3 Tief und Dunkel ist der Tann

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Adhara litt. In den letzten Tagen war es zunehmend kälter geworden  und gleich, wie tief sie sich in ihren dicken Wollumhang zurückzog, die eisige Luft fand immer einen Weg, ihr unter die Röcke oder in die Ärmel zu kriechen.
Jeden Morgen zweifelte sie daran, dass es ihr gelang, sich wieder in den Sattel zu setzen.
Am Abend sehnte sie das Gasthaus herbei, an dem sie  anhalten würden, damit sie sich endlich auf einem Bett, sei es auch noch  so unkomfortabel, ausstrecken konnte.
Sie war es nicht gewohnt, so  lange zu reiten. Dennoch beklagte sie sich nicht, denn sie war die zukünftige Königin und wusste sich zu benehmen.
Ihre Beine zitterten jedes  Mal nachdem sie abgestiegen war und sie hatte Mühe, eine würdevolle  Miene zu bewahren, wenn sie ihr Gewicht endlich von ihrem Hinterteil  nehmen konnte.
Ritter Thorn von Goldwald war derjenige, der ihr hinauf und herab half und Adhara war sicher, dass er ihre Pein bemerkt hatte.
Er  war jedoch so rücksichtsvoll, nichts zu sagen und sie  nur mit der Andeutung eines Lächelns zu bedenken, während  er ihr behilflich war.

Ihrer Magd erging es kaum besser, aber im Gegensatz zu ihr, jammerte sie beinahe ununterbrochen.
Adhara  verstand das Mädchen, auch wenn seine Beschwerden zunehmend an ihren  Nerven zerrten. Um mit ihr in die Hauptstadt zu reisen, hatte es seine Mutter und seinen Liebsten auf  Brückfeldingstein zurückgelassen. Es war ihr keineswegs freiwillig und erst nach vielen Überredungsversuchen in das  neue Leben gefolgt.
In Wahrheit, war die junge Gräfin panisch bei der Aussicht gewesen, ohne ein vertrautes Gesicht viele Tagesritte, ja Wochen, von Zuhause entfernt zu sein. Sie hatte Margie einfach mitnehmen  müssen.

Jetzt teilten sich die beiden Frauen ein Zimmer in den  Unterkünften, die ihr kleiner Trupp aufsuchte, sobald sich die Nacht  herabzusenken begann.
Meist waren keine Baderäume vorhanden und sie mussten sich mit einer kleinen Waschschüssel begnügen.
Adhara fühlte sich deshalb nie richtig sauber, was nicht zu ihrer Zufriedenheit beitrug.
Die  Männer verweilten am Abend oft noch in der Gaststube und sprachen dem  schalen Bier oder dem saueren Wein zu, der dort ausgeschenkt wurde.  Ritter Thorns Anwesenheit allein verhinderte, dass sie sich jede Nacht  betranken bis sie kaum noch in der Lage waren, ihre Betten zu finden.
Dennoch  war Adhara von dem Benehmen der Soldaten abgestoßen und nach dem ersten  abendlichen Mahl, welches sie noch in den Gasträumen eingenommen hatte,  bestand sie darauf, in ihrem Zimmer zu essen. Sie wollte möglichst weit  von den schmutzigen Händlern, den unflätigen Gesellen, dem Rülpsen und  den groben Scherzen entfernt sein. In manchen Gaststuben wurden sogar Dirnen geduldet, die ihre Dienste umso auffälliger anboten, je später der Abend wurde.
Der Ritter hatte diesem  Entschluss zugestimmt. Auch er war der Meinung, dass es sowohl für die  Frauen, als auch für ihn und seine Männer einfacher sei, wenn sie die  Mahlzeiten nicht zusammen einnahmen.

Eines Tages, als Adhara beinahe meinte, sich an die langen Stunden im Sattel gewöhnt zu haben, weil sie nicht  mehr jeden Morgen steif und von Schmerzen geplagt erwachte, eröffnete  ihr der Ritter, dass sie am Abend unter freiem Himmel nächtigen musste.
Normalerweise zogen sich die Gasthäuser wie auf einer Kette an der Hauptstraße entlang.
Er berichtete, dass diese an einer Stelle unterbrochen war, weil eine Taverne nur noch aus schwarz verkohlten Resten bestand.
Sofort wurde ihre Stimmung so grau, wie  die Wolkendecke, die jeden Tag über ihnen hing und gelegentlich  Schauer auf sie niederwehen ließ.

An diesem Vormittag brütete Margie ausnahmsweise stumm auf ihrem Klepper vor sich hin, aber als sie gerade  angehalten hatten, um etwas zu essen, begann sie wieder zu klagen.
Adhara verlor zum ersten Mal auf dieser Reise die Geduld. Sie fuhr  das Mädchen an, es solle still sein, denn sein ununterbrochenes Jammern  brächte sie auch nicht schneller oder bequemer voran.
Daraufhin sah ihre Freundin aus Kindertagen sie an, als wäre sie geschlagen worden und zog sich  für den Rest des Tages in sich selbst zurück, wie eine Schnecke, die man  zu unsanft angetippt hatte. Was sie an Dienst versehen musste, leistete  sie schweigend und mit mürrischem Blick.
Es tat Adhara sofort leid  und es war ihr unangenehm, vor den Männern, die die Szene mit  einigen derben Witzen kommentierten, die Nerven verloren zu haben.
Der  Ritter schien sich ebenfalls zu amüsieren, hatte aber zu gute Manieren,  um sich zu äußern. Er fuhr einfach mit seiner Mahlzeit fort, doch die feinen Fältchen um seine Augen vertieften sich vor unterdrückter Heiterkeit.
Adhara  war versucht sich bei Margie zu entschuldigen, aber einerseits war  zumindest im Moment der stete Strom von Beschwerden und Selbstmitleid,  der seit der Abreise unaufhörlich aus deren Mund geströmt war,  versiegt und andererseits entschuldigte sich eine Königin nicht bei einer Magd.

Wenn der Schnee fälltWo Geschichten leben. Entdecke jetzt