32 Die Warnung

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Adhara stand in ihrem Empfangszimmer vor der Feuerstelle, um die  Kälte des späten Herbstes, der ihr in der Nacht in die Knochen gekrochen  war, zu vertreiben. Der Winter war nicht mehr fern.
Sie war bereits angekleidet und drehte einen schmalen Streifen Papier in ihrer Hand hin und her, als könne sie herausfühlen, ob dessen Botschaft der Wahrheit  entsprach.
‚Von Goldwald wird versuchen Euch zu Ehebruch zu verführen, damit ihr des Hochverrats angeklagt werden könnt. Seid vorsichtig! Ein Freund.'
Hatte er sie die ganze Zeit über nur täuschen wollen?

Valu, die ihr die zusammengerollte und mit einem winzigen Klecks Wachs verschlossene  Nachricht zusammen mit dem Frühstück überbracht hatte, sah sie erwartungsvoll an.
„Von wem hast du das erhalten?" Adhara hob den Streifen ein wenig.
„Vom  Stallburschen, als ich grad rüber in die Wäscherei wollte", antwortete die Andere beunruhigt, weil das Stückchen Papier sie derart in Erregung versetzte.

Sie warf noch einen Blick darauf, zerknüllte es in ihrer Faust und überantwortete es dann den Flammen.
Es sank  sofort zu grauer Asche zusammen.
Auch der Überrest zerstob, als ein glühender Scheit ins Rutschen geriet. Ein Funke verirrte sich aus dem Kamin auf ihr Kleid  und hinterließ einen winzigen, versengten Fleck.
„Bitte versuche herauszufinden, von wem sie stammt!"
Wer  immer sie geschrieben hatte, schien darauf geachtet zu haben, dass  keiner der Boten lesen konnte. Außerdem verschwieg er seine Identität.
‚Ein Freund.'
Wenn er ein Freund ist, soll er sich zu erkennen geben,  dachte Adhara bitter und strich über die Stelle, die der Funken  geschwärzt hatte. Der Fleck war nur oberflächlich und es würde kein  Schaden zurückbleiben.

Diese geheimniskrämerische Nachricht konnte ein weiterer Versuch sein, sie in irgendeine der Intrigen des Hofes zu verwickeln oder anderweitig zu Fall zu bringen.
Solange die Königinmutter am Leben war, Novalis unter ihrer Fuchtel und den Rat hinter sich wußte, konnte Adhara sich nicht frei bewegen.
Es kündigte sich jedoch noch immer kein Erbe an und solange das so blieb, befand sie sich  ständig in der Gefahr vom Hof entfernt und ausgetauscht zu werden. Auf  die eine oder die andere Weise.
Das Gespräch mit Valu über das  Ehebett hatte ihr neue Hoffnung geschenkt und deren Begegnung mit dem  König, der scheinbar zu einer Versöhnung bereit war, ebenfalls.
Gerade hatte sie wieder Mut gefasst und nun dies.

Die Warnung erreichte sie zu einem Zeitpunkt, als sie die Dinge ohnehin viel zu weit hatte gedeihen lassen und Thorn viel zu nahe gekommen  war.
Hatte er sich ihr absichtsvoll genähert, nicht weil er sich zu ihr hingezogen fühlte, sondern weil er sie in eine Falle locken wollte, die ihr Leben kosten würde? Wo war sein Gewinn dabei?
Ihre Lage war seit dem Zusammentreffen auf dem  Wehrgang unverändert. Dennoch hatte sie sich wie ein dummes Mädchen verhalten, als er sie an sich gezogen und ihren Namen geflüstert hatte. Ihre Sorgen und Pflichten waren vergessen gewesen und sie hatte sich dem Druck seiner Lippen entgegengereckt, als wäre sie eine welke Blume und er ihre Sonne und ihr Regen.
Am Morgen waren ihre Laken zerwühlt und auf ihren Lippen hing das Gefühl eines Kusses, der nie geküsst worden war.
Er  schien nicht minder verwirrt und zerrissen und schwankte zwischen  Abweisung und zu langen Blicken, die sie jedes mal auf sich fühlte, wenn  er in ihrer Nähe war und keiner sie beobachtete.

Adhara rief Valu noch einmal zurück, die soeben den Raum verlassen wollte.
„Bitte  sag dem Ritter von Goldwald, dass ich ihn zu sprechen wünsche." Ihre neue Magd vollführte einen beinahe vollkommenen Knicks und zwinkerte ihr  verschwörerisch zu.
„Mach ich, Majestät. Ihr macht Euch wirklich zu  viele Gedanken."
„Valu..." Adhara war nicht in Stimmung das Thema zu erörtern.
„Schon gut, bin schon weg." Noch während sie es sagte, verschwand sie durch die Tür.

Die  Königin benötigte diese Zeit allein, bevor er eintraf und seine grauen  Augen sich auf sie heften würden. Es fiel ihr schwer, dann zu denken.
War die Nachricht nur eine Falle für sie und entsprach nicht der Wahrheit, täte sie ihm großes Unrecht, wenn sie ihn überhaupt damit belästigte, statt die Sache einfach auf sich beruhen zu lassen. Es  war nicht vorherzusehen, wie er reagieren würde, wenn sie derartige  Zweifel an seiner Loyalität und dem Vertrauen zwischen ihnen äußerte.
Adhara  war nicht bereit, den Verlust seiner Zuneigung für eine dubiose  Botschaft auf's Spiel zu setzen. Vielleicht war es die einzige dieser Art, die sie in ihrem Leben je erfahren würde.

Wenn der Schnee fälltWo Geschichten leben. Entdecke jetzt