Einige Tage später saß Thorn inmitten seiner Männer in einer fast leeren Gaststube und wartete auf die Gräfin.
Durch die kleinen Fenster, deren Läden jetzt geöffnet waren, um die frische Herbstluft herein und den schalen Geruch nach verschüttetem Bier und feuchten Binsen, herauszulassen, konnte er bereits die Zinnen des königlichen Palastes sehen. Oranborn lag nur wenige Stunden entfernt und sie hätten längst dort sein können.
Die junge Dame hatte am Morgen jedoch verkündet, dass sie in ihrem Zustand keinen Fuß in die Stadt setzen könne.
Sie hatte sich ein Bad in ihrer Kammer bereiten lassen und die arme Margie und die Frau des Wirtes waren den halben Morgen damit beschäftigt gewesen, Wasser zu erhitzen und die schmalen Treppen nach oben zu schleppen. Seitdem war die Dienstmagd verschwunden und er und seine Männer saßen hier fest, ohne die Möglichkeit, sich ausgiebig zu betrinken.
Der Wirt wäre zwar willig gewesen, ihnen auszuschenken und die Soldaten ebenso willig, hinunterzukippen, was man ihnen vorsetzte, aber sie mussten die Stadt und den Palast aufrecht sitzend erreichen.
Thorn beschloss, das Trinken auf den Abend und in's Öhr zu verschieben, falls die Gräfin sich bis dahin aus ihrem Bade bequemt hatte.
Er fluchte leise, knallte seinen Humpen, der nur eine verdünnte Plörre enthielt auf den Tisch und verließ die Gaststube, um sich zu erleichtern.
Seine Männer vertrieben sich inzwischen die Zeit mit Würfelspielen und zotigen Geschichten, die wegen der Tageszeit und des Mangels an Alkohol jedoch nicht recht in Schwung kommen wollten.
Thorn seufzte, während er sich vor einem Baum in Blickrichtung der Stadt aufstellte und an seinen Beinkleidern nestelte.
Er verließ gern die Mauern der Stadt und des Palastes, die ihn bis zu dem Tag gefangen halten würden, an dem er zu alt geworden war, ein Schwert zu führen.
Wochenlang, Tag um Tag in voller Rüstung zu reiten und Kindermädchen für eine jammernde Dienstmagd und ihre unbedarfte Herrin zu spielen war jedoch alles andere als ein Vergnügen. Inzwischen wollte er nichts lieber als einen Becher Wein in der einen und die Rundungen von Relef, einer Dirne aus der Unterstadt, in der anderen Hand zu halten.
Je eher die Gräfin sich aus ihrem Zuber bemühte, desto eher konnte er in den mittleren Bezirk gehen und seinen Wunsch in die Tat umsetzen.***
Adhara streckte sich aus, so weit es der Bottich, in dem sie saß, zuließ und genoß das heiße Wasser. Das war das erste Bad, seit sie Brückfeldingstein verlassen hatte und auch das erste Mal, dass ihr wieder warm war.
Margie goss etwas Wasser über ihr Haar, um die Seifenreste, die sich noch darin befanden, auszuspülen.
Zuvor hatte sich Adhara schon ausgiebig gewaschen und gleich würde sie sich ihre besten, neuen Kleider anlegen lassen: ein tiefblaues Samtkleid mit einem feinen, silbernen Gürtel, der so lang war, dass er ihr fast bis auf die Füße reichte. Dazu hatte sie sich einen fliederfarbenen Mantel aus feiner Wolle anfertigen lassen, den ihr Vater nur unter Murren zu bezahlen bereit gewesen war.
Mit Hilfe von Margie hatte sie seinen Rand mit glänzenden Blumen und Ranken eingefasst; eine Arbeit, die sie fast nicht beendet hätte und die letzten Stiche waren hastig und stümperhaft gesetzt. Sie befanden sich aber an einer Stelle, die man kaum sehen würde, sobald sie ihn trug.
