23 Zu frühester Stunde

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Adhara legte den kurzen Weg bis zu Margie und dem Ritter langsam zurück. Er blickte ihr  mürrisch entgegen.
Das Mädchen hatte den Kopf zwischen die Schultern gezogen, eine Haltung, die ihm seit der Ankunft in Oranborn mehr und mehr zu eigen geworden war.
Sie erreichte die beiden, atmete tief ein und aus und wandte sich entschlossen an Thorn: „Ich muss noch einmal in die Unterstadt."
„Nein", war die prompte Antwort und es gelang ihm, noch finsterer dreinzublicken als ohnehin.
Sie legte den Kopf ein wenig schief und seufzte. Sein Widerstand war zu erwarten gewesen.
„Es wird kein Aufsehen erregen", versprach sie.
Der Blick, den er ihr zuwarf, zeigte mehr als nur Zweifel und schnell, um ihn zu überrumpeln, fuhr sie fort: „Wir werden allein gehen - nur Ihr und ich."

Margie sperrte den Mund erschrocken auf und auch Thorn verlor einen Augenblick die Fassung.
„Ich muss mit dieser Frau reden, Valu. Mit dem Haus."
„Majestät", erwiderte er ungläubig und im Begriff Einwände zu erheben, von denen sie jetzt nichts hören wollte. Sie hob warnend die Brauen.
Er besann sich und kehrte zu seiner Gewittermiene zurück. „Dann lasst sie herschaffen", schlug er vor, statt ihr Ansinnen glattweg abzulehnen.
„Am besten weist Ihr die Wache an, sie gleich zu waschen, dann erregt es vielleicht tatsächlich ausnahmsweise kein Aufsehen", setzte er mürrisch nach.
Es schien, als wäre seine Laune noch übler geworden, während sie mit dem Hohen Horcher gesprochen hatte. Sie wünschte, sie hätte seinen Namen auf dem Wehrgang nie ausgesprochen und seine Nähe wäre noch so tröstlich wie zuvor.

Adhara war der Widerworte müde. „Ich gehe zu ihr. Mit Euch oder ohne Euch. Ich brauche mehr als Gerüchte aus dem Armenviertel. Ich muss mit eigenen Augen sehen, was vor sich geht."
„Mit was hat der Flüsterer Euch beunruhigt?", verlangte er zu wissen.
Sie überging die Frage. „Ich werde Euch diesmal nicht befehlen, mit mir zu kommen - ich weiß, Ihr hattet große Schwierigkeiten meinetwegen. Aber solltet Ihr Euch entschließen, erwarte ich Euch morgen, vor Sonnenaufgang, bei meinen Gemächern", damit drehte sie sich um und begann, auf das Palasttor zuzugehen.
Es gelang Thorn nicht, den Fluch zurückzuhalten, der ihm über die Lippen wollte. Margie war dem Gespräch mit immer größer werdenden Augen gefolgt und hastete nun ihrer Herrin hinterher.
„Wartet!", rief Thron verärgert.
Adhara hielt an und wandte sich ihm zu. Nachdem er sich genähert hatte und dicht genug bei ihr stand, dass ihn keiner sonst hören konnte, zischte er: „Ihr wollt am helllichten Tag im Seichriemen herumspazieren? Allein? Wie, um alles in der Welt, denkt ihr, könnte das unauffällig sein? Wie wollt Ihr überhaupt da hinkommen?" In seinen Zügen lag keine Nachgiebigkeit.
„Ich weiß nicht. Ich werde einfach zum Tor hinausgehen und dann immer weiter, bis ich dort bin, denke ich." Sie setzte eine ausdruckslose Miene auf.
Thorn knurrte angewidert. „Ich begleite Euch und bringe Euch ungesehen aus dem Palast und wieder hinein. Haltet Euch weit vor Sonnenaufgang bereit."
Adhara lächelte warm und wandte sich wieder zum Gehen. Das war einfacher gewesen, als sie erwartet hatte.
Er folgte ihr widerwillig.
Margie stand noch eine Weile mit schockiertem Gesicht auf dem Weg und konnte anscheinend nicht fassen, was sie soeben gehört hatte.
Dann lief sie ihrer Herrin eiligen Schrittes hinterher und holte sie ein, gerade als Thorn ihr die Tür ins Innere öffnete.

Am nächsten Morgen wartete Adhara noch vor der Dämmerung in ihren Gemächern auf die Ankunft des Ritters.
Margie hatte ihr schlaftrunken geholfen, sich anzukleiden und ihr ein kleines Frühstück gebracht, das sie sich zu essen gezwungen hatte.
Nun lehnte des Mädchen leise schnarchend auf der Bank in der Fensternische und sie selbst saß auf der Kante ihres ungemachten Bettes.
Adhara hatte sich vergewissert, dass die Tür zum Schlafzimmer ihres Gemahls abgeschlossen war. Zwar suchte er sie nie auf, aber sie musste sicher sein, dass er nicht ausgerechnet heute beschloss, damit zu beginnen.

Während sie mit Thorn auf dem Weg wäre, würde Margie die Türen verriegelt halten und jedem, der zu ihr vorgelassen werden wollte, mitteilen, die Königin befände sich nicht wohl und würde mit starker Übelkeit und Kopfschmerzen das Bett hüten. Gerade würde sie schlafen und wünsche keinen Heiler, bis sie erwacht wäre.
Es war ohnehin kaum damit zu rechnen, dass sie jemand dringend aufsuchen wollte, denn sie hatte sich vom Geschehen am Hof weitgehend zurückgezogen und der Hof von ihr.
Die Ausrede würde ihr so mindestens Zeit bis in den frühen Nachmittag verschaffen, wenn sie längst wieder zurück sein wollte. Es war ihr ein Rätsel, wie Thorn sie herein oder heraus schaffen wollte, aber wenn es jemandem gelingen konnte, dann ihm.

Wenn der Schnee fälltWo Geschichten leben. Entdecke jetzt