Der Barde hatte geendet und die letzten Noten seiner Melodie hingen noch immer in der Dunkelheit unter der hohen Decke des Thronsaales.
Plötzlich wurde die Erhabenheit des Moments von dem Lachen eines kleinen Kindes durchbrochen und riss Adhara aus ihren Gedanken.
Sie sah hinüber zu ihrem Sohn, der auf den Armen seiner Amme saß und versuchte eine kleine Stoffblüte zu fangen, die an einem Bindfaden hing und die die runde Frau immer wieder aus seiner Reichweite zog.
Der blonde Junge liebte dieses Spiel, auch wenn er mittlerweile beinahe zu groß war, um dabei auf dem Arm gehalten zu werden. Er war größer und kräftiger als andere Kinder seines Alters.
Die Amme schnaufte und Adhara bedeutete ihr, dass sie ihn gleich zu sich nehmen würde.Sie wollte mit ihm hinaus zu den Übungshöfen gehen und den Rittern und Pagen dabei zusehen, wie sie sich im Kampf übten. Der Junge liebte es, wenn die Schwerter aufeinanderkrachten oder die Männer miteinander rangen.
In dieser Zeit konnte sie einige Regierungsgeschäfte erledigen, die nicht ihre volle Aufmerksamkeit verlangten und dennoch bei ihrem Kind sein.
Zu tun gab es viel; die Neuaufteilung der Lehen und einige Maßnahmen zur Versorgung der armen Bevölkerung, sowie der Bau von Kornkammern im ganzen Land, kosteten viele Mühen, da sich zu lange niemand darum gekümmert hatte. Zwar unterstützte sie der Rat, allen voran der Hohe Horcher, rückhaltlos, doch sie hielt die Zügel gern selbst in der Hand.Einer der Pagen, ein Sohn der Baronie Wildegast, hatte es ihrem Sohn besonders angetan und manchmal kam der Andere herüber und spielte eine Weile mit dem jungen König.
Vielleicht mochten sich beide so sehr, weil sie sich ähnlich waren mit ihrer kräftigen Statur und den grauen Augen. Beinahe konnte man sie für Brüder halten.Jetzt aber wandte sich die Königin an den Barden: „Woher habt ihr dieses Lied? Seine Melodie ist mir unbekannt, aber die Worte klingen vertraut."
Er verbeugte sich tief. „Die Melodie habe ich selbst ersonnen, aber die Worte nahm ich von einem jungen Mann in einer Schenke weit von hier, im Süden.
Dessen Schwester verkauft Abschriften seiner Hymnen und Oden, gegen bare Münze. Dies ist sein sechste Hymne, wie er sie nennt. Seltsamer Kauz, aber seine Schwester ist recht handfest. Vielleicht habt ihr schon einmal von ihnen gehört, sie sind berühmt und auch über die Landesgrenzen hinaus bekannt. Rahe und Teine Elu, sind die Namen."Adhara presste die Lippen zusammen um den tiefen Seufzer der Erleichterung und Freude zurückzuhalten, der ihr entweichen wollte.
Nach all den Verlusten, die sie hatte erleiden müssen und all den Menschen, die gestorben waren - bei der Erstürmung der Oranburg, und später bei ihrer Rückeroberung mit den Truppen aus den umliegenden Baronien und Grafschaften - war dies die zweite gute Nachricht, die ihr zu Herzen ging und eine Last von ihr nahm.Die erste war ein Brief von Margie gewesen, den sie einen Schreiber in Brückfelding aufsetzen lassen hatte. Er hatte Adhara Freudentränen in die Augen getrieben, denn darin teilte sie ihr mit, dass es allen gut ginge und sie selbst doch noch ihren Zwingerburschen heiraten würde, der auf sie gewartet und gehofft hatte, dass sie eines Tages zurückkehre.
Nun wußte sie also, das auch die beiden letzten Vermissten wohl auf waren.
Sie dankte dem Barden und entlohnte ihn reichlich.Dann ging sie hinüber zu der Amme und nahm ihren Sohn auf den Arm. Sie drückte ihn an sich und der Knabe lachte sie vergnügt an und schlang seine Arme um sie.
In diesem Moment verspürte sie die Gewissheit, dass alles gut war und bleiben würde.-Ende-
Autorennotiz:
Die meisten Namen haben, auf die eine oder andere Weise, eine Bedeutung, die schnell offenbar wird, wenn man sich ihre Träger vor Augen führt oder Google kurz wegen einer Übersetzung bemüht.
Im Fall von Valu möchte ich jedoch noch einen Hinweis nachreichen, warum sich Adhara so sicher ist, dass es sich um die Frau in dem gelben Umhang und ihren Gemahl handelt.
Valu ist das estnische Wort für Schmerz und fasst ihr Leben, bis sie den König kennenlernt und mit ihm den Palast verlässt recht gut zusammen, auch wenn sie selbst vielleicht abwinken und es weglachen würde.
Der König wiederum, teilt einige Gebrechen mit dem uns bekannten Dichter und mag auch in seiner äußerlichen Beschreibung an ihn erinnern.Nachdem er an der Seite seiner Muse den Entschluss gefasst hat, nicht unter die zu schwere Krone zurückzukehren, benötigt er natürlich einen neuen Namen.
Beide haben eine entscheidende Veränderung in ihrem Leben erfahren, weil sie zu unterschiedlichen Zeitpunkten wichtige Entscheidungen für sich getroffen haben.
Was wäre da passender, als diese Veränderungen mit neuen Namen zu würdigen?Rahu, der Name der Schwester des kauzigen jungen Mannes, wird aus dem Estnischen mit Frieden übersetzt und Teine Elu, der Name des Poeten, bedeutet, ein zweites, ein anderes Leben.
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Wenn der Schnee fällt
Fiksi SejarahIntrigen, Verrat und enttäuschte Hoffnungen mit einem Hauch Romantik. Eine mittelalterlich-fantastische Geschichte über das Ringen um einen Platz in der Welt. Adhara soll überraschend den König heiraten. Nie hätte sie geglaubt, so weit aufzusteigen...