Chris ließ seine Hände sinken. Seine tiefblauen Augen suchten meine. „Bitte, gib uns einfach noch eine Chance. Ich werde ehrlich zu dir sein und ich ... ich verspreche es dir!"
Den Schmerz in Chris Augen zu sehen, ermutigte mich. Er verdiente es, sich schlecht zu fühlen. Und gleichzeitig konnte ich Chris einfach nicht leiden sehen. Es tat mir weh, wie er sich aufgab und darum flehte, dass ich endlich etwas sagte.
„Auch, wenn du ab jetzt immer ehrlich bist, hast du mich lange belogen. Du kannst die Vergangenheit nicht ungeschehen machen, indem du dich in Zukunft besser verhältst!", sagte ich mit erstickender Stimme. „Und ich werde immer wieder daran denken müssen, wie du mich belogen und gedemütigt hast! Weißt du, wie ich mich gefühlt habe?"
Chris schüttelte seinen Kopf. Ich konnte darauf nichts erwidern. In meinem Kopf legte ich mir bereits die Sätze zurecht, die ich seit gestern Abend hatte sagen wollen.
„Weshalb bist du dann hierhergekommen, wenn du nicht an uns glaubst?" Chris biss sich auf seine zitternde Unterlippe. Mist. Ich konnte ihm nicht diese Sätze an den Kopf hauen und ihn darum bitten, bei dieser Hochzeit anwesend zu sein. Er würde mich danach vermutlich mehr hassen, als sich selbst.
Vollkommen aufgewühlt ließ ich meinen Kopf in meine Hände gleiten. „Ich sollte einfach gehen und dich mit ... mit was auch immer du heute noch vorhast, von was auch immer ich dich gerade abhalte, alleine lassen."
Chris sah abrupt auf. Er war mir schon wieder so nah. Ich konnte das Rauschen in meinen Ohren hören und als Chris nach meiner Hand griff, zuckte ich erschrocken zusammen. Seine Berührungen hinterließen eine brennende Spur auf meiner Haut, die sich wie Flammen eines Feuers anfühlten.
„Ich werde ehrlich sein." Chris schaute mich ernst an und ich wehrte mich nicht länger gegen seinen festen Griff um meine Hand. Wenn er mich nicht auch über seine Kindheit und seine Familie belogen hatte, dann hatte Chris wirklich viel verloren. Ich hasste es, wie ich nachgab, weil ich nicht ertragen konnte, dass es ihm schlecht ging.
„Die Wette galt nur dafür, dich anzusprechen und ins Bett zu kriegen. Unser erstes Gespräch, unsere Begegnung und meine Freundlichkeit waren gelogen. Alles, was danach kam, habe ich vor meinen Freunden verheimlicht. Es war wahr, was ich dir von mir erzählt habe", sagte Chris, als hätte er meine Gedanken lesen können.
„Trotzdem haben wir unsere gesamte Beziehung auf einer Lüge aufgebaut!" Ich wollte aufstehen, doch Chris ließ mich nicht los.
In seinen Augen konnte ich Panik erkennen. „Ich werde dir alles über mich erzählen, Avery. Alles. Die ganze, beschissene Wahrheit."
„Dann leg mal los", sagte ich und mir war klar, dass Chris nicht darauf eingehen konnte.
Doch er überraschte mich. „Mit dreizehn habe ich einen Jungen gehänselt. Er trug Hemden und schnöselige Schuhe. Ich wusste, ich könnte ihn verletzen und fertigmachen, also habe ich weitergemacht und es hat mir eine gewisse Genugtuung gegeben. Irgendwann hat er die Schule gewechselt und ich habe mir ein anderes Opfer ausgesucht. Es hat mir nicht leidgetan, Menschen fertigzumachen oder zu verprügeln. Mit vierzehn Jahren habe ich das erste Mal geraucht. Von da an habe ich auch anderes ausprobiert und alle Menschen in meinem Umfeld angelogen. Nach der Diagnose meiner Mum habe ich gekifft. Ich glaube, sie hat es mitbekommen. Genauso, wie sie die Blutergüsse gesehen hat, wenn ich mich mit Älteren angelegt habe. Doch sie war zu schwach, um nachzufragen oder etwas zu kommentieren. Das Kiffen machte mich ziemlich träge, also habe ich damit nach ein paar Monaten wieder versucht aufzuhören. Es war ein Teufelskreis, weil ich ohne zu kiffen nicht mehr schlafen konnte, und so habe ich mich schließlich noch weiter reingeritten. Den ganzen Frust habe ich an einem Mädchen ausgelassen, das eigentlich so liebenswürdig war, wie ich es gern gewesen wäre. Ich wünschte, dass alles könnte man auslöschen, indem man mich verprügeln würde ... oder was auch immer. Aber ich kann es nie mehr rückgängig machen und ich fühle mich wegen dem, was ich Menschen angetan habe, immer noch nicht schuldig genug." Chris beobachtete meine Reaktion auf seine Worte. „Ich kiffe nicht mehr. Außerdem habe ich ein paar Mal etwas mitgehen lassen, als ich einkaufen war. Mein gesamtes Geld ist immerhin für die Miete draufgegangen. Und vor ... vor ein paar Tagen, da ... da habe ich meinen Vater geschlagen, als er mir gesagt hat, er würde Lianne heiraten. Ich mache immer wieder dieselben Fehler. Meine Entscheidungen sind grundsätzlich falsch ... aber mit dir zusammen zu sein, das hat sich immer richtig angefühlt."
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Lügennetze
Teen FictionAverys perfekte Welt bricht auseinander. Um ihr Ansehen zu bewahren, flüchtet sie sich in Lügen. Doch ausgerechnet der von ihren Freunden verhasste Chris weiß Bescheid und obwohl Avery sich mit Händen und Füßen dagegen zu wehren versucht, schleicht...