Sie erwachte ungewöhnlich früh am nächsten Morgen, als es kaum dämmerte.
Ihre Kopfschmerzen waren verschwunden und jetzt, in dieser stillen Stunde, fühlte sie sich erstmals ganz wie sie selbst, seit sie Brückfeldingstein zurückgelassen hatte.
Die junge Gräfin streckte sich ein wenig und genoß die glatten, weichen Stoffe des Bettzeugs.
Sie glitt unter den Decken hervor und tippte mit den Zehen auf den weichen Teppich, der so dick war, dass ihre Füße einsanken, als sie sich erhob.
Über Nacht war die Kühle des aufziehenden Winters in den Raum gekrochen.
Es war unmöglich, durch das kleine Fenster in der Nische einen Blick hinaus zu werfen, weil es aus massiven, runden Glassteinen bestand. Sie tappte hinüber und öffnete es.
Kalter Wind fuhr ihr ins Gesicht. Er trieb einen feinen Nebel aus Regen und Eis über ihre Wangen.
Adhara war froh, endlich angekommen und nicht mehr unterwegs zu sein.
Sie schloss das Fenster und läutete nach einer Magd.Kurz darauf erschienen Margie und ein Mädchen, dass sie schon gestern gesehen hatte und begannen, sie für den Tag vorzubereiten.
Ihre Freundin aus Kindertagen trug nun ebenfalls die Kleider der Dienerinnen im Palast, sah aber noch immer aus, als würde sie sich unwohl fühlen und nicht hierher gehören.
Adhara konnte es ihr nicht verübeln.
Zu ihrem Erstaunen war über Nacht bereits das erste ihrer neuen Kleider fertiggestellt worden und die Mägde kleideten sie in ein zart-rosa Gewand, dass der Farbe ihrer Haut genau so schmeichelte, wie die Baronin es ihr am Vortag versprochen hatte.
Sie strahlte, als sie sich in dem hohen Spiegel betrachtete.Nachdem sie fertig angekleidet war, betraten weitere Mädchen den Raum und tischten ein Frühstück auf, dass den Köstlichkeiten des Vorabends in nichts nachstand. Adhara nahm sich vor, den Wein nicht anzurühren.
Ihnen folgte die Baronin von Mildsee, die ihr herzlich einen guten Morgen wünschte, ausschweifend das neue Kleid lobte und ihr dann mitteilte, was der Tag für sie bereithielt.
Noch vor dem Mittag sollte sie dem König vorgestellt werden!
Endlich konnte sie ihm gegenüberstehen und musste sich nicht länger mit einem Porträt begnügen, das die Wirklichkeit nur unzureichend abbilden konnte.
Am Nachmittag sollten dann, wie versprochen, die besten Schmuckmacher der Stadt zu ihr kommen, um ihre Waren zu präsentieren.„Bis Ihr Euren neuen Schmuck erhaltet, erlaubt mir, Euch das zum Geschenk zu machen."
Mit diesen Worten überreichte ihr die Baronin ein kleines Kästchen.
Adhara öffnete es. Darin lag eine Kette mit einem funkelnden blauen Anhänger, der in einen Kranz aus kleinen, silbernen Flachsblüten eingefasst war.
„Ein Stein, wie in der Krone Eures zukünftigen Gemahls und die Blüten der Pflanze, die Oranborns Reichtum symbolisiert. Wenn Ihre Majestät, die Königinmutter, das sieht, wird sie es sofort als ein Zeichen Eurer Hingabe an das Land und Eure Liebe zu ihrem Sohn erkennen." Die ältere Frau strahlte sie an und Adhara brachte es nicht über das Herz, das gedankenvolle Geschenk abzulehnen.Sie bedankte sich überschwänglich und ließ sich die Kette von der Baronin umlegen.
Der Stein betonte die Farbe ihrer Augen und das Silber harmonierte mit den Stickereien auf ihrem neuen Kleid. Der König würde beeindruckt sein.
Ihr Glück wurde allerdings empfindlich durch die Eröffnung gedämpft, dass die Hochzeitsfeierlichkeiten nur an einem kurzen Tag direkt vor Beginn des Achtmonats stattfinden würden.
Sie hatte auf ein glanzvolles Fest gehofft, dass sich über mehrere Tage hinzog, mit einem Turnier vielleicht und Tanz und Musik. Sie wollte erlesene Speisen genießen, bis sie ganz rund war und ihre Schuhe durchtanzen, wie die Prinzessinnen in ihren Sagen.
Von den Erinnerungen hatte sie den ganzen Winter zehren wollen, bis sie im Frühjahr selbst die nächsten Feste und Tänze veranstaltete.
Tatsächlich schien die Hochzeit bereits vollständig geplant zu sein.Adhara beschloss, ihren zukünftigen Gemahl darauf anzusprechen und eine Ausweitung der Feierlichkeiten zu erwirken.
Männer hatten für so etwas oft keinen Sinn und vielleicht wußte ihr Bräutigam gar nicht, wie die Vermählung eines Königs ablaufen sollte. Sicher schlug er ihr den Wunsch nicht ab, wenn sie ihn darum bat.
Bevor sie ihre Gemächer verließ, drehte sich Adhara noch einmal vor dem hohen Spiegel und den Augen der Dame von Mildsee.
"Ihr seht strahlend aus, Hoheit. Ihr werdet die Schönste von allen sein!", rief sie verzückt und bestätigte die Gedanken, die Adhara, ein wenig verschämt, selbst gehabt hatte.
Schließlich wies die Baronin mit einem zierlichen Wink zur Tür. "Es ist Zeit, Euer Hoheit. Der König erwartet Euch sicher schon."
Adhara nahm sich noch einen Moment Zeit, um sich zu sammeln und warf einen letzten Blick auf das gemalte Antlitz ihres zukünftigen Gemahls neben dem Bett.
Dann schritt sie hinaus in den Flur.
Die Baronin führte sie wieder durch endlos scheinende Gänge, allerdings meinte Adhara zu erkennen, dass sie nicht in Richtung der Halle liefen, in der sie gestern die Königinmutter getroffen hatte.
Schließlich bogen sie um eine der zahllosen Ecken und gelangten in einen Vorraum.
Von ihm zweigten weitere Gänge und eine offene, zweiflügelige Tür ab, vor der vier schwergerüstete Burgwachen Stellung bezogen hatten. Der Raum war hell erleuchtet und Kohlebecken wärmten eine Schar Menschen, die in kleinen Gruppen zusammenstanden und ausnahmslos kostbar gekleidet waren.
Durch den Eingang tropfte ein steter Strom von Leuten, die heraus- oder hineinwollten.
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Wenn der Schnee fällt
Fiksi SejarahIntrigen, Verrat und enttäuschte Hoffnungen mit einem Hauch Romantik. Eine mittelalterlich-fantastische Geschichte über das Ringen um einen Platz in der Welt. Adhara soll überraschend den König heiraten. Nie hätte sie geglaubt, so weit aufzusteigen...