Kapitel 17

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Die Rückfahrt war wunderbar, doch gleichzeitig ein wenig wehmütig. Der Nachmittag mit Chris war trotz kleiner Streitigkeiten und seinen wechselnden Launen schön gewesen. Und nun umklammerte ich Chris' Körper, weil ich Angst hatte, von seinem Motorrad zu fliegen. Dabei fuhr er wirklich gut, relativ gleichmäßig, und ich fühlte mich sicher. Mit seinen Freunden fuhr er bestimmt nicht so ausgeglichen und ruhig.

Chris bremste. Ich wollte nicht, dass unsere gemeinsame Zeit vorbeiging, doch ich konnte bereits das Haus meiner Nana sehen. Es lag im halbdunklen vor uns und ich war mir sicher, dass das Flimmern hinter dem einen Fenster bedeutete, dass Nana ihren Fernseher eingeschaltet hatte. Also lauerte sie garantiert nicht hinter dem Gartenzaun undich konnte mich richtig von Chris verabschieden.

Vorsichtig setzte ich den Helm ab. Chris tat es mir gleich. Unschlüssig hielt er seinen Helm in der Hand und ließ mich zuerst vom Motorrad steigen. Danach stieg auch er ab, doch keiner sagte etwas. Wir sahen uns bloß die Straßenlaternen an, die alle zwanzig Meter in der Straße verteilt waren. Die Sonne war bereits untergegangen, weshalb die Laternen langsam zu leuchten begannen. Mücken schwirrten um das helle Licht herum.

„Es war schön mit dir", sagte ich leise. Chris stimmte mir zu. Er war mir so nahe, dass ich nicht anders konnte, als ihm tief in seine Augen zu schauen.

Vor meinem inneren Auge konnte ich sehen, wie Chris und ich uns kennengelernt hatten, wie wir das erste Mal richtig miteinander gesprochen hatten ... alles erschien mir bereits so weit weg. Ich dachte, ich würde Chris schon Ewigkeiten kennen. Dabei waren es gerade einmal zwei Monate. So oft ich es auch versuchte zu verstecken, Chris zog mich magisch an. Ich wollte nichts sehnlicher, als ihm nahe zu sein.

„Sehen wir uns morgen?" Chris lächelte mich an. Ich nickte zögerlich, denn ich wusste, ich konnte Chris nicht meinen Freunden vorstellen. Das war schwierig.

„Dann gute Nacht?" Ich sah Chris fragend an. Er hob seinen Helm hoch, als wollte er ihn aufsetzen und sofort wegfahren. Doch kurz darauf ließ Chris seinen Helm wieder sinken. Seine Augen hafteten immer noch auf mir. Er beugte sich vor und ich musste unwillkürlich auf seine Lippen schauen. Was machte Chris bloß mit mir?

„Avery, ist das ein Freund von dir?", hörte ich eine liebliche Stimme fragen. Ich zuckte erschrocken zusammen. Sofort trat ich einen Schritt zurück. Einerseits war ich froh über diese Ablenkung, aber andererseits hätte ich zu gerne gewusst, was heute Abend noch passiert wäre. Hätte Chris mich umarmt? Hätte er versucht, mich zu küssen?

Schnell wischte ich meine Gedanken weg. Ich spürte, wie mir die Hitze ins Gesicht stieg und schaute mich eilig um. Doch Nana schien nicht draußen zu sein. Also hatte Mia alleine auf der Terrasse gespielt und das Motorrad gehört.

„Wo ist Nana?" Sicher ist sicher, dachte ich mir.

Mia zeigte auf das Haus. „Sie guckt fernsehen. Ist das ein Freund von dir?"

Ich wandte meinen Blick von meiner kleinen Schwester ab, um Chris anzusehen. Er holte tief Luft und kniete sichschließlich nieder, um Mia zu begrüßen. Jetzt waren sie fast auf Augenhöhe.

„Ich bin Chris", stellte er sich vor. Mia grinste breit.

„Mein Name ist Mia. Avery ist meine große Schwester. Ist das dein Motorrad?", sprudelte es aus Mia hervor. Ich schmunzelte über ihre Freude. Mia war so gutherzig. Sie könnte niemals jemanden verstoßen, weil er anders war. Vielleicht lag das auch daran, dass wir immer so viel Zeit zusammen verbracht hatten ...

„Ja, das ist mein Motorrad." Chris deutete auf das schwarze Ungetüm neben ihm. „Deine Schwester hatte Angst vorm Motorradfahren. Hast du das auch?"

Mia schüttelte sofort ihren Kopf. „Avery hat immer mehr Angst als ich. Sie macht sich auch immer ganz viele Gedanken, aber das braucht sie eigentlich gar nicht."

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