Ich lief die Straße zur Innenstadt entlang, da ließ ich meinen Blick über die wunderschönen Blumenbeete vor den Fachwerkhäusern streifen. An einem Hauseingang lehnte ein braunhaariger Junge. Als er mich sah, setzte er sich sofort in Bewegung. Mein Herz klopfte augenblicklich schneller.
„Wo bist du vorhin hingegangen?", fragte ich Chris.
„Wann?" Er verkniff sich ein Grinsen. Genervt stieß ich ihm mit meinem Ellenbogen in die Seite.
„Du weißt, wann. Heute Morgen, vor der Schule ...", half ich ihm auf die Sprünge.
„Ach, das meinst du!" Chris hielt an. „Da habe ich mich mit Freunden getroffen." Warum hatte ich bloß das miese Gefühl, dass er mich anlog?
„Sicher", meinte ich sarkastisch.
Ärgerlich lief ich weiter. Chris ließ ich einfach stehen. Mit seinen langen Beinen holte er mich trotzdem wieder ein. Nun war ich diejenige, die stehen blieb. Ich verschränkte meine Arme vor der Brust.
„Hey, ich war wirklich bei meinen Freunden. Du kannst Damian fragen, er war auch dabei." Chris hob abwehrend seine Hände. „Und jetzt lass uns irgendwas machen."
Mich überraschte, dass Chris tatsächlich noch etwas mit mir unternehmen wollte. Unser bisheriges Gespräch war immerhin mehr oder weniger ein Streitgespräch gewesen. Wir hatten miteinander geredet, als wäre es ein Chat gewesen; kühl und fremd.
„Es regnet bestimmt gleich wieder." Ich seufzte und schaute zum Himmel. Graue Wolken verbargen die Sonne. Der Sommer ließ ganz schön auf sich warten.
„Dann gehen wir eben zu der Bushaltestelle und warten, bis der Regen vorbei ist", erwiderte Chris. Seine Euphorie hielt sich zwar in Grenzen, doch er schien auch nicht abgeneigt zu sein. Hätte ich es nicht besser gewusst, hätte ich gedacht, er wäre vielleicht einsam und brauchte jemanden zum Reden. Dem war bestimmt nicht so. Oder?
Ich folgte Chris so, wie ich es gestern auch getan hatte. Mir gingen währenddessen zahlreiche Gedanken durch den Kopf. War es richtig, mit Chris mitzugehen? Warum fühlte ich mich so stark zu ihm hingezogen?
Kaum hatten wir die Bushaltestelle erreicht, begann es tatsächlich zu regnen. Chris zog mich in das Innere des Bushäuschens. Wir lauschten dem Prasseln des Regens und betrachteten den Asphalt, der durch die Nässe immer dunkler wurde. Die Stimmung blieb kühl, doch die Aufregung in mir wuchs.
„Hast du dich wegen dem, was ich gestern gesagt habe, von Liam getrennt?" Chris hielt Abstand und ich fragte mich, wieso er dies ausgerechnet heute tat. Die ganzen letzten Wochen hatte es ihn auch nicht gestört, neben mir zu stehen.
„Wenn ich ehrlich bin, teilweise." Ich blickte zu der hölzernen Wand neben Chris. Das Bushäuschen bestand aus dunkelbraunen Brettern, in den Ecken wohnten bereits Spinnen und warteten auf eine Fliege, die vielleicht in ihren Spinnweben festkleben würde. Ein weißes Graffiti zierte die dunkle Wand.
„Ich habe dir bestimmt schon fünf Mal gesagt, dass ich kein guter Freund wäre ...", murmelte Chris. Ich wandte meinen Blick ab. Noch eine Enttäuschung wollte ich mir lieber ersparen, denn mit seiner mysteriösen, jedoch eiskalten Art würde es Chris vielleicht leichter fallen, mich zu verletzen. Und wieder einmal fragte ich mich, weshalb ich mich ausgerechnet zu ihm so hingezogen fühlte, wie es bei Liam nie gewesen war. Wieso begann alles in mir zu prickeln, wenn ich mit Chris zusammen war? Weshalb fühlte ich mich dann, als stünde ich in Flammen?
„Meine Noten sind nicht so gut wie Liams. Meine Familie ist am Arsch." Chris wippte von einem Fuß auf den Nächsten. „Ich will ehrlich zu dir sein, Avery. Verstehst du?"
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Lügennetze
Teen FictionAverys perfekte Welt bricht auseinander. Um ihr Ansehen zu bewahren, flüchtet sie sich in Lügen. Doch ausgerechnet der von ihren Freunden verhasste Chris weiß Bescheid und obwohl Avery sich mit Händen und Füßen dagegen zu wehren versucht, schleicht...