19 Poesie und Tee

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Adhara war sich sicher, dass dieser Ausflug weit mehr Aufruhr im Palast verursachen würde, als ihr erster.
Sie  hatte diesen Trent in den Kerker werfen lassen und in der Folge würden  seine beiden Freudenhäuser, das Sandkorn und die Pralle Pflaume, geschlossen werden.
Beinahe konnte sie das Murren der Soldaten und der Besserbetuchten hören, die nun daran gehindert waren, sich in den auf ihre Börsen zugeschnittenen Tavernen zu verausgaben.
Außerdem grollten ihr  die Hauptmänner der Burg- und der Stadtwache, weil sie das Wohl einer  Dirne über das Wohl verdienter Veteranen gestellt hatte.
Sicher gingen sie noch heute zum Obersten Bruder und klagten ihm ihr Leid. Daraufhin würde das Ganze auch den Rat beschäftigen.

Sie wußte, dass sie schnell handeln musste, um den Sturm abzuschwächen, bevor er sie davon fegte.
Auf keinen Fall wollte sie die Hilfe für die Armen aufgeben.
Dafür  benötigte sie die Unterstützung ihres Gemahls - oder wenigstens dessen  beharrliche Bereitschaft, sich aus allen Angelegenheiten des Hofes und  Reiches herauszuhalten.

Wenn er die Dinge, die für das Bestehen und  Erblühen des Landes notwendig waren nicht in die Hand nahm, würde sie es  tun, denn vom Rat und von seiner Mutter war nichts zu erwarten.
Sie  pflegten schon zu lange ihre eigenen Eitelkeiten und handelten kurzsichtig nur zum  Nutzen ihrer Familie oder sich selbst.
Adhara wollte nicht mehr  zurückweichen und den Dingen ihren Lauf lassen. Wenn niemand da war, der  die Zügel hielt, stürzte man früher oder später in vollem Galopp in einen Abgrund.
Als  Kind hatte sie in diesen Abgrund geblickt und so ohnmächtig, wie damals  und nach ihrer Ankunft im Palast, wollte sie sich nie wieder fühlen.

Sollten  die Gerüchte, die Margie und Thorn ihr in den letzten Wochen zugetragen  hatten stimmen, stand ihnen eine Hungersnot und sogar Unruhen bevor.  Statt etwas dagegen zu unternehmen, die Menschen zu beruhigen und sich  um sie zu kümmern, erregte sich ihre Schwiegermutter über ihre Ausflüge! 
Die nächste Tage standen ihr deutlich vor Augen: Aus ihrer Sorge um ein  paar Waisen und der Hilfe für eine Betrunkene würde der Hof eine  Schmach drechseln. Natürlich würde sich niemand dafür interessieren,  dass ein schmieriger Freudenhausbetreiber das Gesetz auf mehr als eine Weise  gebrochen hatte und die Stadtwache bestechlich war.
Sie hatte zuviel Zeit verschwendet.

Vor  dem Schreibzimmer ihres Gemahls, in dem er sich öfter aufhielt, als in  seinen Gemächern oder im Thronsaal, hielt sie kurz inne und legte sich  einige Sätze zurecht.
Es musste ihr gelingen, ihn auf ihre Seite zu ziehen, bevor er mit seiner Mutter sprach.
Dann nickte sie einer der Wachen zu. Diese öffnete ihr die Tür und kündigte leise ihr Eintreten an.

Der  König saß wie üblich an seinem kreuz und quer mit Papieren bedeckten  Schreibtisch. Einige Blätter waren heruntergefallen und bildeten einen  raschelnden Teppich zu seinen Füßen.
Er war nur unzureichend angekleidet mit einer feinleinernen Bruche und einem Hemd aus Seide.
Auf  Schuhe oder ein Wams verzichtete er gern, wenn er schrieb. Im Zimmer  war es heiß, obwohl kein Feuer im Kamin brannte und die dicken Mauern  für ständige Kühle in der Burg sorgten. Durch das kleine Fenster des  Arbeitszimmers hatte die Hitze dieses Sommers dennoch Einlass  gefunden.
Ihr Gemahl wandte sich ihr zu, als sie neben ihn trat.
„Ah,  meine Königin", begrüßte er sie zerstreut.

Adhara gab vor,  interessiert seine Arbeit zu betrachten. Er schrieb an einer „Dritten  Hymne".
„Sie handelt davon, wie Schmerz Zeit und Raum aufheben kann", erklärte er, als er ihrem Blick folgte.
Er  musste seit seiner Geburt einiges Ungemach durchlitten haben, dachte  sie. Ständig kränklich, immer unter den Blicken des Hofes, der auf  seinen Tod lauerte. Vielleicht war er kein guter König, aber er bemühte  sich, den Menschen auf seine Art einen Dienst zu erweisen.
Ihr Gemahl  nahm seinen Schmerz und verwandelte ihn in Schönheit, wenn er mit  Worten ganze Welten und Philosophien erschuf.

Sie hatte es nicht gleich  verstanden, als sie in Oranborn eingetroffen war, aber sie erkannte sein  Wesen zunehmend besser, nachdem sie sich mit ihrer Enttäuschung  abgefunden hatte und diese ihr nicht mehr den Blick verstellte.
Ihre Augen trafen sich und einen Moment des Verstehens entstand zwischen ihnen.

Wenn der Schnee fälltWo Geschichten leben. Entdecke jetzt