augen zusammen, als mir auffiel, dass dieser gefährliche Ian spurlos verschwunden war. Ich bezweifelte, dass er nur wegen mir jetzt so einen auf „besorgt“ oder sonst was tat.
„Lass mich in Ruhe, Ian. Ich habe genug von dir und den ganzen anderen. Ihr seid eh nur darauf fixiert mich zu verletzen“, murmelte ich erschöpft und wandte mich rasch von ihm um, führte meinen Weg fort und konnte meine Tränen nicht aufhalten – sie liefen unkontrollierbar über die Wangen und schienen kein Ende zu nehmen.
Als ich weit genug von Ian entfernt war, ließ ich mich auf eine Bank fallen und zog meine Beine an meinen Oberkörper, ehe ich meine Arme um sie schlang und träumerisch zu meiner Musik, die wieder in meine Ohren dröhnte, summte.
Lasst mich zusammenfassen, was ich in den letzten Tagen herausgefunden hatte.
Harry steckte nicht hinter meinen drohenden Nachrichten und dem Autounfall meines Vaters, sondern einzig und allein Matt, Lynn und mein ehemaliger Freund. Ich habe Ian kennengelernt und ich wusste, dass ich mich von ihm fernhalten sollte, allein schon wegen seinem schlecht gespielten Mitleid gerade eben. Meine Noten haben sich drastisch verschlechtert und meine Eltern werden mich zusammenscheißen, wenn sie ihr Schlafzimmer entdecken.
Und zu guter Letzt; ich sah Harry nun mit ganz anderen Augen. Widerwillig.
Was habe ich daraus gelernt?
Richtig; ich kann keinem Arsch vertrauen, jeder will mich auf den Boden sehen und ich sollte den Teil mit der Freundschaft schließen überspringen und gleich die Personen, die mich ansprechen, hassen.
Ich hasste jeden.
○○○
Es dämmerte bereits, als ich aus meiner Gedankenwelt zurückkehrte und mich auf dieser Bank wiederfand. Ich ließ meinen Blick durch den Park schweifen und musste feststellen, dass die Straßenlaternen bereits leuchteten und ich weit und breit die einzige Menschenseele in diesem Park war.
Mit zittrigen Fingern zog ich mir die Ohrstöpsel aus den Ohren und stopfte sie in meine Jackentasche, während ich mich langsam von der Bank erhob, darauf bedacht, mein Handy fest in der Hand zu halten. Falls jemand auftauchte und mich belästigte, dass ich jederzeit schnell eine Nummer rufen konnte.
Meine dünnen Arme schlangen sich um meinen Körper, ehe ich mit gesenktem Blick, sodass mir meine roten Haare ins Gesicht fielen, durch den Park irrte.
Ich war überrascht, dass meine Mom oder mein Dad mich noch nicht angerufen hatte, denn sie sollten mittlerweile Daheim sein und mein Chaos in ihrem Schlafzimmer entdeckt haben. Dennoch wollte ich ungern zurück nach Hause.
Einen Streit mit meinen Eltern zu führen wäre jetzt das Letzte, was ich tun wollte.
Mein Blick hob sich wie von selbst und schaute hinauf in den leuchtenden Mond, der angenehm auf diese Erde herab schien.
Doch weiter konnte ich diesen käsigen Planeten nicht bewundern, denn plötzlich wurde ich an meinen Oberarm gepackt und von dem Kieselweg weggezogen, ehe ich mich an einem Baumstamm gepresst wieder fand.
Ich setzte an zum Schreien, doch dann stach mir dieses strahlende Grün in meine Augen und allmählich erkannte ich die Gestalt vor mir; ein unverwechselbarer Harry, der mich leicht angrinste.
Eine Hand war jeweils neben meinem Kopf an den Baumstamm abgestützt und er war mir gefährlich nahe. Sein heißer Atem streifte meine Wangen, ließ meine Härchen sich aufstellen und eine angenehme Wärme breitete sich in meiner Wange aus, als Harry sie seiner berührte.
„Ich habe dich vermisst“, hauchte er mir ins Ohr und ein Schauder lief mir über den Rücken.
Mit zusammengepressten Lippen legte ich eine Hand auf seine Brust und schob ihn von mir weg. „Schön“, entgegnete ich kühl und stieß mich vom Baumstamm ab, ehe ich in Richtung Kieselweg ging, doch abermals aufgehalten wurde, indem Harry wieder nach meinem Oberarm packte, um mich zum Stehen zu bringen.
„Was ist los? Du wirkst abgelenkt und schlecht gelaunt.“
Widerwillig drehte ich mich um und verspürte einen mächtigen Hass auf mich selbst, dafür, dass ich so viele Dinge geschehen ließ, die ich verhindern sollte. Wie zum Beispiel unsere Küsse. Egal wie sehr es mir gefallen hatte, egal wie hin und weg ich von Harry war; es war ein Fehler.
„Wir haben uns nur geküsst, Harry. Nichts weiter“, setzte ich erschöpft seine eigenen Worte gegen ihn ein.
Er sah für einen kurzen Moment verletzt aus, aber ich konnte es mir auch nur eingebildet haben. Immerhin war es bereits dunkel.
