Kapitel 33

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Der Hass auf Chris ließ mich schneller laufen. Ich eilte durch die Dämmerung. Einige Straßenlaternen gingen gerade erst an. Andere hatten zerbrochene Scheiben und standen bloß noch als einsamer Schatten in der Dunkelheit.

Das Kopfsteinpflaster war uneben, sodass ich einige Male über meine eigenen Füße stolperte. Ich balancierte mich rechtzeitig aus, rannte weiter, bis die hell erleuchteten Fensterscheiben, der bekanntesten Kneipe dieses Viertels, vor mir auftauchten.

Außer Atem stieß ich die Tür auf. Der ekelerregende Kneipengeruch wehte mir entgegen. Zu meinem Erstaunen war der Türsteher nicht an Ort und Stelle, um mich direkt wieder rauszuwerfen.

Ein ohrenbetäubender Lärm drang zu mir durch. Ich machte einen Satz zurück, als ein Mann vor meinen Füßen zu Boden fiel. Mein Herz schlug augenblicklich schneller. Was war hier los? Blut tropfte auf den Holzboden. Jeder Tropfen hinterließ eine unbehagliche Gänsehaut auf meinem Körper.

Ich wollte mich weiter durch die Kneipe kämpfen, doch in diesem Augenblick torkelte mir ein weiterer entgegen. Blutverschmierte Gesichter, zornige Kneipenbesucher und die jubelnde Menge ließen mich erschaudern. Und dann fiel mein Blick ausgerechnet auf Damian, der mich aus seinen düsteren Schlitzaugen anstarrte.

Hinter ihm tauchte ein Junge auf. Er sagte etwas zu Damian, der daraufhin wild zu gestikulieren begann. Es dauerte nicht lange, da tobte ein Mann mit Bart auf Damian zu und brüllte ihn wild an. Ich zuckte erschrocken zusammen, als mir jemand von hinten auf die Schulter tippte. Das war bestimmt der Türsteher.

Warum tat ich das hier überhaupt?

Hektisch drehte ich mich um und sah gerade noch, wie jemand seinen Schlag abschwächte. Chris schwankte gefährlich. Mein Herz setzte einmal aus, als ich sah, wie er torkelte. Er war vollkommen zugedröhnt und stank widerlich nach Bier und Zigaretten. Weshalb konnte er das nicht einfach sein lassen?

Ich dachte nicht lange nach, sondern packte Chris fest am Arm. Mit all meiner Kraft – und vor Angst pochendem Herzen – zerrte ich ihn hinaus aus der Kneipe. Ich musste schrecklich husten, als ich die ungewohnt frische Außenluft einatmete.

„Ich habe alles ernst gemeint", nuschelte Chris. „Jedes Wort."

„Du brauchst das nicht zu tun." Ich brachte nicht über die Lippen, weshalb ich eigentlich hierhergekommen war undüber diese Stille vergaß ich sogar fast meine Wut auf Chris. Er faszinierte mich immer noch, stellte ich müde fest.

Es war nicht gut, diesen beengenden, brennenden Schmerz in meiner linken Brust erneut aufleben zu lassen. Doch genau das tat ich hier. Ich tat es, ohne meinen Freunden oder meiner Familie auch nur ein Wort gesagt zu haben. Sie rissen sich zwar zusammen, aber das spöttische Gelächter, diese fiesen Dinge, die sie über Chris sagten, machten mich immer noch rasend. Ich konnte nicht anders, als den Jungen mit den zerzausten Haaren, neben mir, zu lieben.

Anstatt sich zu weigern, ließ Chris sich einfach von mir zum Eingang des Hauses neben der Kneipe ziehen. Wir schafften es, sämtliche Treppenstufen hinter uns zu lassen, ohne miteinander zu reden. Chris schloss mühsam seine Wohnungstür auf und ich stützte ihn, bis zum Badezimmer. Es tat weh, Chris so nahe zu sein, obwohl ich wusste, es würde nie mehr so sein, wie es einmal war. Die Wohnungstür knallte zu.

„Stell dich in die Dusche", forderte ich. Chris zeigte mir zuerst einen Vogel, aber nach einigen Sekunden, in denen er mir fast entgegenkippte, stieg er schließlich mitsamt seiner Kleidung in die Dusche.

Es fiel mir schwer, den stockbesoffenen Chris in den Armen zu halten. Er war viel stärker als ich, doch ich ließ trotzdem nicht los. Der Bluterguss an seiner Augenbraue und seine aufgeplatzte Lippe sahen schlimm aus. Allgemein schien es Chris nicht sonderlich gut zu gehen. Wenn er wüsste, dass Lianne nicht nur mit ihm gesprochen hatte ...

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