Gräfin Adhara wartete auf einem der Türme von Brückfeldingstein, der Burg, in der sie ihr Leben bis zu diesem schicksalhaften Tag verbracht hatte und tänzelte undamenhaft von einem Fuß auf den anderen.
Sie versuchte die Kälte zu vertreiben, weil diese ihr trotz dicker Schichten Wolle die Beine hinaufkroch und in die Finger biss. Der Atem, den sie gegen ihre Hände hauchte, stieg als Wolke in die diesige Luft und auch die gefütterten Hirschlederhandschuhe, die sie mit kleinen Flachsblüten bestickt hatte, schienen den Frost nicht abhalten zu können.
Neben ihr stand Margie, ihre Freundin aus Kindertagen und Dienerin, die sich ein Schultertuch über den Kopf und tief ins Gesicht gezogen hatte.
Sie zitterte stumm und ergeben neben ihrer Herrin, sicher in der Hoffnung, dass diese bald Vernunft annehmen und nach drinnen, an ein warmes Feuer zurückkehren würde.
Das kam jedoch solange nicht in Frage, bis Adhara den Helden von Maidenhafen, Ritter Thorn von Goldwald und die Eskorte, die sie in ihr neues Leben begleiten würde, hinter den Hügeln auftauchen sehen konnte.Sie war vom König erwählt worden! Seit der Brief vor neun Tagen eingetroffen war, hatte sie keine ruhige Minute mehr gehabt - und auch kein anderer, der nicht klug genug gewesen war, ihr aus dem Weg zu gehen. Beinahe jeder hatte den Vorträgen der liebsten Sagen der jungen Gräfin über strahlende Helden und holde Jungfrauen lauschen dürfen, die sie ständig summte oder laut deklamierte, während sie durch die Burg lief.
Das Einzige, was Adharas Freude trübte, war der Umstand, dass sie auf eine Kutsche verzichten und nur mit leichtem Gepäck reisen musste. Aus irgendeinem Grund hatte es der König mit der Hochzeit sehr eilig und Pferde waren schneller und liefen nicht Gefahr, bei dieser Witterung auf schlechten Straßen stecken zu bleiben oder einen Achsbruch zu erleiden.
Vor Aufregung hatten sie und Margie vier ganze Tage mit dem Versuch zugebracht, Adharas Garderobe in zwei Satteltaschen zu stopfen, was natürlich misslungen war und abwechselnd zu Wutausbrüchen oder Tränen geführt hatte.
Schließlich war sie zu ihrem Adoptivvater gelaufen, obwohl sie wusste, dass dieser derartigen Aufruhr missbilligte und hatte ihm ihr Leid geklagt.
Der hatte sie nur milde lächelnd angeblickt und darauf hingewiesen, dass ihre Garderobe einer Königin ohnehin nicht angemessen war und sie neu eingekleidet würde, sobald sie den Palast in Oranborn erreichte.
Danach war das Gepäck kein Problem mehr gewesen und die anderen Tage waren für ausgiebige Bäder und lange Abschiede genutzt worden.
Margie würde sie begleiten, auch wenn die Magd dafür den Zwingerburschen zurücklassen musste, der seit einiger Zeit um sie warb.An den Abenden fantasierte sich das Mädchen deshalb zu ihrer beider Erheiterung ein Leben an der Seite des Helden von Maidenhafen zusammen, der sich sicher auf den ersten Blick, Hals über Kopf, unsterblich in sie verlieben würde. Außerdem, malten sie sich ihre Zukunft am Hof und die neuen Kleider Adharas in den schillerndsten Farben aus und kicherten über die Ehe und das Ehebett.
Glücklicherweise war der König kein alter Mann mit faltiger Haut und schlechten Zähnen, sondern ein stattlicher Jüngling.
Neben dem Brief, der das Hochzeitsversprechen und die dringende Aufforderung, sich reisefertig zu machen, enthalten hatte, war Adhara von dem Boten auch ein Päckchen überreicht worden. Es hatte sich als ein kleines Porträt ihres zukünftigen Gemahls entpuppt, dessen verschnörkelter, goldener Rahmen ebenso kunstvoll gearbeitet war, wie das Bildnis selbst.
Sie ließ es seitdem kaum jemals aus den Händen und legte die Miniatur jede Nacht auf das Kissen neben sich, damit ihr zukünftiger Gemahl das Letzte war, das sie vor dem Einschlafen erblickte und das Erste, das sie am Morgen beim Aufwachen sah.
Die Augen ihres Bräutigams waren auf der Malerei zuversichtlich in die Ferne gerichtet, als würde er in eine sichere Zukunft blicken. Seine noblen Züge wurden von vollem, honigblondem Haar eingerahmt und über den fein geschwungenen Lippen saß eine schmale Nase. Das anmutige Kinn hatte er kühn erhoben. Der König war ein Jahr jünger als Adhara, die im letzten Tall* siebzehn geworden war und wie man hörte, konnte er nicht nur hervorragend mit dem Schwert umgehen, sondern war darüber hinaus auch ein Poet, der die Herzen mit seinen Worten zu rühren verstand.
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Wenn der Schnee fällt
Historical FictionIntrigen, Verrat und enttäuschte Hoffnungen mit einem Hauch Romantik. Eine mittelalterlich-fantastische Geschichte über das Ringen um einen Platz in der Welt. Adhara soll überraschend den König heiraten. Nie hätte sie geglaubt, so weit aufzusteigen...