Ich war mir nicht sicher, ob ich wütend oder traurig über Stephs Verhalten sein sollte. Es nagte an mir, soviel wusste ich bereits. Nicht einmal Chris schaffte es, mich aufzumuntern. Er kaute unruhig auf seiner Unterlippe herum, bis er um die Ecke ging und sich eine Zigarette anzündete. Emma blickte ihm stirnrunzelnd nach.
„Sag nichts", seufzte ich. Sie hob abwehrend ihre Hände.
„Ich vertraue dir, Avery. Wenn Chloe zu Steph hält, ist das ebenso. Mach dir nichts draus." Emma schaute sich auf dem Klinikgelände um. Nur wenige Meter entfernt standen unsere Freundinnen und kicherten. Ich dachte, Chloes Unbehagen zu spüren, aber vielleicht war es auch nur Einbildung.
Stumm nickte ich.
„Dein Freund hat ein sehr ausgeprägtes Konsumverhalten", sagte Emma. Ich zuckte fast unmerklich zusammen. Natürlich hatte Emma recht.
„Es ist nicht ausgeprägt, okay?", fuhr ich meine beste Freundin an.
Emma blickte ziemlich verwundert drein.
Erschöpft ließ ich meinen Kopf hängen. „Tut mir leid. Mein Gehirn setzt aus, wenn es um Chris geht. Es ist alles so schwierig momentan."
„Schon gut", murmelte Emma.
„Liam hast du nie in Schutz genommen." Sie biss sich sofort auf die Lippe, als sie diesen Satz ausgesprochen hatte. Ihre Zweifel an Chris waren berechtigt, dachte ich mir. Immerhin hatten wir alle gedacht, ich würde für immer mit Liam zusammenbleiben, ihn irgendwann heiraten und zuckersüße Babys von ihm kriegen.
„Das stimmt allerdings."
Ich drehte mich abrupt um. Hinter uns stand Liam. Er trug ein Hemd, gebügelt und faltenfrei und eine dunkelblaue Jeans, die seiner Figur schmeichelte. Sein Lächeln war nicht einmal annähernd so frech, wie das von Chris. Liams Lächeln war zahm und es brachte bestimmt das Herz jedes Mädchens zum Höherschlagen. Nur meins nicht. Nicht mehr.
„Früher habt ihr mich zur Begrüßung umarmt", sagte Liam leise. Seine braunen Augen ruhten auf mir. Ich sah das Verletzliche in ihnen. Es ging Liam nicht gut und ich war daran schuld.
„Tut mir leid, Liam." Ich beugte mich vor und umarmte ihn kurz. Wir waren schließlich keine Fremden. Wir waren lange Zeit die besten Freunde und anschließend ein Paar gewesen, da umarmte man sich eben. Emma musterte mich kritisch.
Ich schaute mich instinktiv nach Chris um. Er lief geradewegs auf uns zu, durchbohrte Liam mit seinen eiskalten Augen, als suche er nach Beute. Ich begann, mir Sorgen zu machen, aber weder Liam noch Chris sagten etwas. Sie schwiegen einander schlecht gelaunt an, bis Emma sich verabschiedete. Ich hoffte, dass wir endlich nach Hause gehen konnten. Diese Spannungen waren unerträglich.
„Der Freund und der Ex, was für ein Anblick!" Steph lachte missbilligend. Mein Blick schweifte zu ihr, mein Blut kochte.
Liam starrte den eintönigen Asphalt an, als gäbe es nichts Spannenderes auf dieser Welt. Sein Herz war gebrochenund Steph trampelte darauf herum, wie ein trotziger Arbeiter mit einem Presslufthammer. Zornig schaute ich meine ehemalige beste Freundin an. Sie ging zu weit.
„Sieh ihn dir an, Liam ...", tönte es von links. Steph trat näher. Ich spürte Liams Blick zu Chris wandern. Er guckte ein wenig abschätzig. Seine Augen glänzten verdächtig.
„Lass ihn in Ruhe." Ich krächzte, denn zu mehr war ich nicht in der Lage.
Steph provozierte weiter. „Was, wenn nicht?"
„Dann werde ich dich zum Schweigen bringen müssen. Glaub mir, ich verstehe keinen Spaß", mischte sich Chris ein. Beschützerisch legte er einen Arm um mich. Mir wurde ganz heiß und ich fragte mich, ob man mir die Gefühlswelle ansah, die mich überrollte. Ich wünschte mir, dass Liam endlich nach Hause ging. Um seinetwillen. Es musste unfassbar wehtun, dieses Szenario über sich ergehen zu lassen.
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Lügennetze
Teen FictionAverys perfekte Welt bricht auseinander. Um ihr Ansehen zu bewahren, flüchtet sie sich in Lügen. Doch ausgerechnet der von ihren Freunden verhasste Chris weiß Bescheid und obwohl Avery sich mit Händen und Füßen dagegen zu wehren versucht, schleicht...