Kapitel 32

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Ich machte mich auf den Weg zu Josie. Der Stadtpark erschien mir als der kürzeste Weg und ich betete dafür, möglichst schnell bei der Klinik anzukommen. Unterwegs bekam ich noch eine Nachricht von Chloe, weil sie sich ein paar Minuten verspäten würde und Steph schrieb anschließend noch, dass sie kurz eine Besorgung für ihre Mutter erledigen musste. Ich hatte also noch Zeit und die geplante Ablenkung von meinem gebrochenen Herzen würde noch auf sich warten lassen.

Die Bäume wiegten sich im Rhythmus des Windes leicht hin und her. Ich strich mir eine verlorene Haarsträhne aus dem Gesicht. Jede Geste erinnerte mich an Chris. Die Umgebung machte es mir schwer, ihn zu vergessen.

„Avery!" Eine Frau lief winkend auf mich zu. Ich kniff meine Augen zusammen, denn die Sonne blendete mich. Erst bei geringerer Distanz konnte ich Lianne erkennen. Sie war hübsch und strahlte überglücklich.

„Hallo, wie geht's?", fragte ich höflich nach.

Lianne lächelte. „Heute kann mich nichts mehr schockieren! Martin und ich werden ... gut, ich hatte gehofft, du redest mal mit ... Also wir werden heiraten!" Ich verschluckte mich augenblicklich. Meine Schläfen pulsierten stark, mein Herz hämmerte gegen meine Brust. Das konnte doch alles nicht wahr sein!

„Herzlichen Glückwunsch", stammelte ich verwirrt.

Lianne nickte mir dankend zu. „Du hältst zu Christopher, das finde ich echt bewundernswert. Deswegen hatten Martin und ich gehofft, du könntest mal mit ihm reden? Vor einigen Stunden haben wir ihm nämlich gesagt, dass wir unsere Hochzeit planen. Er ist, wie zu erwarten, vollkommen ausgerastet. Martin hat einen ordentlichen Kinnhaken abbekommen, aber er würde seinen Sohn trotzdem gern auf seiner Hochzeit sehen. Und ich würde dich gerne sehen, Avery! Ihr seid also beide ganz herzlich eingeladen, wenn ihr kommen wollt."

„Das war wirklich ein Schock." Ich atmete tief ein. „Ein positiver Schock!"

Lianne lachte wissend. „Also, würdest du zu unserer Hochzeit kommen wollen?"

Ich zuckte ein wenig ahnungslos mit meinen Schultern. Chris hatte anscheinend nicht von unserer Auseinandersetzung – von seinem beschissenen Spiel – erzählt. Wollte ich ihn fertigmachen, war das hier meine Chance. Doch ich konnte diesen Jungen mit den vermutlich weichsten Haaren und den wunderschönsten blauen Augen nicht einfach in die Pfanne hauen. Egal, was er mir angetan hatte; ich wollte ihm nicht denselben Schmerz bereiten wie er mir.

„Ich komme sehr gerne zu eurer Hochzeit." Ich zwang mir ein Lächeln auf. „Chris habe ich zuletzt heute Vormittag in der Schule gesehen. Wir haben einfach nicht mehr so viel Kontakt."

Lianne hob eine Augenbraue. Voller Skepsis betrachtete sie mich. Und ich wusste, sie ahnte bereits, was geschehen war. Doch hinter die Wahrheit würde sie wohl niemals kommen. So wie ich ... hätte Damian nicht nachgeholfen.

„Was hat er getan?", hakte Lianne nach. Es schien tatsächlich etwas zu geben, was sie selbst an diesem Tag noch schockieren konnte. Dieses falsche Spiel von Chris ließ sämtliche Schläge und jegliches Danebenbenehmen in den Schatten rücken.

„Avery, was hat Chris getan?" Lianne war gut darin, Druck zu machen. Ich fühlte mich klein; ja, wirklich hilflos! Vom Lügen hatte ich langsam echt die Nase voll. Vor mir hätte sich also liebend gern ein großes Loch auftun können, in das ich hätte verschwinden können.

„Ich kann ... Nein, das was Chris getan hat, kann ich dir einfach nicht erzählen. Es tut mir unendlich leid, falls du dir Hoffnungen gemacht hast, aber Chris und ich werden nicht zusammen zu eurer Hochzeit kommen können. Er hat mich einfach ... verletzt." Ich hoffte inständig, dass Lianne mit dieser Erklärung zufrieden war.

Sie sah für einen Moment nachdenklich gen Himmel. Die Sonne schien an dem wolkenlosen Himmel, doch Liannes Blick nach zu urteilen, war der Weltuntergang nicht mehr weit. Diese steile Falte zwischen ihren Augenbrauen beunruhigte mich.

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