Er führte sie zu einer der Nebenausgänge, der normalerweise nur von den Wachen und den Dienstboten benutzt wurde.
Wenn man dem Gang dahinter folgte, bis er einen leichten Bogen schlug, gelangte man zu einer Reihe kleinerer, ungenutzter Räume, die vielleicht einmal als Rückzugsort für hohe Gäste oder Ratszimmer gedacht gewesen waren. Einige von ihnen waren über einen langgezogenen Balkon verbunden, der einen guten Blick auf die darunterliegende Stadt bot.
Dorthin brachte er sie jetzt.
Die Geräusche des Festes drangen kaum bis hierher. Der Abend war kalt und der Himmel mit dichten Wolken bedeckt, die nur wenig Mondlicht durchließen.Adhara sog hörbar die kalte Luft ein, als sie nach draußen trat und Thorn konnte sehen, wie ein Schauder sie durchlief.
„Das ist besser, danke", sagte sie. Dann fiel ihr Blick auf die Stadt, aus der an vielen Stellen dichter Rauch aufstieg und der orange Schein von Feuer an viel zu vielen Stellen flackerte.
Jede Freude, die sie eben noch empfunden haben mochte, verschwand aus ihrem Gesicht.
„Was geht da vor sich?" In ihrer Stimme lag Schrecken.
„Es gibt keine Wache, die sich um das Löschen der Feuer kümmert", erklärte er leise.
„Immer wieder brechen welche aus, bisher schien es aber, als seien sie unter Kontrolle."
Er folgte ihrem Blick und es sah ganz und gar nicht mehr so aus, als wäre irgendetwas in der Stadt unter Kontrolle. Ihre Hände legten sich auf den rauen Stein des Geländers. Beide beobachteten nebeneinander stumm das Bild, das sich ihnen bot.Allmählich bemerkte er, kleine, kalte, Tropfen auf seinem Gesicht und sah nach oben. Aus der Dunkelheit schwebten winzige Eiskristalle herab. Es begann zu schneien.
Adhara bemerkte es ebenfalls und streckte eine Hand aus, um eine Flocke aufzufangen. Sie schmolz sofort.
„Der Schnee", sagte sie leise und richtete ihren Blick wieder auf die Stadt.
„Meint Ihr, er hilft gegen die Feuer?" Er glaubte es nicht, jedenfalls nicht, wenn der Schneefall nicht zunahm, sagte aber, um sie zu beruhigen: „Vielleicht. Ich hoffe es."
Mehr als das, konnten sie ohnehin nicht tun.
Die Stille senkte sich zwischen sie. Ihr musste kalt sein, aber sie schien zu abgelenkt, um es zu bemerken.
„Ich erinnere mich, wie wir im Frühjahr die Feuer beobachtet haben", sagte sie schließlich.
Thorn erinnerte sich ebenfalls daran und auch, wie sich ihre kleine Faust unter seinen Fingern angefühlt hatte und ihre Wärme langsam durch das dicke Leder seines Handschuhs gesickert war.„Thorn", flüsterte sie unvermittelt und ihre Blicke trafen sich.
Im nächsten Moment schmiegte sie sich gegen seine Brust und sein Vorsatz, sie nicht zu berühren zerfiel zu Asche.
Er umfasste sie und zog sie näher an sich. Der Stoff, der sich um ihrem Leib spannte, war kalt, aber darunter konnte er ihre Hitze spüren.
Ihr Gesicht drängte sich ihm entgegen und er gab ihrem Ansturm nach.
Hart pressten sich ihre Lippen auf seine und endlich, endlich spürte er sie.
Er erwiderte ihren Ausbruch mit der gleichen Heftigkeit und eine Weile drangen nur die Geräusche ihres heißeren Atmens in die eisige Luft. Sein Dunst verlor sich in der Dunkelheit aus der nun unablässig der Schnee auf sie niederfiel und die fernen Geräusche weiter dämpfte.Irgendwann zog sie ihr Gesicht von seinem zurück und verbarg es stattdessen an seiner Brust. Er umschlang sie und sie hielten sich eine Weile nur fest, während die Kälte langsam seine Beine hinaufkroch.
„Du frierst", flüsterte er in ihr Haar. Es duftete nach dem Räucherwerk des Saals und Lavendel.
„Ja", war die einfache Antwort.
So gut er es vermochte, legte er seine Arme um sie und sie schmiegte sich in seine Berührung wie in einen Mantel. Er wollte nicht in den Saal mit seinen lauten Geräuschen und Gerüchen und den vielen Menschen zurück. Kleine Eiskristalle blieben in ihrem Haar hängen, die Kleider wurden ihnen klamm am Leib und selbst er fror bereits.
„Wir müssen hinein."
Ihre Stirn drückte gegen sein Brust und ihre Arme hielten ihn nah bei sich. Keiner von ihnen bewegte sich. Schließlich legte er die Finger sanft unter ihr Kinn, um sie noch einmal zu küssen, bevor er sie zurückbringen würde.
Sie ließ es ohne Zögern geschehen.
„Thorn", flüsterte sie, zwischen zwei Berührungen ihrer Lippen und Zungen.
„Bleib bei mir heute Nacht."
Er schluckte.
„Adhara, das..."
„Wenn nicht heute, wann dann? Alle sind abgelenkt oder betrunken", unterbrach sie ihn. Er erinnerte sich, dass auch der König dem Wein über Gebühr zugesprochen hatte, weil auf ihr Bestreben sein Becher beständig aufgefüllt worden war.
Sanft zwang er sie, ihn anzusehen. „Du hast das geplant?"
„In Erwägung gezogen."
Wie könnte er sie zurückweisen? Natürlich würde er ihr von dem Auftrag des Rates berichten, dann wären sie miteinander im Reinen. Morgen früh. Nicht jetzt, wenn ihre Blicke und ihre Küsse noch mehr versprachen und sich ihr Körper so warm und verlockend gegen seinen schmiegte.
„Wie stellst du dir das vor?", fragte er matt.
Seine Finger gruben sich sanft um ihren Nacken in ihr Haar und er blickte auf sie herab.
„Ich ziehe mich mit dem König zurück. Sobald er eingeschlafen ist, suche ich mein eigenes Schlafgemach auf."
„Der Gang", murmelte er. Sie musste einige Zeit über dies hier nachgesonnen haben.
„Ja, der Gang. Valu wird sicherstellen, dass der König umsorgt ist, sollte er erwachen. Aber er sucht mich nie auf." Sie begann zu zittern.
„Komm." Er hauchte einen letzen Kuss auf den Ansatz ihres Haars und zog sie, diesmal unnachgiebig, mit sich nach drinnen.
Der spärlich erleuchtete Flur war noch immer ruhig und menschenleer. Adhara erschauerte in der plötzlichen Wärme und er spürte ihr Zittern unter seinen Fingern.
Ihr Blick ruhte erwartungsvoll auf ihm.
„Ich werde da sein", sagte er einfach. Sie schien es zufrieden und ließ sich von ihm in die Hitze des Saals zurückgeleiten.

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Wenn der Schnee fällt
Historical FictionIntrigen, Verrat und enttäuschte Hoffnungen mit einem Hauch Romantik. Eine mittelalterlich-fantastische Geschichte über das Ringen um einen Platz in der Welt. Adhara soll überraschend den König heiraten. Nie hätte sie geglaubt, so weit aufzusteigen...