25 Im Seichriemen

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Ada und Thorn ließen sich von Valu am Tor vorbei, durch das sie in den Seichriemen gelangt waren, in Richtung des Kupfermarktes leiten. Dessen Name hatte schon manchen unbedarften Neuankömmling in der Stadt in die Irre geführt.
Er  trug diesen Namen nicht wegen des Handels mit Erzen, sondern weil die  Käufer dort zumeist nur in Kupfer zahlen konnten. Entsprechend wenig qualitätvoll und reichhaltig war das enttäuschende Angebot.
Dennoch war  selbst das für viele Einwohner des Bezirks unerschwinglich und sie  stellten die Dinge des täglichen Bedarfs selbst her oder tauschten sie  untereinander.

Auf dem Weg sahen sie die Obdachlosen in  solcher Zahl vor den Häusern sitzen und liegen, dass man an manchen  Stellen nicht mehr ins Innere gelangen konnte, ohne über jemanden  hinwegsteigen zu müssen.
Ein einfacher Wanderpriester, selbst in ärmliche Roben  gehüllt, verteilte gerade Segen und hartes Brot, das ihm dankbar aus  den Händen genommen wurde.
Valu nickte ihm zu, offenbar kannten sie sich zumindest flüchtig.

Als der Markt schon in Sichtweite war, kam ihnen ein Bursche mit einem kleinen Mädchen an der Hand entgegen.
Er konnte kaum sein Sedekionat hinter sich haben, aber die Dirne blieb stehen, um ihn zu begrüßen wie einen alten Bekannten. Das Mädchen mochte acht Weihetage gefeiert haben und sah halb verhungert und selbst für den Seichriemen schmutzig aus.
Valu bemerkte Adas Blick und winkte lachend ab. „Das ist Malon, der ist doch kein Kunde."
„Nee", sagte der Junge. „Val kauft bei mir. Wer is'n deine hübsche Freundin Val? Die hab' ich noch nie hier gesehn."
„Ach das ist Ada, die ist neu. Ich führ sie ein bißchen rum. Und der Große passt auf."
„Besser ist, ne Val?", sagte der Bursche ernst.
„Ach  Halt's Maul." Sie sagte es freundschaftlich und klopfte ihm auf die  Schulter. „Und wen hast du dir da angelacht? Wer is' deine hübsche  Freundin?"
Valu musterte das Mädchen neugierig, aber Ada verlor das Lächeln, das sie dem Kind soeben hatte schenken wollen, von den Lippen.
Es  sah durch sie hindurch und seine Augen schienen zu alt für das junge  Gesicht, als hätten sie zuviel gesehen und das Mädchen wäre zu früh  erwachsen geworden.
Malon zuckte mit den Schultern. „Hab' sie  erwischt, als sie von meinem Zeug stehlen wollte. Sie heißt Nela und kommt von den Sommerhügeln, sagt se."
„Den Sommerhügeln?", mischte sich Thorn ein, „Das ist..."
„Ein weiter Weg. Ein sehr weiter", ergänzte Ada erstaunt.
„Ja", bestätigte Malon.
Die  leise Stimme des Mädchens erklang unvermittelt. Sie hatte den  eigentümlichen Akzent des Westens und sagte zu Ada gewandt: „Dein Mantel  ist fahlgelb."
Alle sahen das Kind an, aber es schwieg und musterte nur den Stoff des Umhangs, den Valu Adhara um die Schultern gelegt hatte.
Schließlich  zuckte Malon mit den Schultern und meinte: „Ihre Eltern scheinen  tot zu sein, genau wie 'ne Krautfrau, mit der sie wohl 'ne Weile  unterwegs war. Ich bring sie zum Waisenhaus, soll'n die sich kümmern. Jetzt muss ich mich aber beeilen, bevor der Alte merkt, dass ich weg bin. Mach's  gut Val!"
Das Mädchen setze sich klaglos in Bewegung und trottete neben dem Burschen her. Die Begegnung beschäftigte Ada noch, als die beiden längst außer Sicht waren.

Sie  erreichten den Markt, der kaum etwas zu bieten hatte und an dem nichts  an sein prächtiges, reiches Gegenstück voller Wohlgerüche, funkelnder  Waren und bunter, wehender Stoffe im oberen Viertel erinnerte.
Es gab  Haushaltsgerät aus Holz, schlecht gewebtes Leinen und Nesseltuch,  Wolle, einige Stände, die feuchtes Korn zu horrenden Preisen anboten und Einiges an Fleisch. Die Tiere im Umland mussten geschlachtet  werden, falls es keinen gab, der sich um sie kümmern konnte.
Das  mochte kurzfristig für Nahrung sorgen, aber spätestens, wenn die  Ställe im nächsten Jahr leer blieben, weil nicht genug Nachwuchs geboren  wurde, würde es die Not noch weiter verschärfen.
Es fehlte fast  völlig an Gemüse, das die Armen sonst viel und häufig  aßen. Was es gab, war klein und kümmerlich.
Ada war entsetzt. Es war Spätsommer, die Ernte musste eingefahren sein und die Speicher sollten überquellen.
Die  Marktstände müssten sich unter der Last der verschiedenen  Nahrungsmittel biegen. Das war nicht das Ende eines langen Winters, wenn  alle sehnsüchtig auf den Frühling warteten und die Lagerbestände  langsam knapp wurden. Das war noch nicht einmal der Anfang.
Viele der  Stände waren nicht besetzt, offenbar, weil niemand die Gebühr  entrichten konnte oder es ohnehin nichts zu verkaufen gab.
Valu meinte,  dass einige der Stammhändler erkrankt seien. Bei den ganzen Menschen in  der Stadt, vervielfachte sich der Unrat und Krankheiten hatten leichtes  Spiel.

Wenn der Schnee fälltWo Geschichten leben. Entdecke jetzt