38 Die Muse

148 21 22
                                    

Als er erwacht war, hatte sein Kopf geschmerzt und sein Magen erbärmlich gebrannt.
Seine Zunge hatte sich dick und pelzig in seinem Mund angefühlt, als wäre eine Maus darauf verendet.
Nun befand er sich bereits besser, dennoch war ihm weiterhin flau zumute.
„Valu!", rief er nörgelnd. „Valu! Die Stunde ist nah! Gerade erst bist du mir begegnet und nun muss ich dich zu bald verlassen!"
„Was redet Ihr da, Majestät?", erwiderte seine Muse in ihrer ungeschliffenen, erquicklichen Art, die seine eigenen Worte umso mehr strahlen ließ. „Ihr wart ein bisschen betrunken und nun seid Ihr's nicht mehr. Schwerer Wein macht schweren Kopf, das wißt ihr doch."
Sie reichte ihm Wasser und flößte es ihm tropfenweise ein. Der Trunk perlte kühl und erfrischend über seine Lippen. Er drückte sich einen nach Lavendel duftenden Lappen gegen die Kopfschmerzen auf sein Gesicht.
Wegen seines Unwohlseins fütterte sie ihn mit Brot, Stückchen von Aal und Bittermandeln und sein Magen beruhigte sich beinahe auf der Stelle.
Es war ein ungemein glücklicher Zufall, dass seine Muse zugleich eine Dienerin war, die wußte, wie sie sich um ihn kümmern musste, ohne dass sie ständig andere Mägde hin- und herzuschicken brauchte. Das Schicksal war wunderbar.

Er blinzelte sie an. Ihr Antlitz war schön, strahlend wie der junge Morgen und nun hielt sie ihm einen Becher mit Wein unter die Nase.
„Na kommt schon, Euer Majestät. Das hilft Euch auf die Sprünge."
„Hälst Du es tatsächlich für eine förderliche Idee, durch Wein verursachte Pein mit noch mehr Wein zu bekämpfen?"
Sie zuckte die Schultern. „Ja. Hab's schon oft gesehen und ich kann Euch sagen, 's hilft. Wenigstens beim Bier."
Zweifelnd hob er den Becher an die Lippen.
„Runter damit. Was Euch nicht umbringt, macht Euch stärker." Sie lachte.
Die Wege des Schicksals waren wahrhaft unergründlich und sie war ihm zweifellos vom Schicksal gesendet worden. Wer war er, dass er sich der Umarmung der seidenen Schwingen seines vorherbestimmten Loses verweigerte?
Vorsichtig nippte er an dem Becher. Es kostete ihn einige Überwindung, die rote Flüssigkeit hinunterzuschlucken, aber er fügte sich der Bestimmung.
Danach fühlte er sich zugleich leicht und schwer und matt sank er zurück auf die Kissen. Welch köstlicher, seltsamer Zustand, in den sie ihn versetzte!

Plötzlich verspürte er ein ungeheures Verlangen nach dem Tee, den er gekostet hatte, als sie ihm zuerst erschienen war. Ein weiteres Zeichen ihrer Verbundenheit.
„Valu!", sagte er, „Bring mir von dem Tee, den wir beide so schätzen. Der, der nach nassem, dunklen Holz und dem Wunderkraut duftet und der eine Ahnung von Fatum verströmt, sooft ich ihn an die Lippen hebe."
„Fatum", wiederholte sie verständnislos.
„Jawohl! Mich gelüstet danach!"
„Gelüstet", wiederholte sie erneut.
Novalis seufzte dramatisch und breitete das dünne, feuchte Tuch zur Gänze über sein Gesicht. Er war nicht in der Stimmung, sich zu unterhalten.
Sie gab einen Laut von sich, in dem er einige unziemliche Worte zu hören glaubte, erhob sich dann und verließ den Raum, um sich um seine Wünsche zu kümmern.
Die Ruhe war himmlisch und das Pochen in seinem Schädel nur noch als entfernter Hall zu spüren, seit sie ihm den Wein kredenzt hatte.

Es war ein langer Abend gewesen und er hatte ihn beinahe vollständig seiner Kräfte beraubt. Dieses Opfer hatte er auf Anraten seiner Muse gebracht und er schien seine Gemahlin tatsächlich froh gestimmt zu haben.
Ohne Unterlass hatte sie getanzt und er musste zugeben, dass ihre Darbietung ein inspirierender Anblick gewesen war.
Dieser Ausgang der Feierlichkeiten erhellte sein Gemüt auf das Schönste, denn er wollte es sich keinesfalls mit seiner Königin verderben. Wenn seine Mutter dereinst in die Arme von Schlafes Schwester sank, würde sich seine Gemahlin um all die lästigen Regierungsgeschäfte kümmern müssen, so wie sie es ihm versprochen hatte.
Besonders jetzt, wo er seine leibhaftige Muse gefunden hatte, konnte er dafür keine Zeit mehr erübrigen. Wer wusste, was er auf seinem Felde noch zustande bringen mochte?

Plötzlich flog die Tür auf und seine Leibwachen, die bisher vor der Tür Dienst getan hatten, stürmten herein.
„Majestät. Der Palast wird angegriffen. Wir schaffen Euch zu den Ställen und aus der Stadt." 
Die Worte weigerten sich in seinen Verstand einzusinken und blieben vor seinen Ohren. Der Klang erschien ihm seltsam und der Sinn erschloss sich ihm nicht.
Der Gardist wiederholte, was er eben gesagt hatte und drängte zum Aufbruch: „Majestät, bitte erhebt Euch, Ihr müsst fort!"
Es gab Mauern um den Palast. Er konnte nicht angegriffen werden. Das Einzige, was hier heraufdringen konnte, waren Fliegende Kreaturen. Wie die Fae.
Verwirrt fragte er deshalb: „Wieso sollten die Fae uns angreifen?"
Die Wachen tauschte einen Blick. Ständig lebte er in dem Gefühl, dass sich die Menschen über ihn zu unterhalten pflegten, ohne etwas zu sagen, aber er verstand selten, worum es ging.
„Nicht die Fae, Majestät. Die Tore wurden geöffnet. Leute aus der Stadt, Diener, auch viele Soldaten sind darunter. Bitte erhebt Euch und kommt!"

Wenn der Schnee fälltWo Geschichten leben. Entdecke jetzt