Thorn von Goldwald hatte am Morgen unverzüglich aufbrechen wollen, um zu Mittag in Oranborn zu sein. Adhara zog jedoch lieber seinen Unmut auf sich, als in ihren schmutzigen Reisekleidern und ohne ausgiebiges Bad vor ihr zukünftiges Volk und ihren Bräutigam zu treten.
Diese Schlacht war für den Ritter von Beginn an verloren gewesen.
Als Held von Maidenhafen war ihm dieser Umstand schnell bewußt geworden und er hatte sich, nach einer kurzen Diskussion, ergeben mit seinen Männern im Gastraum niedergelassen.
Das Wasser war herrlich, aber eine zukünftige Königin musste wissen, wann es Zeit war, etwas zu beenden. Adhara erhob sich. Das Wasser rann ihren Körper herunter und ihr Haar klebte in dicken Strähnen auf ihrem Rücken. Sie streifte die Nässe mit den Händen ab und ließ sich von Margie aus dem Zuber helfen.
Ein grobes Leinentuch, dass ihr zum Abtrocknen genügen musste, verwandelte sich sofort in einen unnützen nassen Lappen und lag kalt auf ihrer Haut. Das Mädchen drückte das Wasser so gut es ging aus ihren Haaren und endlich konnte sie, in ein weiches Unterkleid gehüllt, vor dem Feuer Platz nehmen, um ihren Schopf zu trocknen.
Margie entwirrte die dichten Strähnen braunen Haares mit einem breitzinkigen Kamm und begann dann, es in einige Zöpfe zu flechten, die sich im Nacken ihrer Herrin sammelten und von dort offen über deren Rücken flossen.
Als das getan war legte Adhara das blaue Überkleid an, schlüpfte in die weichen Lederstiefel und befestigte den silbergewirkten Gürtel um ihre Hüfte. Dazu legte sie den wenigen Schmuck an, den sie besaß: einige Armreifen und ihr liebstes Stück, eine silberne Fibel mit eingefassten bunten Glassteinen, die im Sonnenlicht herrlich schimmerten.
Margie befestigte unterdessen den Mantel mit einer schön gearbeiteten Schließe über ihrer rechten Schulter und trat dann einige Schritte zurück, um Adhara bewundernd anzusehen.
„Wie eine echte Königin", staunte sie.
Die junge Gräfin lachte. „Aber Margie, ich bin eine echte Königin."
Sie konnte ihr Kichern nicht ganz hinter ihrer Hand verbergen, doch diesmal fiel ihre Magd nicht mit ein.
Adhara wurde ernst. Heute Abend konnte sie bereits zärtliche Blicke mit ihrem Bräutigam tauschen, edlen Speisen und Weinen zusprechen und in einem weichen Bett mit seidenen Laken schlafen. Plötzlich hatte sie es eilig.
Sie wollte schon das Zimmer verlassen, damit sie endlich nach Oranborn aufbrechen konnte, als Margie sie noch einmal zurückrief. „Herrin!"
„Hoheit", korrigierte Adhara etwas schärfer, als sie es vorgehabt hatte.
Das Mädchen blickte einen Moment verwirrt. Es war es nicht gewohnt, von ihr zurechtgewiesen zu werden.
„Natürlich", setzte es nach, „Hoheit, Eure Handschuhe, bitte."
Margie reichte sie ihr und half, sie überzustreifen.
Endlich verließ Adhara das drückende Zimmer und stieg die schmale Treppe in den Gastraum hinunter.
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Wenn der Schnee fällt
Fiction HistoriqueIntrigen, Verrat und enttäuschte Hoffnungen mit einem Hauch Romantik. Eine mittelalterlich-fantastische Geschichte über das Ringen um einen Platz in der Welt. Adhara soll überraschend den König heiraten. Nie hätte sie geglaubt, so weit aufzusteigen...