Adhara war sich sicher, dass dieser Ausflug weit mehr Aufruhr im Palast verursachen würde, als ihr erster.
Sie hatte diesen Trent in den Kerker werfen lassen und in der Folge würden seine beiden Freudenhäuser, das Sandkorn und die Pralle Pflaume, geschlossen werden.
Beinahe konnte sie das Murren der Soldaten und der Besserbetuchten hören, die nun daran gehindert waren, sich in den auf ihre Börsen zugeschnittenen Tavernen zu verausgaben.
Außerdem grollten ihr die Hauptmänner der Burg- und der Stadtwache, weil sie das Wohl einer Dirne über das Wohl verdienter Veteranen gestellt hatte.
Sicher gingen sie noch heute zum Obersten Bruder und klagten ihm ihr Leid. Daraufhin würde das Ganze auch den Rat beschäftigen.Sie wußte, dass sie schnell handeln musste, um den Sturm abzuschwächen, bevor er sie davon fegte.
Auf keinen Fall wollte sie die Hilfe für die Armen aufgeben.
Dafür benötigte sie die Unterstützung ihres Gemahls - oder wenigstens dessen beharrliche Bereitschaft, sich aus allen Angelegenheiten des Hofes und Reiches herauszuhalten.Wenn er die Dinge, die für das Bestehen und Erblühen des Landes notwendig waren nicht in die Hand nahm, würde sie es tun, denn vom Rat und von seiner Mutter war nichts zu erwarten.
Sie pflegten schon zu lange ihre eigenen Eitelkeiten und handelten kurzsichtig nur zum Nutzen ihrer Familie oder sich selbst.
Adhara wollte nicht mehr zurückweichen und den Dingen ihren Lauf lassen. Wenn niemand da war, der die Zügel hielt, stürzte man früher oder später in vollem Galopp in einen Abgrund.
Als Kind hatte sie in diesen Abgrund geblickt und so ohnmächtig, wie damals und nach ihrer Ankunft im Palast, wollte sie sich nie wieder fühlen.Sollten die Gerüchte, die Margie und Thorn ihr in den letzten Wochen zugetragen hatten stimmen, stand ihnen eine Hungersnot und sogar Unruhen bevor. Statt etwas dagegen zu unternehmen, die Menschen zu beruhigen und sich um sie zu kümmern, erregte sich ihre Schwiegermutter über ihre Ausflüge!
Die nächste Tage standen ihr deutlich vor Augen: Aus ihrer Sorge um ein paar Waisen und der Hilfe für eine Betrunkene würde der Hof eine Schmach drechseln. Natürlich würde sich niemand dafür interessieren, dass ein schmieriger Freudenhausbetreiber das Gesetz auf mehr als eine Weise gebrochen hatte und die Stadtwache bestechlich war.
Sie hatte zuviel Zeit verschwendet.Vor dem Schreibzimmer ihres Gemahls, in dem er sich öfter aufhielt, als in seinen Gemächern oder im Thronsaal, hielt sie kurz inne und legte sich einige Sätze zurecht.
Es musste ihr gelingen, ihn auf ihre Seite zu ziehen, bevor er mit seiner Mutter sprach.
Dann nickte sie einer der Wachen zu. Diese öffnete ihr die Tür und kündigte leise ihr Eintreten an.Der König saß wie üblich an seinem kreuz und quer mit Papieren bedeckten Schreibtisch. Einige Blätter waren heruntergefallen und bildeten einen raschelnden Teppich zu seinen Füßen.
Er war nur unzureichend angekleidet mit einer feinleinernen Bruche und einem Hemd aus Seide.
Auf Schuhe oder ein Wams verzichtete er gern, wenn er schrieb. Im Zimmer war es heiß, obwohl kein Feuer im Kamin brannte und die dicken Mauern für ständige Kühle in der Burg sorgten. Durch das kleine Fenster des Arbeitszimmers hatte die Hitze dieses Sommers dennoch Einlass gefunden.
Ihr Gemahl wandte sich ihr zu, als sie neben ihn trat.
„Ah, meine Königin", begrüßte er sie zerstreut.Adhara gab vor, interessiert seine Arbeit zu betrachten. Er schrieb an einer „Dritten Hymne".
„Sie handelt davon, wie Schmerz Zeit und Raum aufheben kann", erklärte er, als er ihrem Blick folgte.
Er musste seit seiner Geburt einiges Ungemach durchlitten haben, dachte sie. Ständig kränklich, immer unter den Blicken des Hofes, der auf seinen Tod lauerte. Vielleicht war er kein guter König, aber er bemühte sich, den Menschen auf seine Art einen Dienst zu erweisen.
Ihr Gemahl nahm seinen Schmerz und verwandelte ihn in Schönheit, wenn er mit Worten ganze Welten und Philosophien erschuf.
Sie hatte es nicht gleich verstanden, als sie in Oranborn eingetroffen war, aber sie erkannte sein Wesen zunehmend besser, nachdem sie sich mit ihrer Enttäuschung abgefunden hatte und diese ihr nicht mehr den Blick verstellte.
Ihre Augen trafen sich und einen Moment des Verstehens entstand zwischen ihnen.
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Wenn der Schnee fällt
Narrativa StoricaIntrigen, Verrat und enttäuschte Hoffnungen mit einem Hauch Romantik. Eine mittelalterlich-fantastische Geschichte über das Ringen um einen Platz in der Welt. Adhara soll überraschend den König heiraten. Nie hätte sie geglaubt, so weit aufzusteigen...