„Was meinst du damit?“, harkte er nach und schien nichts z begreifen, aber ich wusste, dass er nur so tat. Denn er wusste auch, wie ungern ich das hier tat.
„Damit meine ich, dass du mir nicht mehr hinterher jagen brauchst. Ich lasse dich in Ruhe und du lässt mich in Ruhe“, erklärte ich ihm und spielte mit dem Gedanken, ihm zu sagen, was ich gestern alles so herausgefunden hatte, doch schwieg lieber. Sollte er es doch selbst herausfinden, wenn er sich überhaupt dafür einen Funken interessierte.
Seine Stimme klang rau und war so unglaublich verführerisch, dass es mein Herz schneller schlagen ließ. „Und was ist, wenn ich mich aber nicht von dir fernhalten möchte.“
„Dann rufe ich die Polizei.“
Ein bitteres Lachen kam über seine Lippen, was seine Grübchen zum Vorschein kommen ließ. „Die Angst steht dir auf der Stirn geschrieben, Alice. Wovor hast du bitteschön Angst? Doch nicht vor mir oder?“ Leichte Panik schwang in seiner Stimme mit und es irritierte mich ein Wenig, wieso er sich darum kümmerte, ob ich Angst vor ihn hatte oder nicht.
Verwirrt runzelte ich dir Stirn, ehe ich dran war mit dem Lachen. „Angst? Ich habe keine Angst, Harry. Ich habe einfach die Nase voll von dir, denn seitdem ich dich kenne läuft mein Leben einen steilen Berg hinunter“, deutete ich unabsichtlich auf Tyler.
„Nur wegen diesen Nachrichten?! Wir werden schon herausfinden, wer es ist und dann kriegt er den Arsch voll“, meinte er locker und realisierte anscheinend nicht, dass er „Wir“ gesagt hatte.
„Ich weiß schon, wer es ist.“ Ich könnte auch einfach lügen, aber einfach die Wahrheit zu sagen war leichter. Außerdem konnte ich nicht lügen – Harry würde es mit Leichtigkeit herausbekommen.
„Was? Seit wann? Und wer ist es?“, sprach er schnell und legte seine Stirn in tiefe Falten, während er auf eine Antwort von mir wartete, für die ich mir gewaltig Zeit ließ.
Ich seufzte, fuhr mir durch die rote Mähne, ehe ich für einen kurzen Moment meinen Kiefer anspannte und dann anschließend nochmal seufzte. „Matt, Lynn und… Tyler.“
Es folgte erdrückende Stille, während mein Herz ausnahmsweise in einem ruhigen Rhythmus gegen meinen Brustkorb pochte, aber dennoch war jede einzelne Faser angespannt. So wie immer, wenn Harry in meiner Nähe war.
Er drehte sich von mir weg, fuhr sich durch die Locken, ehe er sich wieder zu mir drehte und seinen Daumen sowie Finger zu seinem Nasenhals führte, die Augen schloss und nachdachte. Ich wusste nicht, was ihn mehr aus dem Konzept brachte. Dass Matt, sein Kumpel, dahinter steckte oder das Tyler mit ihnen unter einem Dach war.
Ich konnte nicht sagen, dass Tyler mein Leben zerstört hatte. Was er eigentlich getan hatte, aber ich war genauso daran schuld, wie er. Hätte ich Harry gleich bei der ersten Drohung in Ruhe gelassen und einen großen Bogen um ihn gemacht hätte, würde ich jetzt nicht so tief in der Pampa sitzen, alleine, zerbrochen und gedemütigt.
Vielleicht wäre ich dann noch glücklich mit Tyler zusammen. Mit Harry freien Gedanken.
„Gehst du jetzt nach Hause?“, riss mich Harry aus meinen Gedanken und hinterließ kein Kommentar zu meiner Erkenntnis, die ich ihm vorkurzem geschildert hatte.
Ich zuckte mit meinen Schultern, worauf ich einen verwirrten Blick kassierte.
„Ich weiß es nicht“, gab ich seufzend zu, „ich habe großen Mist bei uns zu Hause gebaut und ich möchte mich nicht mit meinen Eltern streiten je…“
„Dann komm zu mir“, schnitt mir Harry das Wort ab und schien seinen Satz ohne Nachzudenken ausgesprochen zu haben.
Ich blieb einige Minuten still, wartete darauf, dass Harry seine Meinung wieder änderte, doch seinem Gesichtsausdruck zu folge, meinte er sein Angebot verdammt ernst.
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Lückenfüller, I know. Ich habe es versucht Alice‘ Situation und ihre Gefühle so gut wie es ging zu beschreiben und ich hoffe mir ist es gelungen :p Da ich aber morgen bedauerlicherweise wieder zur Schule muss, kann es schon vorkommen, dass ich nicht mehr jeden Tag update. Ich gebe aber immer noch mein Bestes so oft wie möglich zu schreiben und ja. (:
Was meint ihr? Wird Alice Harrys Angebot annehmen oder sich lieber von ihrem Eltern zusammenscheißen zu lassen, oder sie pennt einfach auf einer Bank? :D
Habt noch n schönen Tag ihr Schnuckis, liebe euch xx
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dangerous » h.s
Fanfiction»Ich liebe dich« - »Ich weiß« © schneeflxttchen. Cover by @Vivi_Lynn