35 Ohne Panzer

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Der Morgen des Tages an dem das Fest zur Versöhnung zwischen Novalis  II. und seiner Gemahlin stattfinden sollte, brach gerade an.
Thorn  bewegte die Schultern und sein Nacken knackte. Er hatte in der Nacht Wache vor den  Quartieren des Königs gestanden und freute sich darauf, gleich etwas zu  sich zu nehmen, die Rüstung abzulegen und zu schlafen. Am Abend würde er  während des Tanzes seine Wacht über die Majestäten fortsetzen.

Er  hielt das Fest für keine glückliche Idee, war der Abwechslung, die es  bieten würde, jedoch nicht abgeneigt. Mochten die Soldaten und Mägde murren, soviel sie wollten, es würde stattfinden und niemand konnte daran etwas ändern.
Die zunehmenden Ausfälle unter den Stadt- und Burgwachen  und in der letzen Woche auch unter den Dienstboten, bereiteten ihm  größere Sorgen. Sogar einige Adelige waren inzwischen betroffen. Im  Schloss gab es hervorragende Heiler, so dass er annahm, die  Seuche würde hier nicht so verheerend wirken und im Tod gipfeln, wie  in den armen Bezirken oder den Dörfern.
Noch war niemand im Palast  gestorben oder hatte unter Krämpfen gelitten, die die letzte Phase der  Krankheit ankündigten. Sollte dieser Fall eintreten, musste man sich  weitere Maßnahmen überlegen.

Thorn unterdrückte ein Gähnen.  Endlich klangen die metallenen Schritte der Wachablösung an seine Ohren.  Er nahm noch einmal Haltung an, nickte dann den sich nähernden Brüdern  zu und begann das kurze Ritual, mit dem sie einander die Pflicht der  Wache übergaben.
Dann entfernte er sich mit seinem anderen Bruder in Richtung der Gardistenquartiere.
Kurz  bevor sie sie erreichten, wurde Thron mit einer tiefen Verbeugung von  einem Pagen angesprochen, der ihn aufforderte, unverzüglich den Obersten  Bruder aufzusuchen. Das konnte nichts Gutes bedeuten.

Er wünschte dem anderen Gardisten einen guten Schlaf und ging bedauernd an seiner Kammer vorbei, um die Treppe zu dem Gang zu nehmen, an dessen Ende der erste Heerführer des Landes sein Gemach hatte.
Dieser war  Soldat durch und durch und nutzte, wie die Gardisten, nur einen einzigen  Raum, in dem er schlief, seine Korrespondenz erledigte und Besuch  empfing.
Seine Tür war unbewacht und Thorn klopfte nur kurz, bevor er eintrat.
Der  Oberste Bruder saß in Kettenhemd und Wams an einem schmucklosen Tisch  und überflog einige Papiere, die er vor sich ausgebreitet hatte. Sein  Schwert stand frisch geölt neben ihm an eine Wand gelehnt.
Thorn verbeugt sich knapp.
„Ihr wünschtet, mich zu sprechen, Durchlaucht?"
„Ihr  bleibt jetzt im Dienst und könnt dann heute Abend als Gast an dem Fest  seiner königlichen Hoheit teilnehmen. Tauscht mit Bruder Eckarius."
Mit diesen  Worten zog er unter den Blättern einen Brief hervor, den er ihm hinhielt. Thorn trat vor und nahm ihn entgegen. Er trug das königliche Siegel.

„Das", der Mann am Tisch deutete auf das  Schriftstück in der Hand des Ritters, „ist Eure Einladung. Ihr könnt  gehen."
Thorn hielt das Papier, als hätte es versucht, ihn zu  beissen. Er wußte sehr gut, warum der Oberste Bruder seinen Dienst  umgestellt hatte. Offenbar war der Rat der Meinung, er bräuchte bei  seinem Vorhaben ein wenig Unterstützung. Da Einwände sinnlos  waren, verbeugte er sich und ging.

Eckarius hielt vor der Tür der Königin Wache. Er löste ihn ab, nachdem er eine schnelle Mahlzeit hinuntergeschlungen hatte und kämpfte den Rest des Tages mit seiner zunehmenden Müdigkeit und der Eintönigkeit seiner Aufgabe.
Adhara blieb den ganzen Tag in ihren Gemächern, um sich auf  den Nachmittag und Abend vorzubereiten. Er sah Valu ein paarmal hinaus  und hineingehen und sie blinzelte ihm gut gelaunt zu.
Schließlich  erschien Novalis II., um mit seiner Gemahlin zusammen das Fest aufzusuchen, das er für sie veranstaltete.
Man hatte ihn sorgfältig in Purpur und einen kurzen pelzbesetzten Umhang gekleidet. Nichts davon konnte jedoch darüber hinwegtäuschen, dass der Junge nur wenig Majestätisches an sich hatte. Er strich sich fahrig eine verirrte Strähne aus der Stirn, bevor Thorn ihm die Tür zum Gemach der Königin öffnete. Seine Fingerkuppen waren schwarz von Tinte.

Wenn der Schnee fälltWo Geschichten leben. Entdecke jetzt